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Romantik trügt

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Romantik trügt
Ehen, die im siebten Himmel geschlossen werden, halten auf Erden nicht lange.

Das Glück hätte größer nicht sein können: Die frisch Verheirateten überschütteten sich mit Liebesbekundungen. Von allen gerade getrauten Ehepaaren, die die Psychologen nach dem späteren Lebensweg in verschiedene Gruppen einteilten, zeigten sie einander zu Beginn die größte Zuneigung.

Doch was so hoffnungsfroh begann, war nicht von Dauer. Gerade die anfangs besonders eifrig turtelnden Pärchen ließen sich nach sieben und mehr Jahren Ehe scheiden. In der frühen Blütezeit ihrer Liebe hatten sie ein Drittel mehr Zuneigung demonstriert als die später glücklich Verheirateten.

Diese unromantisch präzisen Angaben eruierte ein Team von Forschern um den Psychologieprofessor Ted Huston von der Universität von Texas. Die Wissenschaftler wollten klären, welche Ehen scheitern werden und wieso: Warum treten gerade die zunächst besonders zärtlichen Pärchen etliche Jahre später besonders häufig den Gang zum Scheidungsrichter an? Diesen und weiteren Fragen widmet sich das Langzeit-Projekt PAIR (Processes of Adaptation in Intimate Relationships).

1981 baten die Forscher frisch getraute Eheleute, an der Untersuchung teilzunehmen, fast die Hälfte willigte ein. Diese 168 Paare gaben den protokollierenden Psychologen Auskunft über ihre Gefühle füreinander und hielten die Wissenschaftler auf dem laufenden, als die in den folgenden zwei Jahren immer wieder vorsprachen. Nach einer langen Pause meldeten sich die Forscher schließlich noch einmal: 13 Jahre nach dem Ja-Wort erfragten sie, ob die Ehe schnell (binnen zwei Jahren), früh (nach zwei bis sieben Jahren) oder spät (nach sieben Jahren) geschieden worden war. Von den immer noch Verheirateten wollten sie wissen, ob die Verbindung glücklich sei.

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Die Zahl von 168 Paaren beeindruckt zunächst nicht sonderlich, doch Wissenschaftlern gelingt es selten, so viele Paare über einen so langen Zeitraum zu verfolgen. Darum zählt die jetzt in der Fachzeitschrift Journal of Personality and Social Psychology publizierte Langzeitstudie zu den wichtigsten Untersuchungen der Eheforschung. Zumal es Hustons Team gelungen war, die Paare schon sehr früh zu befragen: Andere Psychologen rücken oft erst an, wenn die ersten Paare bereits wieder geschieden sind.

Die PAIR-Forscher dagegen konnten quasi zusehen, wie das Glück der ursprünglich besonders verliebten Paare verflog: Binnen eines Jahres zeigte sich ein „steiler Rückgang“ der Liebesbekundungen – viel stärker als bei den anderen Gruppen. Offenbar zahlten sie nun den Preis für ihre anfängliche Euphorie. Die kurze Zeit ihrer „Wirbelwind-Werbung“ lege nahe, so die Forscher, daß sie „ besonders motiviert waren“, ihrer Beziehung Leben einzuhauchen.

Diese Jungvermählten erhöhten den Zusammenhalt künstlich durch eine „trügerische Eintracht“, ein „Zusammengehörigkeitsgefühl, das eine Vielzahl unausgesprochener Bedenken ebenso verdeckt wie unterdrückte Meinungsverschiedenheiten“, wie der Soziologe Willard Waller 1938 in einem zum Klassiker gewordenen Buch formulierte. In der Tat blühen Liebe und Romantik erst einmal losgelöst von den im Hintergrund lauernden Problemen, so das Ergebnis einer späteren Studie.

Nach den beiden ersten Jahren schätzten die Eheleute, die auf dem Weg zu einer späteren Scheidung waren, in Hustons Studie ihren Partner und ihre Beziehung nicht negativer ein als die anderen Paare. Ihre Zuneigung war so groß wie die derer, die noch ein gutes Jahrzehnt später glücklich verheiratet sein sollten. Allerdings kamen die Scheidungskandidaten von anderen Höhen – deshalb hatten ihre Gefühle einen drastischen Absturz hinter sich.

Doch sie gaben noch nicht auf. Die Forscher: „Diese Paare brauchten dennoch etliche Zeit, um den Glauben an ihre Ehen völlig zu verlieren – vielleicht weil sie hofften, ihre Beziehung würde die ursprüngliche Lebendigkeit wiedergewinnen.“

Zum Verhängnis wurde diesen schnell geschiedenen Paaren nicht mangelnde Zuneigung zu Beginn ihrer Liebe – davon hatten sie überreichlich. Sie scheiterten an Desillusionierung. Dies gilt nach Hustons Ergebnissen auch für die früh Geschiedenen (zwei bis sieben Jahre). Ihnen schien der Honigmond zu Anfang nicht ganz so hell, doch auch sie begannen ihre Ehe schwer verliebt. Aber mit ihrer Liebe ging es schnell bergab, Mißstimmungen und Streit nahmen zu.

Auf den ersten Blick klingt der Befund trivial, daß Scheidungen in Desillusionierung begründet sind. Weiß die Menschheit nicht seit ewigen Zeiten, daß die großen Gefühle für den angebeteten Menschen oft schnell verfliegen? „Vor der Ehe haben wir unsere Phantasien“, resümierte Eheforscher Waller schon vor rund 70 Jahren, „nach der Heirat die wirkliche Person – gewöhnlich ist die Phantasie edler und besser.“ Dieser Eindruck bestätigt sich in Hustons Studie: In allen Gruppen machte sich Desillusionierung breit. Doch warum blieb die Mehrheit der Paare trotzdem zusammen? Die naheliegende Erklärung stimmt: Die standhaft Treuen müssen mit weniger Desillusionierung fertig werden.

Doch das ist nicht ihr ganzes Geheimnis. Offenbar nehmen sie den Abstieg von den romantischen Höhen ins Flachland alltäglicher Zuneigung leichter und betrachten ihn als normal.

Darauf deutet ein überraschendes Ergebnis: Wie heftig die Desillusionierung ist, hat keine Auswirkungen auf das Eheglück. Für die Paare, die wirklich einen Bund fürs Leben geschlossen haben, kommt es nur auf die ursprünglichen Gefühle füreinander an. Für die Unzertrennlichen gilt: Je mehr Liebe und je weniger Zweifel zu Beginn, desto glücklicher später die Ehe.

Es ist also keine gute Idee, gleich ganz ohne große Gefühle vor den Traualtar zu treten, nur um eine Desillusionierung zu vermeiden. Die Folge wäre eine trostlose Ehe. Solche Verbindungen sind gar nicht so selten, und sie erweisen sich häufig als stabil. Wenn solche Ehen doch auseinandergehen, dann rasch. Die von Hustons Team untersuchten illusionslosen Ehen, die innerhalb der ersten zwei Jahre geschieden wurden, boten von Beginn an ein trauriges Bild: Schon bei der ersten Befragung nach zwei Monaten Ehe empfanden die Partner wenig Liebe und gingen ausgesprochen ruppig miteinander um. Wut, Ungeduld und andere negative Gefühlsäußerungen waren viermal so häufig wie positive Zuwendung – zuträglich für eine Beziehung ist das umgekehrte Verhältnis.

Warum aber haben die Paare, die es sich so schnell wieder anders überlegen, überhaupt geheiratet? Sie waren häufig jung, wollten dem verhaßten Elternhaus entkommen und hofften nach einer stürmischen und wechselvollen Phase der Umwerbung, mit einem Trauschein komme alles ins Lot – wie im Roman.

„Dieser kulturelle Mythos“, vermutet Huston, „könnte zum Glauben führen, daß die Ehe als Kur taugt für die Eifersucht des anderen, für seine Untreue und seine mangelnde Aufmerksamkeit.“ Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht.

Jochen Paulus

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