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Saatgut und Hoffnungsmedizin

Allgemein

Saatgut und Hoffnungsmedizin
Was sich durch Biotechnologie künftig ändern wird. Bier, Sauerteigbrot, Käse – das waren jahrhundertelang die charakteristischen Produkte der Biotechnologie. Mit der Gentechnik kommen jetzt auch Pflanzen mit neuen Eigenschaften – und vor allem der Start in die Biomedizin des 21. Jahrhunderts.

Die Fachleute in der Jury des BioRegio-Wettbewerbs (siehe Seite 84) demonstrierten Einmütigkeit: „Alle erwarten“, so der Vorsitzende Prof. Karl Molitor, „daß die Biomedizin bei zukünftigen Anwendungen der Biotechnologie die Hauptrolle spielen wird.“

Biomedizin als Fokus der biologischen Industrie im 21. Jahrhundert: Der Tip liegt nahe. Denn schon heute stammen drei der zehn weltweit umsatzstärksten Pharma-Wirkstoffe aus dem Arsenal der Biotechnologie – aus Kulturen lebender Zellen: Erythropoietin: Die Injektion dieses Wachstumsfaktors für rote Blutzellen erspart schwer Nierenkranken ständige Bluttransfusionen. Weltjahresumsatz: 3,2 Milliarden Mark. Hergestellt wird der Wirkstoff in gentechnisch umgetrimmten Hamsterzellkulturen durch Firmen wie Amgen und Ortho Biotech. Human-Insulin: Diabeteskranke würden ohne künstliche Insulinzufuhr ins Koma fallen. Viele Ärzte sehen Vorteile für ihre Patienten, indem sie statt des Insulins aus tierischen Bauchspeicheldrüsen das menschliche – in E.-coli-Bakterien nachgebaute – Human-Insulin verschreiben. Weltjahresumsatz: etwa 2,9 Milliarden Mark. Hersteller sind beispielsweise die Pharmafirmen Eli Lilly und Novo Nordisk. Interferone: Eine Gruppe von körpereigenen Botenstoffen hilft, als Medikament verabreicht, gegen einige Krebserkrankungen. Ebenfalls in gentechnologisch veränderten E.-coli-Bakterien erzeugt, füllen diese Wirkstoffe die Kassen von Pharma-Unternehmen wie Hoffmann-La Roche und Sumitomo mit jährlich etwa 2,6 Milliarden Mark.

Immer mehr bringen die Firmen zuwege: Blutfaktoren und Gewebshormone, Antikörper und Impfstoffe. 1996 hatten 167 der insgesamt 1287 US-Biotechnologie-Firmen (Europa: 716) fast 700 Produkte im klinischen Versuch, steht im Branchenreport „Biotech 97“ der Unternehmensberatung Ernst & Young LLP. Noch nie sei die Pipeline so gut gefüllt gewesen.

Freilich: Trotz der genannten drei „Blockbuster“, wie Medikamente mit mehr als einer Milliarde US-Dollar Jahresumsatz im Branchenjargon heißen, ist der Biotechnologie-Markt noch vergleichsweise klein. Für 1995 – neuere Zahlen liegen nicht vor – weist der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) eine Gesamt-Pharmaproduktion der Triade Europa, Japan und USA in Höhe von 357 Milliarden Mark aus. Davon seien etwa 5,5 Prozent – im Wert von rund 20 Milliarden Mark – gentechnisch hergestellt worden.

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Doch das ist eben erst der Anfang. Die Genauigkeit und Schnelligkeit, mit der sich Pharmaka durch gen- oder biotechnische Methoden auf die Zielstrukturen im Gewebe zuschneidern lassen, wird mit konventioneller Chemie nicht erreicht. Daher sollen in einem Jahrzehnt bereits 20 bis 25 Prozent aller neuen Therapeutika biotechnisch produziert werden. Der erwartete Umsatz liegt oberhalb von 50 Milliarden Mark.

Da schmerzt es, abseits zu stehen. Die deutsche Volkswirtschaft erlebt den Aufgalopp zur biologischen Industrie des 21. Jahrhunderts aus der Perspektive der spät Erwachten. Als Absatzmarkt für biotechnologische Pharmaka, errechnete das Prognos-Institut, wird im Jahr 2000 Deutschland ansehnliche 8,2 Prozent der Weltproduktion aufnehmen. Doch hierzulande produziert werden voraussichtlich nur 3,5 Prozent. Mindestens die Hälfte der Bio-Pharmaka stammt wohl aus den USA.

Das amerikanische PTO, das Patent and Trademark Office, setzt – nach Ansicht von Insidern – seine Patente heute konsequent als Mittel einer Abschottungspolitik ein: Ihre Spitzenposition in der Biotechnologie wollen die USA unter allen Umständen verteidigen.

Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Manko für die Europäer. Was die Biomedizin des 21. Jahrhunderts an Potentialen birgt – weit über die kontrovers diskutierte Gentherapie hinaus -, werden sie weitgehend in der passiven Rolle von Absatzmärkten erleben.

Die Ära der „Genomics“ bringt die individualisierte Therapie Mindestens 50000 Gene enthält die Erbsubstanz des Menschen. Im 1987 begonnenen „Human Genome Project“, dem bislang größten biologischen Vorhaben aller Zeiten, werden sie vollständig kartiert und identifiziert. 15 Jahre hätte das unter amerikanischer Federführung stehende Regierungsprojekt zunächst dauern sollen, jetzt ist vom Zieljahr 2005 die Rede. Kosten von drei Milliarden Dollar wurden veranschlagt.

Die persönliche Risiko-Analyse – aus Gen-Tests ermittelt Längst haben sich auch private Investoren auf systematische Genom-Aufklärung verlegt. Die Akteure sind meist in den USA gegründete Firmen wie The Institute for Genomic Research (TIGR) in Rockville, Maryland. Es locken reiche Pfründe.

Denn einer der bestimmenden Zukunftstrends heißt „Genomics“: die auf Einzelpersonen bezogene Analyse von „Krankheits-Genen“ und genetisch bedingten, individuellen Anfälligkeiten. „Erst seit es Genomics gibt, beginnen wir die molekularen Zusammenhänge von Krankheiten zu entwirren – mit der Aussicht, ihrem Fortschreiten effektiver Einhalt zu gebieten als je zuvor“, meint Dr. Alan G. Walton von der Firma Oxford Bioscience Partners.

Darin liegen unübersehbare Marktchancen. Denn wie viele Genomics-Kunden werden es schon ablehnen, zusammen mit ihrer persönlichen Risiko-Analyse gleich das volle Service-Paket zu erwerben? Das könnte so aussehen: „Ihr persönliches Programm für ein gesundes Leben – mit Pharmaka, Ernährungs- und Verhaltenstips, um Ihren individuellen Krankheitsrisiken vorzubeugen.“

Eine Genomics-Firmenszene gruppiert sich bereits seit Ende der achtziger Jahre. Auf längere Sicht wird daraus eine neue, genetisch mitbestimmte, individualisierte Humanmedizin entstehen. Nicht nur die ererbte Ursache von Krankheiten wird identifizierbar. Auch die Behandlung wird sich auf den einzelnen perfekt zuschneiden lassen.

Das heißt aber zugleich: Wer die Kenntnis seiner genetisch angelegten Risiken ablehnt, wird gesellschaftlichem Druck standhalten müssen – ob von seiner Versicherung, seinem Arbeitgeber oder seinen Schwiegereltern. Denn man hätte „es“ ja rechtzeitig wissen und alles Menschenmögliche versuchen können, um das Krankheitsrisiko abzuwenden.

Die Ära der Hoffnungsmedizin bricht an In den Industrieländern werden die Menschen immer älter. Da hier die alten Menschen auch künftig oft über ansehnliche Mittel verfügen werden, können sie eine immer aufwendigere Medizin in Anspruch nehmen: Transplantation von leistungsschwach gewordenen Organen, Knochenersatz, Auffrischung des Gehirns und der Sexualfunktionen.

Dahinter muß beileibe nicht nur Luxus und Jugendlichkeitswahn stecken. Der ältere Mensch hat in einer Epoche zunehmender Vereinzelung schlechte Chancen, in die Gemeinschaft eingebunden zu bleiben, wenn er zu viel geistige oder körperliche Mobilität einbüßt. Wird er gar zum Pflegefall, droht ihm die Verwahrung im Alters- beziehungsweise Pflegeheim. Jeder weiß es, und jeder fürchtet sich davor.

Das bahnt der Ära der „Hoffnungsmedizin“ den Weg, vermutet der Biochemiker und Gentechnik-Experte Prof. Hans-Günter Gassen von der Technischen Hochschule Darmstadt. „Die Leute werden bereit sein, erhebliche Gelder in die Hoffnung auf ein von Krankheiten ungetrübtes Alter zu investieren“, begründet Gassen. „Der Zukunftsmarkt wird sich auf vermögende Privatpatienten ausrichten, die für noch ungeprüfte experimentelle Methoden und Wirkstoffe der Biomedizin Riesensummen ausgeben – umworben von einem Schwarm von privaten Kliniken und Gesundheitsberatern.“

Schon heute ist das Repertoire an verfügbaren biologisch aktiven Substanzen beachtlich. „Noch nie zuvor“, sagt Gassen, „hatten wir plötzlich Wachstums- und Zellteilungsfaktoren in solchen Mengen in der Hand wie jetzt durch die Gentechnologie. Auch unser Wissen über Zellteilung und Zelldifferenzierung wächst derzeit sehr schnell.“ Zellteilung und Zelldifferenzierung spielen nicht nur bei Krebs eine Rolle, sondern auch beim Alterungsprozeß. Transgenes Saatgut wird Renner der „grünen Gentechnologie“

Die „grüne Gentechnologie“ – Sammelbegriff für biotechnische Schädlingsbekämpfung und Erzeugung transgener (gentechnisch veränderter) Pflanzen – kann mit Perspektiven dieser Tragweite nicht aufwarten. Doch auch hier wird die Biotechnologie die Szene gründlich ändern. In bislang 6000 bis 10000 Freilandversuchen – je nach Zählweise – testeten Firmen und Forschungsinstitute mehr als 50 Pflanzenarten, denen neue Erbinformationen eingesetzt wurden: für Krankheits- und Herbizid-Resistenzen, verbesserte Toleranz gegenüber Hitze, Kälte und Trockenheit, verbessertes Spektrum von Inhaltsstoffen – etwa Fett- und Aminosäuren.

In Deutschland tut man sich immer noch schwer. Nicola Arndt und Joachim Schiemann von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig ermittelten als Bilanz für 1996: Von den hierzulande 33 Freisetzungsvorhaben mit Zuckerrüben, Kartoffeln, Raps, Aspen, Mais, Tabak und Petunien wurden 19 durch Behinderungen oder Zerstörungen beeinträchtigt, 9 verhindert oder völlig zerstört.

Dieser Kleinkrieg ändert nichts am globalen Trend. Zwar sind die Absolutzahlen noch klein: Für 1997 rechnet das Prognos-Institut mit 113 Millionen Mark Umsatz für transgenes Saatgut in Europa, für das Jahr 2000 mit 206 Millionen Mark. Doch der Saatgut-Markt umfaßt weltweit mehr als 45 Milliarden Mark.

Die wirtschaftlich wichtigsten Zielpflanzen für gentechnische Saatgut-Verbesserung sind Mais und Soja: Der Fleisch- und damit der Tierfutterbedarf steigt kräftig in Südost- und Ostasien. Weltweit wurden 1996 insgesamt 127 Millionen Tonnen Sojabohnen geerntet, fast die Hälfte von US-Farmern. Auf 1,6 Prozent der 25 Milliarden Hektar Anbaufläche in den Vereinigten Staaten sprossen im vergangenen Jahr transgene Soja-Pflanzen – resistent gegen das Breitband-Herbizid „Round-up“. Für 1997 schwanken die Schätzzahlen zwischen 12 und 20 Prozent.

Der Trend ist jedoch klar: In ein bis zwei Jahrzehnten dürften unter den 29 Haupt-Nutzpflanzen der Welt etwa 80 Prozent gentechnisch verändert sein. Hans-Günter Gassen sieht in den Bemühungen, die Ernteerträge durch moderne Biotechnologie zu steigern, keinen Grund zur Entrüstung – im Gegenteil: „Ich halte es für geboten, die Nahrungsmittelproduktion weltweit etwa 10 Prozent über dem Verbrauch anzulegen.“ Nur dann, argumentiert er, bleiben die Lebensmittelpreise auch in Entwicklungsländern halbwegs stabil.

Gassen hält es sogar für moralischer, in die Biotechnologie der Pflanzenzüchtung zu investieren anstatt in die Biomedizin: „Nur wenn die Leute in den armen Ländern nicht mehr ihr gesamtes Einkommen für Ernährung ausgeben müssen, können sie etwas für die Ausbildung ihrer Kinder tun und ihnen aus dem Teufelskreis der Armut heraushelfen.“

Biotechnik ist das Nutzen von lebenden, vermehrungsfähigen Zellen, um Produkte herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. Gentechnik ist ein vor 25 Jahren erfundener Verfahrensweg innerhalb der Biotechnik, nämlich das Neukombinieren von Erbsubstanz im Reagenzglas und deren Vermehrung in lebenden Zellen. Bio- beziehungsweise Gentechnologie ist das wissenschaftliche Gedankengebäude hinter der betreffenden Technik.

Thorwald Ewe

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