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Schade, daß Sie schon wieder gehen!

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Schade, daß Sie schon wieder gehen!

Wenn Philosophen sich streiten, ist das noch lange kein Grund, es in bild der wissenschaft zu kommentieren. Der Streit – oder feiner: der Diskurs – gehört zu ihrer täglichen Arbeit wie das Denken. Schon seltener kommt es vor, daß Geisteswissenschaftler vor aller Öffentlichkeit aneinandergeraten und dann noch nicht einmal vor Unterstellungen, Intrigen und Beleidigungen zurückschrekken. Und wenn es dann auch noch um die Veränderungen unseres Menschenbildes durch die Fortschritte der Naturwissenschaften geht, dann stehen wir mitten in den Themen dieser Zeitschrift. Willkommen Herr Sloterdijk. Schön, daß Sie mit Ihrem Vortrag auf Schloß Elmau eine Debatte um die gesellschaftlichen Folgen der Gentechnik ausgelöst haben. Gut, daß Sie dabei so brutale, provozierende Worte wie „Menschenpark“ und „Menschenzüchtung“ in den Mund genommen haben. Wertvoll, daß Sie selbst eingefleischte Feuilleton-Redakteure dazu gebracht haben, sich mit der Entwicklung der Naturwissenschaften zu beschäftigen. Schade, daß Sie schon wieder gehen, Herr Sloterdijk. Denn offensichtlich ging es bei der Debatte ja gar nicht um unser Menschenbild, sondern um eine Abrechnung zwischen zwei philosophischen Schulen. Oder gar zwischen zwei eitlen Schulmeistern?

Ganz im Ernst: Die Fragen, die der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk aufgeworfen hat, wären es wert, ernsthaft und nachhaltig in der ganzen Gesellschaft diskutiert zu werden, nicht nur von einigen wissenschaftsnahen Intellektuellen oder politischen Heißspornen. Ist der Mensch tatsächlich ein wildes Tier, das durch Kultur gezähmt werden muß? Ist der Humanismus wirklich daran gescheitert? Und darf überhaupt ein Mensch sich zu des Menschen Hüter aufschwingen?

Nicht allein die Gentechnik hat Sloterdijk bei solchen Thesen im Blick. Wer seine Elmauer Rede mit Bedacht liest, wird entdecken, daß die gezielte Veränderung der Erbanlagen für ihn lediglich die nächste, drohendste Herausforderung ist, die sich dem humanistischen Menschenbild der Philosophen stellt. Die eigentliche Revolution, die solche Herausforderungen auslöst, hat für ihn in den letzten 50 Jahren schon stattgefunden – in Form des Fernsehens, des Internet und anderer kulturvermittelnder Medien. Sie ersetzen die national gesteuerte, hierarchisch organisierte Kulturvermittlung – seit Plato das probate Mittel zur „Entwilderung“ des Menschen.

Doch welche Kultur bringen sie? Medien, in denen andere Gesetze herrschen, etwa die des Kommerzes, die nicht mehr zwangsläufig wahrgenommen, sondern nach Lust konsumiert, die selektiv gewählt und individuell erlebt werden? Sicher ist eines: Sie führen zu einer Auflösung von traditionellen Kulturgemeinschaften – der Nationen – zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft. Doch was kommt statt dessen? Das weiß auch Peter Sloterdijk nicht. Es ist gut, daß die Fragen gestellt sind. Schade, wenn sie in Sloterdijks Kampf mit Übervater Jürgen Habermas und seinen Jüngern in den Feuilleton-Redaktionen untergingen. Denn im Lichte von Gentechnik, Virtual Reality und Gehirnforschung wird es Zeit, die Debatte um ein modernes Menschenbild öffentlich auszutragen. Was muß der Mensch dürfen können? Wo liegt die Grenze zwischen menschlich und unmenschlich? Diese alten Fragen werden wir ohne die Hilfe der Philosophen auch im 21. Jahrhundert nicht beantworten können.

Reiner Korbmann

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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