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Rasante Geburt

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Rasante Geburt
Die Bildung der erdähnlichen Planeten verlief schneller als bisher gedacht. Möglicherweise entstand die älteste Materie unseres Sonnensystems schon innerhalb eines explodierenden Sterns.

Als sich unser Sonnensystem formte, war die Bürokratie noch nicht erfunden. Sonst würde es zweifellos für jeden Planeten und jeden Planetoiden eine Urkunde geben, die über dessen Geburtsdatum und Abstammung genaue Auskunft gibt. Heute, ziemlich genau 4,566 Milliarden Jahre später, fahnden Wissenschaftler nach den exakten Geburtsdaten und vor allem der Geburtsdauer der Himmelskörper. Dabei machen sich die Forscher zunutze, dass die Natur in den Planeten eine Vielzahl von „Uhren“ in Gestalt radioaktiver Elemente ablaufen lässt.

Eine dieser Uhren haben jetzt Mineralogen der Universitäten Münster und Köln wesentlich genauer eichen können – mit überraschenden Konsequenzen für die Entstehungsgeschichte der terrestrischen Planeten. Dazu gehören Merkur, Venus, Erde und Mars. Im Gegensatz zu den Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun bestehen sie hauptsächlich aus Silikaten und Metallen.

Den neuen Erkenntnissen zufolge verlief die Planetenentstehung – nach kosmischen Maßstäben – im Akkord: Der Erdkern, dessen Bildung das Geburtsdatum der Erde definiert, formte sich bereits 30 Millionen Jahre nach der Entstehung unseres Sonnensystems. Das ist – je nachdem, welche der bisherigen Theorien man zugrunde legt – 25 bis 70 Millionen Jahre früher als bisher angenommen. Mars brauchte 13 Millionen Jahre.

Schier unglaublich war das Bildungstempo des 525 Kilometer großen Planetoiden Vesta: Er war schon nach drei bis vier Millionen Jahren fertig. Vesta ist nach Ceres und Pallas der drittgrößte Planetoid im Gürtel zwischen Mars und Jupiter. Die Daten zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Größe und Geburtsdauer: Je größer ein Planet ist, desto länger brauchte seine Entstehung. Woher wissen die Forscher das? Jedes Gestein enthält in Spuren radioaktive Atome. Der Zerfall dieser Atome hinterlässt in dem Gestein eine Art automatische Zeitangabe – ähnlich wie bei einer Videoaufzeichnung, wenn darin fortlaufend eine Uhr eingeblendet wird. Die Mineralogen des Münsteraner Zentrallabors für Geochronologie um Thorsten Kleine haben sich darauf spezialisiert, das „eingeblendete“ Datum abzulesen – was freilich nicht ganz so einfach ist wie beim Videorecorder.

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Für die Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem sich der metallische Kern der noch geschmolzenen Planeten und Planetoiden bildete, eignet sich besonders das radioaktive Hafnium-Isotop Hf-182. Es zerfällt mit einer Halbwertszeit von neun Millionen Jahren in das Wolfram-Isotop W-182. Bei der Bildung des Erdkerns verhielten sich Wolfram und Hafnium sehr unterschiedlich. Während das gesamte Hafnium im Erdmantel blieb, sank ein Großteil des Wolframs in den Erdkern.

Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sich der Erdkern sehr rasch gebildet hat. „War dies aber ein längerer Prozess, dann ist die mittlere Dauer der Kernbildung noch größer als in unserem Modell. Was richtig ist, können wir leider mit unseren Möglichkeiten nicht entschlüsseln“, sagt der Münsteraner Geochronologe Carsten Münker. Doch er und seine Kollegen haben etwas anderes entdeckt: Im Erdmantel fanden sie relativ hohe Anteile von Wolfram-182. In solch großen Mengen kann es dieses Isotop dort aber noch nicht gegeben haben, als sich der Erdkern bildete. Denn sonst wäre es mit abgesunken. Es muss demnach später aus dem radioaktiven Zerfall von Hf-182 hervorgegangen sein. Da dessen Halbwertszeit bekannt ist, konnten die Wissenschaftler an den gefundenen W-182-Anteilen die „ eingeblendete Uhr“ ablesen.

Doch die Uhr musste noch geeicht werden. Dazu benötigten die Geochronologen das relative Mengenverhältnis der Hafnium-Isotope Hf-182 zu Hf-180 im dem Urnebel, aus dem unser Sonnensystem entstand. Hf-180 ist im Gegensatz zu Hf-182 nicht radioaktiv, sondern stabil. Der Wert, den die Forscher durch die Untersuchung von Meteoriten erhielten, die so alt wie unser Sonnensystem sind, ist um mehr als die Hälfte kleiner als der bisher akzeptierte Wert. Das führte unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Planeten schneller geboren wurden als bisher geglaubt. Allerdings gibt es eine mögliche Fehlerquelle: die Bestimmung des genauen Zeitpunktes, zu dem unser Sonnensystem entstanden ist. „Der ‚ Zeitpunkt Null‘ wird durch die Kondensation der ersten festen Materie definiert. Das sind so genannte CAIs, Kalzium-Aluminium-Einschlüsse, die man in chondritischen Meteoriten findet“, erklärt Carsten Münker.

Alastair Cameron vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts und dem Lunar and Planetary Laboratory der University of Arizona nimmt dagegen an, dass diese CAIs bereits vorher entstanden sind – in einer Supernova. Diese Sternexplosion brachte die solare Urgaswolke zum Kollabieren, so dass sich daraus schließlich unser Sonnensystem bilden konnte.

Dazu sagt Münker: „Camerons Meinung ist nicht allgemein akzeptiert. Er argumentiert so, weil in den CAIs Hinweise auf das sehr kurzlebige Beryllium-Isotop Be-7 gefunden wurden. Das kann man aber auch so erklären, dass durch die Supernova radioaktives Material in unseren solaren Urnebel injiziert wurde, als der gerade zu kondensieren begann. Wenn Cameron aber Recht hätte, dann hätten sich die Planetenkerne früher nach der Kondensation gebildet.“ Der Planetoid Vesta – so glaubt Cameron – wäre dann vermutlich in weniger als einer Million Jahre entstanden.

Axel Tillemans

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