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Psycho-Pillen vom Herrn Doktor, Homöopathie von der Kollegin

Allgemein

Psycho-Pillen vom Herrn Doktor, Homöopathie von der Kollegin
Patienten werden bei gleicher Krankheit unterschiedlich behandelt – je nachdem, ob sie zu einem Arzt oder zu einer Ärztin gehen.

Wenn ein Patient zu seinem Arzt geht, erwartet er, dass er und sein Leiden im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Doch oft muss er erleben, dass sich Mediziner bei ihren Behandlungstechniken der gleichen Krankheit deutlich unterscheiden: Sie lassen sich auch von persönlichen Vorlieben leiten. Und: Bei diesen Präferenzen spielt laut aktuellen Studien das Geschlecht eine zentrale Rolle – Frauen arbeiten als Ärzte anders als Männer.

Heide Glaesmer und Hans Christian Deter vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin forschen seit Jahren an diesem ärztlichen „Gender-Thema” (engl. „gender”, Geschlecht). Sie sichteten die entsprechende Literatur und protokollierten das Therapie- und Verordnungsverhalten von 14 Allgemeinärzten und 10 Internisten, die über 11 000 Patienten betreuten.

Das Ergebnis: Ärztinnen gehen meist schon beim Gespräch mit dem Kranken deutlich anders vor als ihre männlichen Kollegen. „ Sie transportieren mehr positive Inhalte”, so die Forscher, „sind eher partnerschaftlich, stellen mehr Fragen und geben mehr Informationen.”

Außerdem haben sie mehr präventive Aspekte im Auge, sie interessieren sich also mehr für die Gesunderhaltung ihrer Patienten. Die männlichen Kollegen verstehen ihren Beruf eher als Reparaturbetrieb, der dann zum Einsatz kommt, wenn etwas kaputt ist.

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Bestätigt wird dieser Trend durch eine Studie der University of California mit 1470 Ärzten. Danach nehmen sich Ärztinnen „ deutlich mehr Zeit für ihre Patienten als ihre männlichen Kollegen”, wie die Studienleiter Peter Franks und Klea Bertakis betonen. Während ein Erst-Gespräch beim weiblichen Doktor durchschnittlich 17 Minuten dauert, darf man beim männlichen Kollegen mit etwas mehr als 14 Minuten rechnen. Wobei der Zeitvorsprung von Frau Doktor noch größer ausfällt, wenn der Patient ebenfalls weiblich ist.

Für das ausgeprägtere Präventivdenken der Ärztinnen spricht zudem die Beobachtung, dass sie ihre Patienten öfter wiedersehen wollen und stärker zum erneuten Besuch der Praxis drängen. Außerdem überprüfen sie häufiger den Blutdruck als ihre männlichen Kollegen.

Auch in ihren Therapiemethoden unterscheiden sich Ärzte und Ärztinnen. So fanden die Arzt-Forscher der Freien Universität Berlin markante Unterschiede beim Ausstellen der Rezepte: Männliche Mediziner verordnen den Patienten deutlich mehr Schmerzmittel und Psychopharmaka.

Ein Patient hat bei einem Arzt eine um 30 Prozent höhere Chance, eine Schmerz- oder Psychopille zu erhalten, als bei einer Ärztin. Außerdem raten männliche Mediziner ihren Rheumapatienten beim Schmerzmittelkonsum zu höheren Dosierungen, während ihre Kolleginnen häufiger unter den üblichen Empfehlungen bleiben.

Insgesamt scheinen Ärztinnen bei ihren Behandlungen „sanfter” vorzugehen. Hierfür sprechen die Beobachtungen von Antonius Pollmann vom Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren, der „in den Fortbildungskursen für Homöopathie einen relativ großen Anteil von Frauen” ausgemacht hat.

Doch in einem Punkt ähneln sich die beiden Ärzte-Geschlechter: Psychopharmaka verordnen sie vorzugsweise den Frauen unter ihren Patienten, offenbar in dem Glauben, dass diese häufiger unter Ängsten und Depressionen leiden als Männer. Unter Experten gilt diese Ansicht als überholt. Frauen leiden nicht häufiger unter seelischen Problemen, sondern werden von den Medizinern – Arzt wie Ärztin – nur häufiger in die Psycho-Ecke gestellt.

Wenn es um Leben oder Tod geht, sind die Männer unter den Ärzten wagemutiger. Ein Forscherteam der Universität Marburg ermittelte, dass unkonventionelle Methoden der Krebsbehandlung – etwa Eigenblut- und Misteltherapie – weitaus häufiger von männlichen Ärzten angeboten werden.

Das alles deutet an, dass die unterschiedliche Ausübung der medizinischen Kunst viel mit den traditionellen Rollenklischees von Frau und Mann zu tun hat: Der zupackende Arzt traut sich in Extremsituationen auch unkonventionelle Maßnahmen zu, während seine ängstliche Kollegin lieber auf Bewährtes und Vertrautes setzt.

Auch die ausgeprägte Neigung männlicher Mediziner, große Mengen an Schmerzmitteln und Psychopharmaka zu verordnen, kann mit einem Klischee erklärt werden: Männer werden schon in ihrer Kindheit auf rasche Problemlösung geeicht – das geht mit Psychopharmaka, die Linderung garantieren, bedeutend besser als mit langwierigem Fahnden nach den Hintergründen der psychischen Störung.

Die längeren Sitzungen und das ausgeprägtere Vor- und Nachsorgeverhalten der Ärztinnen decken sich ebenfalls mit dem weiblichen Rollenbild der empathischen und vorsichtigen Zuhörerin. Wobei hier Vorsicht angebracht ist: Ärztinnen erhalten in ihren Praxen vor allem Besuch von Frauen, und die öffnen sich gerade bei gynäkologischen Erkrankungen eher einer Medizinerin. Mit anderen Worten: Oft fallen die Sitzungen bei der Ärztin nur deshalb länger aus, weil es ihre Klientel so mit sich bringt.

Die unterschiedliche Ausübung des Arztberufs spiegelt zudem die Rollen- und Machtverteilung in der gesamten Gesundheitsversorgung. An der Spitze befindet sich traditionell die männliche Problemlöser-Elite, auf hoch dotierten Professorenposten oder in gut gehenden Facharztpraxen. Unter ihnen arbeitet die weibliche „Fürsorger-Basis” der Krankenschwestern, Hebammen, Krankengymnastinnen und Hausärztinnen, mit deutlich weniger Einkommen und Ansehen in der Öffentlichkeit.

Selbst wenn Michael Myers von der Universität Vancouver in den letzten Jahren „einen merklichen Rollenwandel unter Ärztinnen und Ärzten” ausgemacht hat, führt diese Veränderung nicht zu emanzipierten Machtstrukturen – im Gegenteil. Myers, der sich gezielt mit den Krankheiten von Ärzten beschäftigt, beobachtete, dass immer mehr Arzt-Ehen in die Brüche gehen und der Ton zwischen männlichen und weiblichen Ärzten ruppiger wird.

Die männlichen Mediziner klagen zudem verstärkt über verschiedene Libido- und Potenzprobleme. „So mancher hat sich”, ist Myers Beobachtung, „Viagra selbst rezeptiert.” All das lässt nicht erwarten, dass Ärzte bei ihren Therapien demnächst sanfter vorgehen werden. Denn weshalb sollte ein von Libido- und Beziehungsfrust gebeutelter Doktor seinen Patienten weniger Psycho-Pillen verschreiben?

Jörg Zittlau

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