Es wimmelt in der Geschichte der Naturwissenschaft nur so von Experimenten, die nie gemacht wurden, die sich nur in den Köpfen der Forscher abspielten. Das begann etwa 500 v. Chr., als der Philosoph Zenon den Athleten Achilles im 100-Meter-Lauf gegen eine Schildkröte antreten – und verlieren – ließ. Galilei widerlegte mit Hilfe nur erdachter Experimente viele Thesen des Aristoteles, die immerhin bis dahin fast 2000 Jahre lang als unumstößlich galten. Gedankenexperimente sind auch heute noch eine wirksame Methode der Wissenschaft. Eines der berühmtesten ist Einsteins Überlegung, wie ein Physiker in einem abgeschlossenen Raum, etwa einer Fahrstuhlkabine, feststellen kann, ob er in einem Gravitationsfeld in Ruhe ist oder ob er im Weltall beschleunigt wird. In beiden Fällen würde nämlich ein losgelassener Stein in gleicher Weise auf den Boden der Kabine fallen. Oder umgekehrt: Falls der Stein bewegungslos im Raum schwebt, könnte sich der ratlose Fahrgast entweder in den Tiefen des Alls befinden, oder er könnte im freien Fall zur Erde sausen. Solche Überlegungen waren eine der Grundlagen für Einsteins Relativitätstheorie. Der Karlsruher Physik-Professor Henning Genz faltet das ganze Spektrum seiner Wissenschaft unter dem Blickwinkel von Gedankenexperimenten auf. Sein Buch ist allerdings keine leichte Kost. Wer sich auf Vakuum-Fluktuationen, Schwarze Löcher, Quantenmechanik und Unschärferelation einläßt, findet hier viel Faszinie- rendes, aber keinen Königsweg zu Brücken, die er sonst nicht betreten könnte. Wolfram Knapp
Henning Genz GEDANKENEXPERIMENTE WILEY-VCH Verlag Weinheim 1999 291 S., DM 48,–
Wolfram Knapp / Henning Genz