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Nabel der Weltwissenschaft

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Nabel der Weltwissenschaft
Das US-Journal Science setzt die Maßstäbe. Mit amerikanischem Elan versucht das Fachblatt weltweit, die Forscher anzuziehen: als Autoren wie als Abonnenten.

Das Schreiben ist in einem freundlichen Ton verfaßt. Gleichwohl ist es für die zwei Molekularbiologen und den Mediziner eine herbe Enttäuschung. Denn ihrer wissenschaftlichen Arbeit, für die sie viele Tage und einen Gutteil der Nächte sowie nahezu jedes Wochenende geopfert hatten, bleibt die erhoffte internationale Anerkennung vorerst versagt. Das Wissenschaftsjournal Science will die Arbeit nicht veröffentlichen. Im Brief gibt der Lektor zwar Tips, in welchen anderen Journalen die Arbeit untergebracht werden könnte. Doch die sind – das wissen nicht nur die drei, sondern auch ihre Fachkollegen – längst nicht so angesehen.

Der einzige Trost des Forschertrios: So wie ihnen ergeht es den meisten Wissenschaftlern, die ihre Arbeit in Science publizieren wollen: Von sieben eingesandten Manuskripten wird nur eines gedruckt. „Das Schlimmste an unserem Beruf ist die hohe Rücksenderate“, erklärt Brooks Hanson, seit zwölf Jahren bei Science und „immer noch aufgeregt, wenn ich ein außergewöhnliches Manuskript bekomme“, obschon er inzwischen zum „Deputy Managing Editor“ aufgestiegen ist. Er und 20 weitere Lektoren stellen die ersten Weichen, was mit den eingeschickten Papieren geschieht. Entsprechen sie den Rahmenrichtlinien, so leiten sie die Arbeiten an Mitglieder des knapp hundertköpfigen Beirats weiter, die für Science den wissenschaftlichen Gehalt der eingereichten Arbeiten nach einer Punkteskala von 1 bis 10 bewerten. „Das obere Drittel schicken wir dann zur genauen Begutachtung an zwei oder drei Wissenschaftler weltweit, die auf diesen Gebieten einen Namen haben“, sagt Prof. Floyd Bloom, der Chefredakteur des Blattes.

Von den jährlich eingehenden 7500 Manuskripten – die meisten davon werden inzwischen elektronisch übermit-telt – erreichen somit nur 2500 bis 3000 die Fachgutachter. Nur etwas mehr als 1000 überstehen auch diese Hürde und erscheinen schließlich in der Zeitschrift. Der Enttäuschung vieler zum Trotz: Science ist bei Wissenschaftlern hoch angesehen. Wer einmal aus Washington, wo die Zeitschrift ihren Hauptsitz hat, eine Ablehnung bekam, ist eher motiviert, es noch einmal zu versuchen, als das Blatt künftig zu meiden. Prof. Peter Krammer, Immungenetiker am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg und inzwischen selbst Gutachter für das Blatt, erklärt: „Alte Hasen richten sich auf die Ablehnung ein und versuchen schon im Vorfeld zu klären, ob eine bestimmte Arbeit überhaupt eine Chance hat, ernst genommen zu werden.“ Die Chancen steigen, wenn das Manuskript nicht nur eine hervorragende wissenschaftliche Arbeit vorstellt, sondern auch „flashy and catchy“, ist wie Krammer sagt – also auffallend und eingängig.

Ein anderer alter Hase und ebenfalls mehrfach Science-Gutachter, verrät einen weiteren Kniff, um die Chancen eines Abdrucks zu steigern. „Wer ein Manuskript zusammen mit namhaften US-Wissenschaftlern verfaßt, hat bessere Karten“, meint Klimaforscher Prof. Hartmut Graßl. Kein Wunder, könnte man meinen, ist doch Science das Organ der „American Association for the Advancement of Science“ (übersetzt etwa: Amerikanische Vereinigung zur Förderung der Naturwissenschaften): von Amerikanern (darunter Thomas A. Edison) 1880 gegründet, von Amerikanern verlegt, von Amerikanern gelesen (nur 30700 der insgesamt 155000 Abonnenten leben außerhalb der USA). Der Sicht von Graßl mag man bei Science nicht zustimmen. Chefredakteur Bloom: „Wir bemühen uns sehr um Autoren, die nicht in Amerika forschen, und machen ihnen klar, welche Vorteile unser Magazin hat.“ Neueingerichtete oder ausgebaute Büros in Großbritannien, Frankreich, der Schweiz sowie in Japan dokumentieren dieses Engagement. Die Lektoren reisen zu eigens anberaumten Pressekonferenzen auch in andere Erdteile. Brooks Hanson etwa flog nach Deutschland, als Science im Oktober 1998 eine Titelstory über die ältesten Tierspuren der Welt veröffentlichte, die vom Tübinger Paläontologen Prof. Adolf Seilacher maßgeblich verfaßt wurde. „30 Prozent unserer Autoren arbeiten nicht in den USA – Tendenz zunehmend“, weist Hanson Graßls Kritik zurück.

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Mit dem Aufbruch nach Europa und Asien (Japan und China sind strategisch wich- tige Märkte für Science) wollen die Amerikaner überall in der Welt die Nummer eins im Geschäft der fachübergreifenden Wissenschaftsjournale werden. Probleme macht ihnen da offenbar nur ein Blatt: das britische „Nature“.

Nature hat zwar nur eine Auflage von 60000 wöchentlichen Exemplaren. Doch gerade in Europa ist der Konkurrent hoch angesehen. Science bemüht sich, ihm das Feld streitig zu machen. Chefredakteur Bloom freut sich: „In den meisten europäischen Ländern sind wir mit unserer Auflage schon gleichauf oder besser, nur in Großbritannien liegen wir deutlich hinter Nature.“ Bloom betrachtet den Wettbewerb um das angesehenste Wissenschaftsjournal der Welt als eine Art Rugby-Match: „Wir konkurrieren um die besten Autoren. Wir konkurrieren um die wissenschaftliche Leserschaft. Wir konkurrieren um die Zitierungen in populären Zeitungen und Zeitschriften. Wir schauen genau darauf, wie rasch Nature ist und wie gut das Layout eines Beitrags ist.“ Auch bei der Schnelligkeit wollen sich die führenden Wissenschaftsjournale keine Blöße geben: Ist ein eingeschicktes Manuskript „heiß“ und markiert einen großen wissenschaftlichen Durchbruch, geht es flott mit dem Abdruck bei Science und Nature: „Das wichtige Bose-Einstein-Papier, das einen 1905 vorhergesagten Zustand der Materie experimentell belegte, brauchte im August 1995 vom Eingang bis zum Druck nur zwei Wochen“ , sagt Bloom. Auch sonst liegen die Manuskripte nicht auf Halde: Innerhalb von zwei bis drei Monaten werden sie veröffentlicht – wenn alles klar geht mit der Begutachtung. Science wie Nature unterhalten parallel zur Abteilung wissenschaftlicher Veröffentlichungen eine Sektion, die journalistisch ans Werk geht: Seit 18 Jahren ist Colin Norman bei Science mit dabei, unterdessen als Chef der Truppe. Norman ist der Nachrichtenjournalist alter Prägung – engagiert, das Aktuellste ins Blatt zu heben, doch scheu, ohne viel Aufhebens, was die eigene Arbeit betrifft. Er beginnt seine Arbeit gegen 8 Uhr 30 und „ich versuche, abends zwischen sieben und acht zu gehen“. Am Wochenende kommt er zwar nicht ins Büro, arbeitet aber – wenn nötig – von seinem heimischen Computer aus: „Es ist wie jeder Job im Journalismus. Er kostet viel Zeit, aber die Sache ist es wert.“ Norman gehört zu den bestinformierten Menschen der Welt in Sachen Naturwissenschaft – das läßt ihn seine Arbeit so wertvoll erscheinen. Bei ihm laufen die Drähte der 14 Science-Reporter sowie der 70 festen „freien“ Journalisten zusammen, die für Science weltweit tätig sind. Diese Mitarbeiter haben allerbeste Kontakte zu den führenden Wissenschaftlern. Und sie setzen alles daran, hervorragende Beiträge abzugeben, nicht zuletzt deshalb, weil es auch für Wissenschaftsjournalisten eine Frage der Ehre ist, in Science zu publizieren. Überdies wird ihre Arbeit von dem Journal ordentlich honoriert (1000 Dollar pro Druckseite), im Gegensatz zu den Wissenschaftlern, die – außer den erhofften Zuschriften – nichts für ihre Publikationen und Kommentare erhalten. Norman erinnert sich gerne an Glanzlichter der letzten Jahre: „Unser Astronomiereporter berichtete weltweit als erster, daß sich das Universum offenbar immer weiter ausdehnt.“ Stolz ist er auch auf einen Beitrag, in dem ein Mitarbeiter herausarbeitete, daß der Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Bluthochdruck keineswegs so eindeutig ist, wie das die öffentlichen Institutionen in den USA immer behaupten. „Das war ein sehr, sehr gutes Stück.“ 17 Seiten haben Norman und seine Journalistencrew im Schnitt pro Woche bei Science zu füllen: mit Nachrichten, Hintergrundberichten oder Schwerpunktthemen – etwa zum weltweiten Stand der Regenerativen Energie oder der Archäologischen Forschung im Heiligen Land. Normans News-Section hat bereits mehrere Journalistenpreise gewonnen und – worauf er mit Bedacht verweist – fünf Kollegen an den Wissenschaftsteil der „New York Times“ verloren, „unseren härtesten Wettbewerber in den USA“.

Der Spagat, dem sich die Nachrichten-Truppe ständig stellen muß: für die Wissenschaftler innerhalb eines Fachs Neues zu schreiben, dieses Insiderwissen aber so zu vermitteln, daß sich auch andere Leser gut informiert fühlen. Dabei halten sich die Science-Journalisten nicht mit Kritik zurück: Politische Aspekte der Wissenschaft werden herausgearbeitet, Rivalitäten unter Forschergruppen ans Tageslicht befördert. 112 Dollar kostet das Jahresabo für Einzelpersonen in den USA. Seit 1995 gibt es Science auch online. Inzwischen haben sich bereits 40000 der 155000 Science-Abonnenten für beide Varianten des Wissenschaftsjournals entschieden und zahlen dafür 12 Dollar extra. Die Online-Version allein können gegenwärtig nur Chinesen beziehen. Um möglichst vielen chinesischen Forschern einen schnellen und kostengünstigen Einblick in die Arbeiten der internationalen Forschungselite zu ermöglichen, vereinbarte Science diese Ausnahme mit der Pekinger Akademie der Wissenschaften. Die Zahl der chinesischen Online-Nutzer beläuft sich bereits auf rund 15000. Per Abonnement beziehen Science dort dagegen nur 600 Adressaten. Altruistisch ist die chinesische Science-Offerte nicht. Die Amerikaner ebnen sich so den Weg, um die in den kommenden Jahrzehnten mutmaßlich explodierende chinesische Wissenschaft frühzeitig an amerikanische Usancen zu gewöhnen.

Auch gegen Nature richtet sich dieser Coup der American Association for the Advancement of Science – einer Gesellschaft, die so viele Mitglieder zählt wie Science Abonnenten: Wer Science ordert, ist sogleich Mitglied von AAAS und jedes AAAS-Mitglied erhält das Blatt. Science ist also gewissermaßen das Zentralorgan der US-Wissenschaft. Einen Ruf zu verteidigen hat die Organisation auch bei ihrem faszinierenden Wissenschaftler-Auftrieb jedes Jahr im Februar. Dann treffen sich in einer US-Großstadt 5000 der namhaftesten Forscher der Vereinigten Staaten. „Wir organisieren pro Treffen etwa 1000 Vorträge zu den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Disziplinen“, sagt Mike Spinella, Direktor der Abteilung AAAS-Mitgliedschaften. Die Referenten bekommen kein Honorar, dafür aber um so mehr Gehör. Denn alljährlich reisen zu diesen Treffen aus aller Welt 500 bis 600 Journalisten an, um hernach ein Loblied auf die amerikanische Wissenschaft zu singen. „Beim AAAS-Meeting redet jeder umsonst, auch wenn er noch so hochrangig ist“, sagt Spinella und braucht nur die beiden Namen Clinton und Gates zu nennen, um zu überzeugen. In diesen Tagen – vom 17. bis zum 23. Februar – spielt sich das AAAS-Treffen 2000 ab. Wie es sich für ein mystisches Jahr gehört, findet die Veranstaltung in Washington statt: in jener Stadt, von der aus nicht nur die Welt regiert wird, sondern in der auch ein gutes Stück Weltwissenschaft inszeniert wird. Die Europäer jedenfalls haben der American Association for the Advancement of Science nichts auch nur annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Das Schreiben ist in einem freundlichen Ton verfaßt. Gleichwohl ist es für die zwei Molekularbiologen und den Mediziner eine herbe Enttäuschung. Denn ihrer wissenschaftlichen Arbeit, für die sie viele Tage und einen Gutteil der Nächte sowie nahezu jedes Wochenende geopfert hatten, bleibt die erhoffte internationale Anerkennung vorerst versagt. Das Wissenschaftsjournal Science will die Arbeit nicht veröffentlichen. Im Brief gibt der Lektor zwar Tips, in welchen anderen Journalen die Arbeit untergebracht werden könnte. Doch die sind – das wissen nicht nur die drei, sondern auch ihre Fachkollegen – längst nicht so angesehen. Der einzige Trost des Forschertrios: So wie ihnen ergeht es den meisten Wissenschaftlern, die ihre Arbeit in Science publizieren wollen: Von sieben eingesandten Manuskripten wird nur eines gedruckt. „ Das Schlimmste an unserem Beruf ist die hohe Rücksenderate“, erklärt Brooks Hanson, seit zwölf Jahren bei Science und „immer noch aufgeregt, wenn ich ein außergewöhnliches Manuskript bekomme“ , obschon er inzwischen zum „Deputy Managing Editor“ aufgestiegen ist. Er und 20 weitere Lektoren stellen die ersten Weichen, was mit den eingeschickten Papieren geschieht. Entsprechen sie den Rahmenrichtlinien, so leiten sie die Arbeiten an Mitglieder des knapp hundertköpfigen Beirats weiter, die für Science den wissenschaftlichen Gehalt der eingereichten Arbeiten nach einer Punkteskala von 1 bis 10 bewerten. „Das obere Drittel schicken wir dann zur genauen Begutachtung an zwei oder drei Wissenschaftler weltweit, die auf diesen Gebieten einen Namen haben“, sagt Prof. Floyd Bloom, der Chefredakteur des Blattes. Von den jährlich eingehenden 7500 Manuskripten – die meisten davon werden inzwischen elektronisch übermit-telt – erreichen somit nur 2500 bis 3000 die Fachgutachter. Nur etwas mehr als 1000 überstehen auch diese Hürde und erscheinen schließlich in der Zeitschrift. Der Enttäuschung vieler zum Trotz: Science ist bei Wissenschaftlern hoch angesehen. Wer einmal aus Washington, wo die Zeitschrift ihren Hauptsitz hat, eine Ablehnung bekam, ist eher motiviert, es noch einmal zu versuchen, als das Blatt künftig zu meiden. Prof. Peter Krammer, Immungenetiker am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg und inzwischen selbst Gutachter für das Blatt, erklärt: „Alte Hasen richten sich auf die Ablehnung ein und versuchen schon im Vorfeld zu klären, ob eine bestimmte Arbeit überhaupt eine Chance hat, ernst genommen zu werden.“ Die Chancen steigen, wenn das Manuskript nicht nur eine hervorragende wissenschaftliche Arbeit vorstellt, sondern auch „flashy and catchy“, ist wie Krammer sagt – also auffallend und eingängig.

Ein anderer alter Hase und ebenfalls mehrfach Science-Gutachter, verrät einen weiteren Kniff, um die Chancen eines Abdrucks zu steigern. „Wer ein Manuskript zusammen mit namhaften US-Wissenschaftlern verfaßt, hat bessere Karten“, meint Klimaforscher Prof. Hartmut Graßl. Kein Wunder, könnte man meinen, ist doch Science das Organ der „American Association for the Advancement of Science“ (übersetzt etwa: Amerikanische Vereinigung zur Förderung der Naturwissenschaften): von Amerikanern (darunter Thomas A. Edison) 1880 gegründet, von Amerikanern verlegt, von Amerikanern gelesen (nur 30700 der insgesamt 155000 Abonnenten leben außerhalb der USA). Der Sicht von Graßl mag man bei Science nicht zustimmen. Chefredakteur Bloom: „Wir bemühen uns sehr um Autoren, die nicht in Amerika forschen, und machen ihnen klar, welche Vorteile unser Magazin hat.“ Neueingerichtete oder ausgebaute Büros in Großbritannien, Frankreich, der Schweiz sowie in Japan dokumentieren dieses Engagement. Die Lektoren reisen zu eigens anberaumten Pressekonferenzen auch in andere Erdteile. Brooks Hanson etwa flog nach Deutschland, als Science im Oktober 1998 eine Titelstory über die ältesten Tierspuren der Welt veröffentlichte, die vom Tübinger Paläontologen Prof. Adolf Seilacher maßgeblich verfaßt wurde. „30 Prozent unserer Autoren arbeiten nicht in den USA – Tendenz zunehmend“, weist Hanson Graßls Kritik zurück. Mit dem Aufbruch nach Europa und Asien (Japan und China sind strategisch wich- tige Märkte für Science) wollen die Amerikaner überall in der Welt die Nummer eins im Geschäft der fachübergreifenden Wissenschaftsjournale werden. Probleme macht ihnen da offenbar nur ein Blatt: das britische „Nature“. Nature hat zwar nur eine Auflage von 60000 wöchentlichen Exemplaren.

Doch gerade in Europa ist der Konkurrent hoch angesehen. Science bemüht sich, ihm das Feld streitig zu machen. Chefredakteur Bloom freut sich: „In den meisten europäischen Ländern sind wir mit unserer Auflage schon gleichauf oder besser, nur in Großbritannien liegen wir deutlich hinter Nature.“ Bloom betrachtet den Wettbewerb um das angesehenste Wissenschaftsjournal der Welt als eine Art Rugby-Match: „Wir konkurrieren um die besten Autoren. Wir konkurrieren um die wissenschaftliche Leserschaft. Wir konkurrieren um die Zitierungen in populären Zeitungen und Zeitschriften. Wir schauen genau darauf, wie rasch Nature ist und wie gut das Layout eines Beitrags ist.“ Auch bei der Schnelligkeit wollen sich die führenden Wissenschaftsjournale keine Blöße geben: Ist ein eingeschicktes Manuskript „heiß“ und markiert einen großen wissenschaftlichen Durchbruch, geht es flott mit dem Abdruck bei Science und Nature: „Das wichtige Bose-Einstein-Papier, das einen 1905 vorhergesagten Zustand der Materie experimentell belegte, brauchte im August 1995 vom Eingang bis zum Druck nur zwei Wochen“ , sagt Bloom. Auch sonst liegen die Manuskripte nicht auf Halde: Innerhalb von zwei bis drei Monaten werden sie veröffentlicht – wenn alles klar geht mit der Begutachtung.

Science wie Nature unterhalten parallel zur Abteilung wissenschaftlicher Veröffentlichungen eine Sektion, die journalistisch ans Werk geht: Seit 18 Jahren ist Colin Norman bei Science mit dabei, unterdessen als Chef der Truppe. Norman ist der Nachrichtenjournalist alter Prägung – engagiert, das Aktuellste ins Blatt zu heben, doch scheu, ohne viel Aufhebens, was die eigene Arbeit betrifft. Er beginnt seine Arbeit gegen 8 Uhr 30 und „ich versuche, abends zwischen sieben und acht zu gehen“. Am Wochenende kommt er zwar nicht ins Büro, arbeitet aber – wenn nötig – von seinem heimischen Computer aus: „Es ist wie jeder Job im Journalismus. Er kostet viel Zeit, aber die Sache ist es wert.“ Norman gehört zu den bestinformierten Menschen der Welt in Sachen Naturwissenschaft – das läßt ihn seine Arbeit so wertvoll erscheinen. Bei ihm laufen die Drähte der 14 Science-Reporter sowie der 70 festen „freien“ Journalisten zusammen, die für Science weltweit tätig sind. Diese Mitarbeiter haben allerbeste Kontakte zu den führenden Wissenschaftlern. Und sie setzen alles daran, hervorragende Beiträge abzugeben, nicht zuletzt deshalb, weil es auch für Wissenschaftsjournalisten eine Frage der Ehre ist, in Science zu publizieren. Überdies wird ihre Arbeit von dem Journal ordentlich honoriert (1000 Dollar pro Druckseite), im Gegensatz zu den Wissenschaftlern, die – außer den erhofften Zuschriften – nichts für ihre Publikationen und Kommentare erhalten. Norman erinnert sich gerne an Glanzlichter der letzten Jahre: „Unser Astronomiereporter berichtete weltweit als erster, daß sich das Universum offenbar immer weiter ausdehnt.“ Stolz ist er auch auf einen Beitrag, in dem ein Mitarbeiter herausarbeitete, daß der Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Bluthochdruck keineswegs so eindeutig ist, wie das die öffentlichen Institutionen in den USA immer behaupten. „Das war ein sehr, sehr gutes Stück.“ 17 Seiten haben Norman und seine Journalistencrew im Schnitt pro Woche bei Science zu füllen: mit Nachrichten, Hintergrundberichten oder Schwerpunktthemen – etwa zum weltweiten Stand der Regenerativen Energie oder der Archäologischen Forschung im Heiligen Land. Normans News-Section hat bereits mehrere Journalistenpreise gewonnen und – worauf er mit Bedacht verweist – fünf Kollegen an den Wissenschaftsteil der „New York Times“ verloren, „unseren härtesten Wettbewerber in den USA“. Der Spagat, dem sich die Nachrichten-Truppe ständig stellen muß: für die Wissenschaftler innerhalb eines Fachs Neues zu schreiben, dieses Insiderwissen aber so zu vermitteln, daß sich auch andere Leser gut informiert fühlen. Dabei halten sich die Science-Journalisten nicht mit Kritik zurück: Politische Aspekte der Wissenschaft werden herausgearbeitet, Rivalitäten unter Forschergruppen ans Tageslicht befördert.

112 Dollar kostet das Jahresabo für Einzelpersonen in den USA. Seit 1995 gibt es Science auch online. Inzwischen haben sich bereits 40000 der 155000 Science-Abonnenten für beide Varianten des Wissenschaftsjournals entschieden und zahlen dafür 12 Dollar extra.

Die Online-Version allein können gegenwärtig nur Chinesen beziehen. Um möglichst vielen chinesischen Forschern einen schnellen und kostengünstigen Einblick in die Arbeiten der internationalen Forschungselite zu ermöglichen, vereinbarte Science diese Ausnahme mit der Pekinger Akademie der Wissenschaften. Die Zahl der chinesischen Online-Nutzer beläuft sich bereits auf rund 15000. Per Abonnement beziehen Science dort dagegen nur 600 Adressaten. Altruistisch ist die chinesische Science-Offerte nicht. Die Amerikaner ebnen sich so den Weg, um die in den kommenden Jahrzehnten mutmaßlich explodierende chinesische Wissenschaft frühzeitig an amerikanische Usancen zu gewöhnen. Auch gegen Nature richtet sich dieser Coup der American Association for the Advancement of Science – einer Gesellschaft, die so viele Mitglieder zählt wie Science Abonnenten: Wer Science ordert, ist sogleich Mitglied von AAAS und jedes AAAS-Mitglied erhält das Blatt. Science ist also gewissermaßen das Zentralorgan der US-Wissenschaft. Einen Ruf zu verteidigen hat die Organisation auch bei ihrem faszinierenden Wissenschaftler-Auftrieb jedes Jahr im Februar. Dann treffen sich in einer US-Großstadt 5000 der namhaftesten Forscher der Vereinigten Staaten. „Wir organisieren pro Treffen etwa 1000 Vorträge zu den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Disziplinen“, sagt Mike Spinella, Direktor der Abteilung AAAS-Mitgliedschaften. Die Referenten bekommen kein Honorar, dafür aber um so mehr Gehör. Denn alljährlich reisen zu diesen Treffen aus aller Welt 500 bis 600 Journalisten an, um hernach ein Loblied auf die amerikanische Wissenschaft zu singen. „Beim AAAS-Meeting redet jeder umsonst, auch wenn er noch so hochrangig ist“, sagt Spinella und braucht nur die beiden Namen Clinton und Gates zu nennen, um zu überzeugen.

In diesen Tagen – vom 17. bis zum 23. Februar – spielt sich das AAAS-Treffen 2000 ab. Wie es sich für ein mystisches Jahr gehört, findet die Veranstaltung in Washington statt: in jener Stadt, von der aus nicht nur die Welt regiert wird, sondern in der auch ein gutes Stück Weltwissenschaft inszeniert wird. Die Europäer jedenfalls haben der American Association for the Advancement of Science nichts auch nur annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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