Seit Jahren rätseln Biologen und Umweltschützer über die Ursache des mysteriösen Geiersterbens in Indien. Die Bestände der Raubvögel auf dem Subkontinent sind seit Anfang der neunziger Jahre um 95 Prozent zurückgegangen. Untersuchungen der verendeten Tiere hatten keine Hinweise auf Umweltgifte wie Arsen und Quecksilber oder eine Virusinfektion ergeben. Lindsay Oaks von der Washington State University in Pullman hat jetzt herausgefunden: Verantwortlich ist der Pharma-Wirkstoff Diclofenac. Als Rheumamittel in der Humanmedizin viel verwendet, wird Diclofenac auch in der Tiermedizin, besonders bei Rindern, als schmerzstillendes und entzündungshemmendes Medikament eingesetzt und wegen des günstigen Preises von indischen Tierärzten oft verschrieben. Stirbt ein behandeltes Rind, wird es oft den Geiern überlassen, da Hindus das Fleisch nicht essen dürfen. Wenn die Vögel die Kadaver fressen, nehmen sie das Diclofenac hochkonzentriert auf und sterben an Nierenversagen. Für Oaks ist das „der erste erwiesene Fall in der Geschichte, dass ein pharmazeutisches Produkt eine ökologische Katastrophe in einem solch großen Gebiet anrichtet.“ Umweltschützer fordern, die Verabreichung von Diclofenac sofort einzustellen, da die Geier als Aasfresser im ökologischen Kreislauf eine wichtige Funktion erfüllen.
Hans Groth