Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Poker um den Megaliner

Allgemein

Poker um den Megaliner
Boing, Airbus und der doppelstöckige Riesenvogel: Die Produzenten von Groß-flugzeugen wetteifern mit allen Tricks um den lukrativen Luftverkehrsmarkt. Ihr jüngstes Spiel: die Entwicklung wahrer Monster-Maschinen.

Drei Jahre lang hatten sie gezögert, finassiert und getrickst. Doch dann sollte alles ganz schnell gehen: Binnen dreieinhalb Jahren wollten die Manager der Boeing Company in Seattle einen neuen Super-Jumbo am Start haben.

Ende Oktober vergangenen Jahres ließen sie Modelle ihrer geplanten Boeing 747-500 X zur Defense Evaluation and Research Agency im britischen Farnborough bringen. Der zweistöckige Rumpf und die superkritischen Flügel des neuen Jumbo-Derivats sollten über tausend Stunden lang im Windkanal getestet werden.

Im November bereits rollten die ersten am Computer konstruierten Rümpfe des Jets, bestehend aus 23000 Einzelteilen, ins Jumbo-Werk Everett bei Seattle. „Ein halbes Dutzend Boeing-Kunden“, erklärte Projekt-Direktor Tim Meskell die Eile, „sind daran interessiert, das Flugzeug 2000 oder 2001 in Dienst zu stellen.“

So hatte die Sache Ende 1996 ausgesehen. Am 21. Januar 1997 folgte dann die kalte Dusche. Die Pläne seien auf Eis gelegt, gab Boeing auf einer Pressekonferenz überraschend bekannt: Angesichts des bislang nur geringen Interesses der Fluggesellschaften wäre die kostspielige Entwicklung allzu riskant geworden.

Anzeige

War das nun die endgültige Entscheidung des Branchenprimus? Oder nur ein Bluff, um den Wettbewerber in Europa – Airbus Industrie – in falscher Sicherheit zu wiegen und insgeheim weiterzumachen? Oder wollte man den lästigen Konkurrenten lieber alleine in das kostspielige Megaliner-Abenteuer rennen lassen, weil ihm dies jegliche Mittel für andere Projekte nähme?

Es darf gerätselt werden. Ein transatlantisches Pokerspiel ist im Gange. Von Anfang an war Boeing weniger dem Druck des Marktes als dem der Konkurrenz gefolgt. Und Airbus demonstriert auch nach dem Boeing-Rückzieher Festigkeit: Nach wie vor will das europäische Konsortium, sofern es genügend Geld zusammenbringt, in sieben Jahren das größte Verkehrsflugzeug aller Zeiten präsentieren – den vierstrahligen Airbus A3XX mit 650 Sitzplätzen auf zwei Decks.

Airbus geht es dabei weniger um die Wünsche der Kundschaft als vielmehr um strategische Vorteile. Oder besser gesagt: um das Ausbügeln strategischer Nachteile.

Zwar gibt es neben Boeing und Airbus weltweit keinen anderen Großanbieter ziviler Verkehrsflugzeuge mehr, seit Boeing im Dezember 1996 die amerikanische Aerospace-Firma McDonnell Douglas übernahm. Rund 60 Prozent des Geschäfts – mit steigender Tendenz – gehen an Boeing, knapp 40 an Airbus. Das ist keine schlechte Position für das erst 25 Jahre alte Unternehmen Airbus, denn die Wachstums-Chancen im Gewerbe sind exzellent. Die Industrie schätzt das Marktpotential für Düsenverkehrsflugzeuge bis 2014 auf mehr als 11000 Exemplare, die Umsätze auf nahezu 800 Milliarden US-Dollar gegenwärtiger Kaufkraft.

Doch Airbus hat ein Handicap: Fast ein Viertel der Stückzahlen und fast die Hälfte der Umsätze werden in den kommenden zwei Jahrzehnten auf Jets mit über 300 Sitzplätzen entfallen. In diesem Bereich aber dominiert Boeing. Bei Flugzeugen für mehr als 350 Passagiere, also bei den Jumbos, besitzt die Firma gegenwärtig sogar das Welt-Monopol.

Boeing nutzt die Lage konsequent. Beim Jumbo-Stückpreis von etwa 170 Millionen Dollar fällt eine saftige Rendite ab – etwa zwei Drittel des gesamten Gewinns der Firma. Elegant kann sie damit die Weiterentwicklung ihrer Bauprogramme finanzieren und die Vermarktung neuer Flugzeugtypen subventionieren.

So erhalten Jumbo-Kunden, vor allem in Asien, hohe Rabatte auf den Listenpreis, wenn sie gleichzeitig weniger gefragte kleinere Boeing-Modelle dazukaufen. Singapore Airlines etwa strich nach einer solchen Aktion Airbus aus der Lieferantenliste und orderte auch die Maschinen unterhalb der Jumbo-Klasse bei den Amerikanern.

Die Europäer können sich dagegen prinzipiell nur wehren, wenn sie Boeings Jumbo-Monopol direkt angreifen. Doch Boeing-Chef Phil Condit hat gut vorgebaut. Mit seinem zweistrahligen Jumbo Boeing 777 („Triple Seven“), in dem über 300 Passagiere Platz haben, holte er 1994 nicht nur die bis dahin führende Airbus-Technologie ein. Das Gespann 747/777 blockiert seitdem nahezu vollständig den Markt bei den Langstreckenflugzeugen für 300 bis 450 Passagiere.

Wenn Airbus das Jumbo-Monopol knacken will, geht das nur noch am oberen Ende der Größenskala, bei Jets mit über 450 Sitzen. Doch da ist die Luft ausgesprochen dünn. Das Airbus-Konsortium entschloß sich deshalb, mit einem neuen Konzept gegen den amerikanischen Konkurrenten anzutreten: Bulliger und größer soll die von den Europäern angedachte neue Klasse von Mega-Jets sein, aber zu gleichem Preis und mit niedrigeren Betriebskosten.

Airbus will dabei den einzigen Schwachpunkt nutzen, den Boeing bei seinen großen Maschinen aufweist: Sie sind vom Entwurf her nicht neu, sondern das letzte Derivat einer gut dreißigjährigen Konstruktionsreihe. Das betrifft vor allem den Querschnitt der Rumpfzelle.

Um zusätzlichen Raum zu schaffen, müßte Boeing bei seinem Megaliner-Konzept den gegebenen, 7,85 Meter hohen und 6,58 Meter breiten Jumbo-Rumpf um zwei Sektionen auf bis zu 85 Meter verlängern. Airbus dagegen setzt für ähnliche Passagierzahlen auf ein neues, mit 8,47 Meter deutlich höheres und 6,25 Meter breites Profil, das aber nur 80 Meter lang ist.

Ins untere Deck passen bei beiden Flugzeug-Konzepten jeweils zehn Economy-Sitze in eine Reihe, die durch zwei Gänge im Verhältnis 3/4/3 unterbrochen ist. Im schmaleren Oberdeck der Boeing aber lassen sich nur sechs Sitze pro Reihe unterbringen – beim Airbus sind es dagegen acht.

Airbus nutzt bei seinen Megaliner-Plänen Ausdehnung und Gewicht des Flugzeugs besser aus. Das hält erstens die Verbrauchswerte niedriger: Der A3XX soll pro Sitz und Kilometer um 20 Prozent billiger fliegen als die gegenwärtig größte Boeing 747-400. Boeings Super-Jumbo dagegen, würde er gebaut, brächte nur zehn Prozent Kostenersparnis.

Zudem können Airbus-Kunden auch an den Flughäfen besser wegkommen. Die meisten internationalen Airports geraten in Schwierigkeiten beim Abfertigen von Flugzeugen, die über 80 Meter lang sind. Die Airline wird dafür mit zusätzlichen Gebühren zur Kasse gebeten.

Auch im Komfort möchte Airbus mit der A3XX die Konkurrenz überbieten. Das Fliegen in einem Koloß, der die Bevölkerung einer niedersächsischen Landgemeinde transportieren könnte, ist per se unbequem – selbst in der Business-Klasse. Beide Mega-Jet-Konzepte aber sind auf Reichweiten zwischen 13500 und 16000 Kilometer ausgelegt.

„Zehn bis zwölf Stunden Bordzeit müssen persönlich sinnvoll zu nutzen sein“, sinnierte unlängst ein Airbus- Planer. Ein gegenüber dem Touristenticket sechs- bis achtmal so hoher Preis sei „für lediglich dreimal Kaviar am Tag und breitere Sitze zu hoch“.

Airbus will – vorausgesetzt, die Fluggesellschaften machen mit – den bislang nur Frachtcontainern vorbehaltenen „Keller“ des Flugzeugs flexibel nutzen. Passagiere der oberen Komfortklassen sollen dort während des langen Fluges einkaufen, schlafen, essen, arbeiten und einen Fitness-Salon besuchen können.

Die Airbus-Konstrukteure planen dazu ein Containersystem, dessen Nutzung je nach Flugdauer, Reiseziel und Reiserichtung verändert werden kann – in Flugrichtung Westen etwa mit mehr Arbeitsräumen (Tagesflug), in Richtung Osten mit mehr Schlafkabinen (Nachtflug) und auf kürzeren Strecken mit mehr Fracht. Boeing hätte mit seinem Mega-Jet Schwierigkeiten, den Frachtraum des Jumbo nach Airbus-Art zu nutzen, da die Stehhöhe mit zirka 1,70 Meter zu gering ist.

Von sieben bis acht Milliarden Dollar Entwicklungskosten, vielleicht auch zehn, war das Boeing-Management ausgegangen. Airbus setzte für die A3XX etwa dieselbe Summe an – eine Kalkulation, über die sich die Amerikaner lautstark wunderten: Für weniger als 12 bis 15 Milliarden Dollar Investment sei ein solches Flugzeug nicht herstellbar. Das stimmt wohl. Doch die Zahlen beider Hersteller riechen nach Politik: Boeing übertreibt, Airbus untertreibt, und beide haben den gleichen Grund: Boeings geschilderten Marktvorteil durch das Jumbo-Monopol.

Ähnlich eingefärbt sind denn auch die Marktprognosen der Kontrahenten. Die Europäer geben sich dreimal so optimistisch wie Boeing. Airbus Industrie sieht einen üppigen Gesamtmarkt für 1380 Mega-Jets, Boeing für nur 470. Andere Prognosen, etwa von den Triebwerks-Herstellern Rolls Royce und General Electric, von Aerospace-Firmen wie der jetzigen Boeing-Tochter McDonnell Douglas, von Aerospatiale, British Aerospace und Dasa, liegen zwischen 500 und 745.

Sie alle, außer Airbus selbst, kalkulieren einen zähen Markt für die Mega-Klasse. Wenige Flughäfen nur bieten ein Verkehrsaufkommen, das für Riesen-Jets noch profitabel wäre. Und immer mehr Airlines benutzen auf der Langstrecke kleinere Flugzeuge als den Jumbo. Der Grund: Nonstop-Flüge auch zwischen mittelgroßen Airports.

Auf der Nordatlantik-Rennstrecke etwa ist der Jumbo-Jet überwiegend von zweistrahligen Flugzeugen abgelöst worden. Immer mehr wird er zu einem „pazifischen“ Flugzeug. In Asien sieht Boeing auch den Massenmarkt der Zukunft. Dort können Jumbos so variabel fliegen wie die kleineren Jets über den Atlantik. Ein echter Mega-Jet jedoch, das steht hinter den Prognosen aus Seattle, werde auch dort nicht gebraucht.

Wenn das stimmt, verträgt der Markt allenfalls einen einzigen Flugzeugtyp dieser Kategorie. Erscheinen zwei, wird der eine ein Flop – oder beide produzieren rote Zahlen. Trotz technischer Brillanz und trotz des mit 200 Millionen Dollar scharf kalkulierten Preises pro Maschine hätte Airbus in einem Elefantenrennen zunächst die geringeren Chancen: Die A3XX käme vier Jahre später als Boeings Stretch-Jumbo. Die Kundschaft wäre auf allenfalls 25 große Airlines, meist im pazifischen Raum, begrenzt. Und die sind sämtlich Boeing-Kunden.

Ist das dem Airbus-Management, das ostentativ an seinen Megaliner-Plänen festhält, etwa egal? Geld verdienen, so deuten es Insider, ist dem europäischen Flugzeugfertiger weniger wichtig als die Chance, den Wettbewerber Boeing am Verdienen zu hindern.

Nur 60 Prozent der A3XX-Kosten wollen die gegenwärtigen Airbus-Partner zahlen. Der Rest soll anders finanziert werden – von privaten Investoren. Wenn’s schief geht, von Europas Steuerzahlern.

Werner Meyer-Larsen

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Se|con|do  I 〈m. 6; schweiz.〉 (in der Schweiz geborener) Ausländer in der zweiten Generation II 〈n.; – od. –s, –con|di; Mus.〉 zweite Stimme (beim vierhändigen Klavierspiel); … mehr

ag|nos|zie|ren  〈V. t.; hat〉 1 anerkennen 2 〈österr.; selten〉 identifizieren … mehr

Like|but|ton  〈[lkbtn] m. 6; IT〉 Symbol, mit dem ein Like (eine befürwortende Bewertung) eines Beitrags in sozialen Netzwerken im Internet zum Ausdruck gebracht wird [<engl. like … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige