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Retter der Riffe

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Retter der Riffe
Wie Andrew Heyward Australiens Korallen neu belebt. Ein australischer Forscher sät Korallenbrut auf geschädigte Riffe. Gerade noch rechtzeitig? Nach neuen Studien droht die Korallenbleiche bis 2100 die meisten Riffe der Weltmeere zu vernichten. Küstenschutz, Fischerei und Tourismusbranche fürchten milliardenteure Folgeschäden.

Eine schlickige Brühe treibt auf dem Wasser über dem Ningaloo-Riff vor der Westküste Australiens. Immer wieder taucht Dr. Andrew Heyward einen Plastikeimer in den bräunlich-roten Schleim, das Ergebnis einer Zeugungsorgie in der Nacht zuvor: Bei Vollmond haben unzählige Korallenpolypen Eier und Sperma ins Meer ausgestoßen. Der Biologe vom Institut für Meeresforschung in Dampier schöpft die wenige Stunden alten Embryonen, einige 100000 pro Eimer. Mit der Korallenbrut will er geschädigte Korallenriffe neu besiedeln. Zwei Jahre später, im Sommer 1999, meldet er den Erfolg. Ein Lichtblick im Kampf gegen das weltweite Korallensterben? 1998 war der vorläufige Höhepunkt in diesem Ökodrama. 32 Nationen an den Küsten der Karibik, des Indischen Ozeans und des Pazifik registrierten das flächige Absterben ihrer Korallen. Ein Viertel des Great Barrier Reefs vor der Ostküste Australiens, des mit 2000 Kilometer längsten Korallenriffs der Welt, war geschädigt. Die Bilanz für 1999 steht noch aus, aber der Harvard-Biologe Prof. Tom Goreau, der ein weltumspannendes Informationsnetz zum Korallensterben pflegt, zeichnete schon wieder neue Kreuze in seine Weltkarte – im Südpazifik, an der Westküste Australiens und an der Nordspitze des Great Barrier Reefs. Ein Hauptgrund für den Tod der Korallen soll die weltweite Erwärmung der Ozeane sein, eine Folge des Treibhauseffektes. Der australische Meeresbiologe Prof. Ove Hoegh-Guldberg von der Universität Sidney hat im Sommer die Ergebnisse von Experimenten veröffentlicht, die diese These untermauern.

Die Lebensgemeinschaft der Korallen reagiert sehr empfindlich auf Temperaturveränderungen. Die meisten tropischen Meere sind 26 bis 28 Grad warm. Wenn die Temperatur schnell nur um ein Grad zunimmt und mehrere Tage hoch bleibt, reagieren die Korallen gestreßt und stoßen die einzelligen Algen aus, mit denen sie in Symbiose leben (siehe Kasten nächste Seite: „Partner auf Leben und Tod“). Die Riffe verlieren ihre Farbe, zurück bleiben weiße Kalkskelette. 1998 hatten Beobachtungen des Nationalen Ozeanographischen Instituts der USA diesen Zusammenhang nahegelegt. NOOA-Satelliten zeichnen unter anderem Veränderungen der Ozeantemperaturen auf. Der Vergleich der Daten zeigte, daß überall dort, wo die Korallen starben, das Wasser längere Zeit mindestens ein Grad wärmer gewesen ist als im langjährigen Durchschnitt. Hoegh-Guldberg wollte es genauer wissen. Er setzte Korallen in Aquarien und heizte ihnen ein. Schon bei einem Grad Temperaturerhöhung fiel die Fruchtbarkeit der Polypen meßbar, bei 32 Grad sank sie um 40 Prozent. Die Symbiose der Korallen mit ihren Algen war erheblich gestört. Vier Grad Erwärmung, das schafft zum Beispiel ein El Niño, eine ursprünglich natürliche, durch den Treibhauseffekt aber verstärkte warme Meeresströmung. Solche El-Niño-Effekte wurden in den neunziger Jahren vermehrt beobachtet. Hoegh-Guldberg ging dann noch einen Schritt weiter. Er schaute sich die aktuellen Modelle über den Treibhauseffekt an und verglich die Prognosen über die Erwärmung der Meere mit der in Regionen, in denen die Korallen wachsen. Ergebnis: Ab 2020 wird das bislang sporadische Korallensterben jährlich auftreten und sich über alle Ozeane ausbreiten. Zuerst soll es die Karibik treffen und die Riffe Südostasiens, ab 2030 das Great Barrier Reef. 2040 erfaßt es den Rest der Südsee. „Im Extremfall“, sagt Hoegh-Guldberg, „werden im Jahr 2100 in den meisten Küstenregionen die Korallen eliminiert sein.“ Selbst wenn der Anstieg des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre die Temperatur nicht so hoch treibt, wie derzeit befürchtet, droht den Korallen Gefahr. Mehr CO2 in der Luft bedeutet, daß sich im Wasser mehr Kohlensäure bildet. Die löst den Kalk der Riffe und behindert die Korallen bei der Aufnahme von Kalzium aus dem Meerwasser, mit dem sie ihre Kolonien bauen. Das Problem treibt nicht nur Naturschützer um, die sich um die einmalige Artenvielfalt der Korallenriffe sorgen. Korallen sind für viele Nationen ein wichtiger Küstenschutz und Wellenbrecher. Ihr Wert wächst mit dem Steigen des Meeresspiegels – zur Zeit etwas mehr als fünf Millimeter pro Jahr. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß wärmer werdendes Wasser sich ausdehnt. Bei einem Anstieg von fünf Millimetern könnten die meisten Korallen durch schnelleres Wachstum mithalten – wenn ihre Umweltbedingungen stimmen.

Die Pharmaindustrie beobachtet seit einigen Jahren ebenfalls die Korallen, zum Beispiel die Art Eleutherobia. Sie wächst vor der Westküste Australiens und produziert das Eiweiß Eleutherobin, das die Vermehrung von Krebszellen hemmt. Forscher vom Scripps-Institut für Ozeanographie in La Jolla, Kalifornien, ergründeten zusammen mit dem Pharmaunternehmen Bristol- Myers Squibb die Struktur des Korallenmoleküls. Es ist ähnlich gebaut wie der potente natürliche Tumorkiller Taxol aus der Rinde des Eibenbaumes, der inzwischen wirksam bei der Krebstherapie eingesetzt wird. Für die Bevölkerung vieler Länder auf der Südhalbkugel ist der Fischreichtum der Korallenriffe überlebenswichtig – noch höher aber beziffern ihre Regierungen den Wert als Wirtschaftsfaktor: Australien schätzt die Einkünfte des Landes allein durch die Attraktivität des Great Barrier Reef auf 1,5 Milliarden Dollar jährlich. In der Karibik bringen Touristen das Hundertfache an Devisen. Den Gästen vom Typ Ballermann würden zwar sicher nach wie vor Sonne, Palmen und Caipiriña genügen, doch Tauchern und Unterwasserfotografen werden auf Dauer Flugzeugwracks und ausrangierte Bohrinseln als Riffersatz nicht reichen (bild der wissenschaft 7/1997, „Fertighäuser für Korallen“). Hier könnte Andrew Heywards neuer Ansatz helfen, Umweltsünden zu korrigieren – an Riffen, wo die Korallen früher durch ungeklärte Abwässer eingegangen sind, wo sie von opportunistischen Algen überwuchert wurden, wo Schiffe Löcher in die Riffe gerissen haben oder der Kalkstein aus dem Meer geholt wurde, um damit Hotels zu bauen. Denn selbst dort, wo es heute Kläranlagen gibt und weitsichtiges Umweltmanagement neue Zerstörung durch Bagger verhindert – ein geschädigtes Korallenriff braucht unter natürlichen Bedingungen gut 50 Jahre, um sich zu erholen. Dann sieht es zwar noch lange nicht so aus wie vorher, aber immerhin haben sich neue Korallen angesiedelt und mit dem Wiederaufbau begonnen.

Diesen Prozeß will Heyward beschleunigen. Er macht sich den Vermehrungszyklus vieler riffbildender Arten zunutze, die einmal im Jahr – meist im Frühjahr, bei Vollmond – ihre Geschlechtszellen massenhaft ins Meer ejakulieren. Die befruchteten Eier treiben als schleimige Matte einige Tage auf der Wasseroberfläche, dann sinken sie auf den Meeresboden und gründen auf geeigneter Unterlage entweder eine neue Kolonie, oder sie vereinigen sich mit der Bevölkerung eines bestehenden Riffes und mischen das Erbgut neu. Um den Laich zu ernten, reichen Plastikeimer. Doch die Brut längere Zeit zu kultivieren, erwies sich als schwierig, da die Larven sehr empfindlich auf Veränderungen reagieren. Inzwischen schafft Heyward es, daß fünf bis zehn Prozent der Korallenembryonen in ihren Zuchtbehältern soweit heranreifen, daß er sie gezielt wieder aussäen kann. Das geschieht meist sieben Tage nach der Befruchtung. Bei Heywards Experimenten wurden die Korallenlarven aus den Zuchtbecken durch einen Schlauch auf ein künstliches Riff aus unglasierten Tonziegeln gepumpt. Die Ziegel sind wasserdurchlässig, porös und ähneln, auf Haufen geschichtet, den von Hohlräumen durchzogenen natürlichen Riffen. Damit die Strömung die Brut nicht wegschwemmt, sind engmaschige Netze darüber gespannt. Auf den mit Laich besäten Tonriffen siedelten sich die Korallen 10- bis 100fach dichter an als auf den Riffen der Nachbarschaft, wo die Wissenschaftler nicht nachgeholfen hatten. Nach dem ersten Erfolg 1997 wiederholte Heyward sein Experiment im vergangenen Jahr mit dem gleichen Ergebnis. Er hält es für möglich, künftig auch in anderen Meeresregionen die Laichzeit der Steinkorallen abzupassen, ihre Brut zu ernten und die Rekultivierung lokaler Riffschäden damit zu beschleunigen.

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Harvard-Ökologe Prof. Tom Goreau zweifelt allerdings daran, daß die Methode Heywards in größerem Maßstab hilft, zum Beispiel gegen das Korallensterben durch die Erwärmung der Meere. Dafür seien die meisten Arten zu empfindlich. Außerdem werde die Besiedlung wahrscheinlich scheitern, wenn Heyward die Brut statt auf saubere Tonziegel auf abgestorbene Korallenstöcke säe, die schon von Algen bewachsen oder von Schlamm bedeckt seien. Goreau setzt größere Hoffnungen auf ein Verfahren, das der deutsche Architekt Prof. Wolf Hilbertz entwickelt hat, und das schon in vielen tropischen Meeren mit Erfolg eingesetzt wird: Dabei werden nicht vorhandene Riffstrukturen neu besiedelt, sondern Goreau und seine Kollegen lassen gleich ganz neue Riffe wachsen. Sie machen sich dazu die elektrochemischen Eigenheiten des Meerwassers und der darin gelösten Mineralien zunutze. Legt man an einen Metalldraht Gleichstrom an – umweltfreundlich produziert von Solarzellen, die an Bojen befestigt sind -, so scheiden sich an dem Metall Magnesium und Kalzium als wachsende Krusten von Brucit und Kalziumkarbonat ab. Diese Krusten dienen nicht nur Korallen, sondern auch anderen festsitzenden Meerestieren wie Muscheln und Moostierchen als Siedlungspunkte. Mit der Zeit entsteht so ein Riff, das einem natürlichen ähnelt. Die Form des Drahtgeflechtes – Pyramiden, Kegel oder langgestreckte Röhren – gibt die Form des neues Riffes vor. Man kann damit lokale Breschen schließen, aber auch ganze Strände mit einem künstlichen Korallenwall als Brandungsschutz umgeben. Wolf Hilbertz setzt diese Methode derzeit in Jidaah am Roten Meer ein, im Auftrag der Regierung Saudi Arabiens. Goreau, der mit der Hilbertz-Methode in der Karibik und im Indischen Ozean Riffe wachsen läßt, hat zudem beobachtet, daß die darauf siedelnden Korallen weniger unter der Erwärmung des Meerwassers leiden. Er berichtete, viele Korallen auf den stromdurchflossenen Riffstrukturen hätten überlebt, während ringsumher die natürlichen Korallenstöcke ausgebleicht seien. Wo die Korallen auf den Kunstriffen doch gestorben seien, hätte sich schnell eine neue Population angesiedelt. Ein Grund dafür könnte sein, spekuliert Goreau, daß im Umfeld der Drahtgeflechte der pH-Wert des Wassers durch die Elektrizität zugunsten der Korallen verändert ist. Aber auch Heywards Korallenbrut könnte im Kampf gegen die Folgen der Meereserwärmung helfen – in Kombination mit einer Technik, die allerdings noch ganz am Anfang steht: Meeresbiologen unter Leitung des Tropenforschungsinstituts in Balboa, Panama, berichteten vor kurzem, daß manche Korallen den Wärmestreß besser überstehen als artgleiche in derselben Region. Die überlebenden Korallen hatten wärmetolerantere Algen als zusätzliche Symbionten aufgenommen. Wenn das von Natur aus geschieht, so die Überlegung, warum sollte man dann nicht versuchen, die Korallenembryonen vor der Aussaat mit neuen Symbionten als Überlebenshelfer zu impfen?

Partner auf Leben und Tod

Ein Korallenstock ist so etwas wie ein Hochhaus für eine riesige Kolonie millimetergroßer Einzeltierchen, die Korallenpolypen. Die Polypen nehmen Kalzium aus dem Meerwasser auf und scheiden es als Kalk wieder aus. An der Oberfläche des wachsenden Riffs warten sie in kleinen Löchern auf Beute. Die Polypen fangen Plankton, das sie mit Giftkapseln betäuben. Sie verschlingen Einzeller, aber auch Larven von Würmern und Kleinstkrebsen. Außerdem nehmen sie aus dem Wasser gelöste Nährstoffe auf. Das reicht den meisten Korallenarten aber nicht. Deshalb leben sie in Symbiose mit einzelligen Algen. Die Algen im Inneren der Korallen versorgen die Polypen mit Sauerstoff, den sie durch Photosynthese produzieren, sowie mit Zucker, Aminosäuren und Fettsäuren. Die Algen profitieren im Gegenzug von den Ausscheidungen der Korallen. Die Algen sind auch die Ursache für die bunten Farben der Riffe in den tropischen Meeren. Manche Korallenarten können mit ihren Kalkabscheidungen ein Riff jährlich um 20 Zentimeter wachsen lassen, andere Arten schaffen nur wenige Millimeter im Jahr. Ein großes Riff kann viele tausend Jahre alt sein. Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens – zuweilen als achtes Weltwunder bezeichnet – ist mindestens 10000 Jahre alt. In Korallenriffen hat man 1000 Arten von Schwämmen gezählt, 4000 Arten von Meeresschnecken, 2000 Fischarten und 350 Arten von Seesternen und anderen Stachelhäutern. Von den riffbildenden Steinkorallen sind bisher 2500 Arten bekannt.

Jürgen Nakott

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