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Rülpser und Furunkel

Allgemein

Rülpser und Furunkel
Wie eklig darf Wissenschaft sein? „Je unappetitlicher, umso besser“, finden amerikanische Kinder – und stürmen in eine neue Ausstellung über menschliche Ausscheidungen.

„Ich kam auf die Idee, als ich mir die Fußnägel schnitt“, erinnert sich Sylvia Branzei. Sie ist Gestalterin einer Ausstellung, die derzeit durch die US-Science Centers tourt: Dank ihrer inspirativen Körperpflege werden amerikanische Museumsbesucher mit „Grossology“ vertraut gemacht – zu Deutsch etwa „Ekelogie“. „The impolite side of the human body“, so der Untertitel der Präsentation, verspricht übersetzt die „unhöfliche“ Seite des menschlichen Körpers – gemeint ist wohl eher die „ unappetitliche“ Seite. Doch halt, keiner muss mit Brech-Tüten ins Museum. Zwar ist „Grossology“ voller realistischer Details und Farben, aber ohne schlechten (Nach-)Geschmack: Im typisch amerikanischen Entertainment-Stil – bunt, interaktiv und ein wenig wie in Disneyland – erfahren die Besucher an rund 20 Ausstellungsexponaten, was ihr Körper alles so produziert und warum. Schon von weitem hört man einen gigantischen Rülpser, den eine drei Meter große, Limonade schlürfende Pappfigur von sich gibt – ausgelöst von eifrig an Kurbeln drehenden Kinderhänden, die den Magen des Mannes ohne Manieren mit brausend grüner Flüssigkeit vollpumpen. Lerneffekt: Man kann nicht im Liegen rülpsen, sondern nur aufgerichtet. „Das liegt an einer kleinen Klappe, die wir im Magen haben“, erläutert Sylvia Branzei. „Sie verhindert, dass der Mageninhalt nach oben entfleucht.“ Sobald Luftblasen in unserem Magen sind, wandern diese nach oben, drücken gegen die Klappe und entweichen geräuschvoll. Wenn wir liegen, bleiben sie eingesperrt. Sie treffen dann lediglich auf die Magenwand. 15-mal am Tag entfährt dem Durchschnittsmenschen ein derart befreiender Laut. Ungefähr genauso oft lässt er Luft „ nach hinten“ ab, wobei es eine halbe Stunde dauert, ehe die Luft vom Mund zum Anus gelangt. Diese und andere Fakten erfahren die Besucher an Flipperautomaten namens Gasattacke. Hier sammeln die Kinder Punkte, wenn sie diejenigen Lebensmittel beschießen, die Blähungen fördern. Nur ein paar Meter weiter mutieren die Museumsgäste zu Staubpartikeln, indem sie durch eine gigantische Nase wandern. „Ich hätte nie gedacht, dass wir über einen Liter Schnodder am Tag herunterschlucken“, staunt eine kleines Mädchen und erschreckt, als die Riesennase einen lauten Nieser freigibt. Ob sie auch mitbekommen hat, dass wir Luft mit einer Geschwindigkeit von rund sechs Stundenkilometern einatmen, beim Niesen jedoch mit 100 Stundenkilometern „ausatmen“? Oder dass sie wahrscheinlich auf dem Höhepunkt ihrer olfaktorischen Kompetenz ist, da der Geruchssinn bei Zehnjährigen am besten funktioniert? „ Mit dieser Ausstellung lernen Kinder spielerisch etwas über ihren Körper und letztlich über Wissenschaft“, sagt Sara Loveless, Sprecherin vom Saint Louis Science Center, Missouri, und verweist auf die zehn Meter lange Magen-Darm-Rutsche, wo kreischende Kinder durch einen überdimensionalen Verdauungstrakt sausen. In Bewegung sind die Besucher auch beim Urin-Spiel. Hier sind sie mittels Virtual Reality Teil einer Niere und müssen mit einem Handschuh Abfallstoffe aus dem Blutstrom fischen. Und hier gibt es auch eine Antwort auf die Frage, warum die Warteschlange vor den Damentoiletten stets länger ist als vor den Herrentoiletten: Frauen benötigen durchschnittlich fürs Urinieren 79 Sekunden, Männer nur 45. Auch am „Vomit Center“ (Kotz-Zentrum) sind strahlende Gesichter zu sehen. Die interaktive Anordnung von Schläuchen, Kurbeln und grün-braunen Flüssigkeiten erklärt die zentrale Rolle des Gehirns beim Erbrechen, was zum Übergeben führt und was genau oben wieder herauskommt. Ein Blick in den gefüllten Ausstellungssaal zeigt: Was „Grossology“ auf jeden Fall bricht, sind die Besucherrekorde in den amerikanischen Wissenschaftsmuseen: In der „Science World“ im kanadischen Vancouver ging die Präsentation gerade in eine Verlängerung. „Es ist die erfolgreichste Ausstellung, die wir je zu Gast hatten“, bestätigt Sara Loveless vom Science Center in Saint Louis. Wenig verwunderlich daher, dass die ungewöhnliche Präsentation bereits für die nächsten vier Jahre ausgebucht ist. Ausstellungsmacherin Sylvia Branzei begründet den Erfolg damit, dass alle Menschen, insbesondere Kinder, von ihrem Körper fasziniert sind. Die 42-jährige Kalifornierin muss es wissen. Sie unterrichtet Teenager an einer Highschool in den naturwissenschaftlichen Fächern. Branzei: „Die Aufmerksamkeit erhöht sich extrem, wenn ich über die Entstehung von Blähungen spreche oder die Zusammensetzung des Schweißes erkläre. Kinder mögen einfach solch eklige Dinge!“ Auf dieser natürlichen Neugierde basieren mittlerweile vier populäre Kinderbücher, die Branzei über Ekelogie verfasst hat. Sie bilden auch das Konzept für die Grossology-Ausstellung. Doch einigen Besuchern stößt die bunte Präsentation von Furzen und Furunkeln unangenehm auf. „Ich finde es bedenklich, dass wir unser Publikum derart beleidigen“, urteilt Hooley McLaughlin, Berater am „Ontario Science Center“ in Kanada. In den über 400 Science Centers weltweit präsentiere sich Wissenschaft zunehmend in Comic-Manier, „der intellektuelle Reiz, eine etwas anspruchsvollere Ausstellung zu entdecken, geht immer mehr verloren“. Vielleicht hat McLaughlin Recht. Wenn sich die an der Hautwand kletternden Kinder von Pickel zu Warze hangeln, ist es zweifelhaft, dass sie die nebenbei aufgestellten Schautafeln studieren, um zu lernen, dass auf ihren Gesichtern zwei Millionen Bakterien leben. „Amerikanische Museen müssen sich eine Menge einfallen lassen, um mit Hollywood, Baseball und den vielen Freizeitparks konkurrieren zu können“, entgegnet Terry Sparks, Sprecher der Ausstellungsfirma Advanced Exhibit, die der Branzei-Idee Leben einhauchte. Ob Ekelogie tatsächlich das richtige Zugpferd ist, können bald auch deutsche Besucher bewerten: Dieses Jahr werden Rülpser-Mann, Riesen-Nase und Co nach Europa kommen. INTERNET Die Ausstellung gastiert vom 26. Januar bis zum 28. April 2002 im Buffalo Museum of Science in Buffalo, New York, und geht dann nach New Jersey ins Liberty Science Center in Jersey City. Im Mai wird sie nach Europa kommen: ins Londoner Science Museum. Weitere Tour-Daten und Informationen unter: www.grossologytour.com

Sylvia Branzeis Homepage für Kinder (mit Rezepten für künstlichen Schnodder): www.grossologytour.org Lesen Ekel-Bücher für Kinder von Sylvia Branzei: VIRTUAL GROSSOLOGY: SEE IT! TOUCH IT! HEAR IT! SMELL IT! TASTE IT (Achtung: Einige Seiten des Buchs stinken wirklich!) Planet Dexter 1997, € 23,13

HANDS-ON GROSSOLOGY: THE SCIENCE OF REALLY GROSS EXPERIMENTS (mit Experimenten für den Schulunterricht) Planet Dexter 1999, € 6,94

Desiree Karge

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