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Nützlich wie ein Staubsauger

Allgemein

Nützlich wie ein Staubsauger
Das Statussymbol Auto wird von Frauen deklassiert. Sie vergleichen es eher mit einer Waschmaschine: Es soll ihnen den Alltag erleichtern. Doch die Hoffnung trügt, die Emanzipation wird nicht gefördert.

Der Ausruf „Frau am Steuer!” hatte (oder hat noch?) einen festen Platz in der Schimpfwörter-Hitliste männlicher Verkehrsteilnehmer. Positiv assoziierte Mann bei dem Thema Frau und Auto allenfalls jene Bikini-Schönen, die sich auf der Motorhaube eines PS-starken Schlittens räkeln oder ihre langen Beine mit hochhackigen Pumps lockend aus der Beifahrertür strecken. Zumindest die Autowerbung hat inzwischen umgeschaltet und setzt auf die selbstbewußte, unabhängige, erfolgreiche Frau, die von ihrem Auto „glücklich gemacht” wird, während der Mann „zu Hause ist und kocht” (Werbespruch). Und die feministische Zeitschrift „Emma” behauptete 1996: „Das Auto und Autofahren bedeutet für Frauen ein wichtiges Stück Emanzipation.” Die Soziologen Hartwig Heine und Rüdiger Mautz aus Göttingen unterstreichen das in einer Untersuchung von 1999. Autofahrende Frauen müssen nicht nachts auf einsamen U-Bahnhöfen warten oder einen längeren Fußweg durch die Vorortsiedlung zurücklegen, weshalb sie früher oft lieber zu Hause blieben. Das Auto werde damit „zum Garanten einer sonst nicht mehr möglichen Autonomie” .

Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Dr. Regina Buhr dagegen hat bei dem Thema eine andere Frau vor Augen: halbtags berufstätig, Mutter zweier Kinder, die morgens um halb acht, bevor sie selbst mit der Arbeit beginnt, den Sohn zur Schule und die Tochter in den Kindergarten bringt; mittags fährt sie auf dem Heimweg schnell im Supermarkt vorbei, holt Anzüge aus der Reinigung oder gibt den Videorecorder zur Reparatur ab. Nach dem Essen muß sie die Tochter zum Musikunterricht oder zu einer Freundin bringen; oder der Sohn will wegen des Regens zum Handballtraining gefahren werden. Mindestens einmal in der Woche schaut sie bei ihren Eltern am anderen Ende der Stadt vorbei und erledigt, wenn die Zeit reicht, noch schnell die schweren Einkäufe für die beiden Älteren oder fährt sie zum Arzt. Einen ähnlichen automobilen Alltag der 18- bis 59jährigen zeigte vor vier Jahren auch eine Erhebung des Münchener Instituts für Verkehrs- und Infrastrukturforschung Socialdata. Das Bringen und Holen von Personen hat an den Fahrten der Frauen einen mehr als doppelt so hohen Anteil als an denen der Männer (siehe Grafik). Generell sind Frauen für die kurzen Wege zuständig. Den größeren Anteil haben Strecken, die kürzer als ein Kilometer sind. Das spiegelt ihren von vielerlei Erledigungen zergliederten Tagesablauf wider.

Regina Buhr hat den Alltag von Frauen in langen Interviews detailliert aufgenommen. Ihre These: „Das Auto ist für Frauen ein Mittel zur Erleichterung der Haushaltsführung, eine Art Haushaltsgerät wie Staubsauger oder Mikrowelle.” Die Sozialökonomin kratzt damit nicht nur am Mythos Auto, sie verpaßt auch der feministischen Hoffnung auf die frauenbefreiende Kraft des Autos einen kräftigen Dämpfer. Ihre Untersuchungen über die „ Bedeutung des Autos im Alltag von Frauen” hat Buhr im Rahmen der „ Projektgruppe Mobilität” am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gemacht. Dafür sichtete sie große Datenmengen auf den Frauenaspekt hin. Kein leichtes Unterfangen: In der Verkehrsforschung wird in der Regel nicht nach Geschlecht differenziert, oft rücken die Untersuchungen die Alltagswirklichkeit von Frauen auch in ein schiefes Licht. Beispiel: In der „Kontinuierlichen Erhebung des Verkehrsverhaltens” in der Bundesrepublik, einer der wichtigsten Planungsgrundlagen für die Verkehrspolitik, wird die mütterliche Begleitung eines Kindes zur Schule unter der Kategorie „ Ausbildungsweg” erfaßt, genau wie die Fahrt einer Studentin zur Universität. Der feine Unterschied, ob die Frau etwas für sich oder für die Familie erledigt, kommt nicht zum Tragen. In der Socialdata-Untersuchung zeigt sich, daß Männer im erwerbstätigen Alter zwei Drittel ihrer Wege mit dem Auto absolvieren. Von den gleichaltrigen Frauen nimmt dagegen weniger als die Hälfte das Auto, um ans Ziel zu gelangen. Doch die Tendenz ist klar: Immer mehr Frauen haben heute einen Führerschein – und ein eigenes Auto. In der Gruppe der 20- bis 40jährigen waren es 1991 schon 90 Prozent. Seit 1981 hat sich die Zahl der auf Frauen zugelassenen Pkw in Deutschland von 20 auf 30 Prozent erhöht. Die Industrie reagiert darauf in vielfältiger Weise: Vor allem die Werbung hat die Frauen nicht mehr nur als Lockvogel für den Mann, sondern als eigenständige Käuferin im Visier. Allein in der Zeitschrift „ Brigitte” stieg der Werbeaufwand für Autos von 5,3 Millionen Mark 1997 auf 9,7 Millionen im Jahr 2000.

Regina Buhr hat ihre wissenschaftlichen Interviews 1997 mit Berliner Frauen unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft durchgeführt und herausgefunden, daß das Auto – wie andere Haushaltsgeräte auch – den Alltag von Frauen verändert, ohne ihn unbedingt zu erleichtern. Übereinstimmend erklärten die Befragten zum Beispiel, jetzt alle Einkäufe, „auch die schweren”, die früher der Ehemann oder Partner übernommen hatte, allein zu erledigen. Denn mit dem Auto kann frau ja auf den Parkplatz vor dem Supermarkt fahren und wiederum mit dem Einkaufswagen direkt bis an den Kofferraum. Die Flötenstunde oder das Sporttraining der Kinder darf jetzt ruhig ein paar Kilometer von zu Hause weg sein, wo vielleicht der bessere Lehrer oder Verein zu finden ist – „Mutti hat ja das Auto!” Vom Wunsch einer Frau, „urplötzlich mal da und dorthin einen Besuch mit dem eigenen Auto machen zu können und nicht mehr bei anderen fragen zu müssen”, so eine Interviewte, blieb übrig, spontan auf die Wünsche der Kinder reagieren zu können.

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Die Untersuchung über „Die Mütter und das Auto” der Göttinger Soziologen Heine und Mautz zeigt Ähnliches. Insbesondere in jungen Familien, die an den Stadtrand oder ganz aufs Land ziehen, gebe es einen regelrechten „Deal”: Auto gegen Mehrarbeit. Falls ein Kind plötzlich krank wird, wollen die Mütter ein Auto vor der Haustür haben – notfalls das Familienauto, falls das Geld für einen Zweitwagen nicht reicht. Dafür aber übernehmen sie praktisch alle Familienpflichten außerhalb des Hauses – und somit einiges mehr als früher. In den Interviews mit Regina Buhr gaben Frauen dennoch mehrfach an, die Möglichkeiten des Autos durchaus auch als Schritt zu mehr Freiheit und Selbständigkeit zu empfinden – obwohl es dabei faktisch gar nicht um ihre Freiheit geht: „Irgendwie bin ich selbständiger geworden. Wenn die Jungs mal sagen, Mutti, wir brauchen dich (um sie von A nach B zu transportieren), sag ich spontan ‚Na klar‘.” Nach einer „Brigitte” -Umfrage von 1998 können sich immerhin 60 Prozent der Frauen „ein Leben ohne Auto nicht mehr vorstellen”.

Vielleicht aber so: Regina Buhrs „Projektgruppe Mobilität” befaßt sich vor allem mit den sozialen Ursachen von Verkehr und Autonutzung. Im Rahmen der Untersuchungen entstand das Feldexperiment „CashCar”. Dazu hat das WZB mit dem Autohersteller Audi, der Deutschen Bahn und der StattAuto-Carsharing AG die „ Choice Mobilitätsproviding GmbH” gegründet. CashCar ist ein Full-Service-Leasing-Angebot, bei dem der Kunde über ein Auto verfügt, es aber an einer nahe gelegenen Carsharing-Station abgeben kann, wenn er es nicht benötigt, um so die Leasingkosten zu senken. Erforscht werden soll, was den Verzicht auf das eigene Auto fördert oder hemmt. Mehr dazu unter: www.choice.de

Andrea J. Appel

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ge|sund|heits|hal|ber  〈Adv.〉 aus gesundheitl. Gründen, der Gesundheit zuliebe

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