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Sie machen Dreck zu Geld

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Sie machen Dreck zu Geld
Gewusst wie: Ein Stuttgarter Biotech-Unternehmen will aus Erde Pharmawirkstoffe gewinnen.

Im Urlaub habe ich meistens zu wenig leere Filmdöschen“, schmunzelt Dr. Christoph Pfefferle. Die kleinen Plastikdosen sind ideal, um Bodenproben zu sammeln. „Durch Studium und Beruf erlebe ich die Umwelt einfach anders als die meisten.“ Mit geschultem Blick sieht der Biologe deshalb in einsamen Bergwerkstollen oder in einem frischen Erdrutsch vor allem die Lebensräume interessanter Mikroorganismen. Und das aus gutem Grund: Aus diesem scheinbaren Dreck lassen sich hochwertige Rohstoffe für die Entwicklung neuer Medikamente gewinnen.

Pfefferle hält ständig Ausschau nach Bakterien, mit denen er Geld verdienen kann. Aus dem Wissenschaftler an der Universität Tübingen wurde ein Unternehmer, nachdem er mit einem Antrag für Forschungsgelder scheiterte. Seinen Plan, nützliche Bakterien aufzuspüren und auszunutzen, wollte das Forschungsministerium nicht finanzieren. Weiterhin überzeugt von seiner Idee, beschloss Pfefferle auf eigene Faust – und auf eigene Rechnung – weiterzumachen.

Solchen Gründergeist unterstützt das Land Baden-Württemberg mit der Initiative „Junge Innovatoren“. Sie hilft beim Schritt von der Universität in die freie Wirtschaft, bringt gleich Gesinnte zum Erfahrungsaustausch an einen Tisch. Pfefferle begegnete dabei dem Bio-Unternehmer Dr. Wolfgang Arndt, der ebenfalls mit Mikroorganismen arbeitete. Bei einem Bier waren sich die beiden schnell einig, dass ein gemeinsames Unternehmen viele Vorteile für alle Beteiligten hätte – zumal sie beide eine ähnliche Geschäftsidee verfolgten. Und die Chemie zwischen den Wissenschaftlern stimmte auch: Sie sind gute Freunde geworden.

Ein weiterer Glücksfall war, dass Wolfgang Arndts Frau Hilke Betriebswirtschaft studiert hatte. Sie sorgte für die notwendige unternehmerische Kompetenz im jungen Betrieb. Schließlich zählen für Geldgeber nicht die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sondern ein überzeugendes Unternehmenskonzept und seriöses Auftreten. Dass sie die beiden Wissenschaftler so gut ergänzte, „ klingt ja wirklich nach einem kitschigen Hollywood-Drehbuch“, meint Hilke Arndt. Aber die Stimmung im Gründerteam stimmt nun mal. Gemeinsam überzeugten die Jung-Unternehmer einen Risikokapitalgeber, dass sich die Investition in die Sourcon-Padena AG lohnen wird.

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Der ungewöhnliche Name ist ein Wortspiel der beiden Gründer. Sourcon leitet sich von „source on“ (basierend auf Grundlagen) ab. Und Wolfgang Arndt kürzte „Patente der Natur“ zu Padena.

Die Patentlösungen der Natur aufzuspüren, ist denn auch das Ziel der mittlerweile 14 Mitarbeiter des Bio-Unternehmens. Als ergiebigste Quelle für neue Pharmawirkstoffe haben sich in den letzten Jahren Mikroorganismen erwiesen. Sie haben sich an ganz unterschiedliche Lebensräume angepasst. Bis zu zehn Millionen verschiedene Spezies stecken in nur einem Gramm Erde. Um dort leben zu können, besitzen einige Arten eine einzigartige biochemische Ausstattung. Die sichert nicht nur das Überleben der Bakterien, sie ist auch der Grund, warum die Winzlinge für die Bio-Unternehmer so interessant sind. Sie werden zum Grundstock für die Entwicklung neuer Medikamente – und damit sehr gefragt in der pharmazeutischen und chemischen Industrie.

Mit den Bodenproben aus dem Urlaub legt Christoph Pfefferle im heimischen Labor Kulturen an. Die interessanten Winzlinge aus der Erde wachsen nur unter genau auf sie abgestimmten Umweltbedingungen heran. Diese Bedingungen zu finden und im Labor herzustellen, ist eine Kunst. Denn auch Bakterien sind äußerst wählerisch: Die Zusammensetzung der Nährmedien und das Klima müssen richtig sein, damit sie sich vermehren. Die Vorlieben der verschiedenen Arten notieren und speichern die Biotechniker in einer firmeneigenen Datenbank.

Wie unterschiedlich die Bakterien sind, zeigt schon der Blick in die Petrischale: Manche werden schrill bunt oder zeigen bizarre Formen. Andere riechen auffallend, mitunter nach feuchter Walderde.

Aus den Petrischalen wandern die Bakterien in Glaskolben, in denen sie bis zur Ernte geschüttelt werden. Für diese kommt schließlich das Herzstück der jungen Firma zum Einsatz: der selbst konstruierte Extraktor. Extra für diesen sensiblen Teil der Wirkstoffsuche gebaut, erforderte die Entwicklung der Maschine viel Zeit sowie Verständnis für Chemie und Technik. Für Pfefferle, der zunächst Chemie studierte, kein großes Problem. Die Technik musste allerdings gemeinsam mit einem Tüftler entwickelt werden. „Da ist es schon wichtig, dass der versteht, worum es geht. Umgekehrt musste ich begreifen, wo die technischen Probleme und Grenzen liegen“, erinnert er sich. Der komplizierte Apparat reinigt und konzentriert den wertvollen Inhalt der Bakterien. Am Ende der Prozedur gewinnt man einen so genannten Naturstoffextrakt: einen Cocktail voller Enzyme, Eiweiße und Vitamine.

Sourcon-Padena muss nun große chemische Unternehmen über Besonderheiten und Vorzüge dieser Cocktails informieren, „ schließlich tummeln sich viele Bio-Firmen auf dem Markt“, sagt Hilke Arndt. Internationale Kongresse sind eine gute Gelegenheit, um Neuigkeiten auszutauschen. Vertreter der chemischen Industrie nutzen solche Tagungen, um sich über die neuesten Entwicklungen in der Biotechnologie zu informieren. „Da fliegt man schon mal um die halbe Welt. Und trifft dann dort neue Geschäftspartner aus der schwäbischen Nachbarschaft“, erzählt Pfefferle.

Dem Team von Sourcon-Padena ist es gelungen, „Big Pharma“ auf sich aufmerksam zu machen. Ein ganz bestimmter Wirkstoff-Cocktail eignet sich als biochemisches Rostschutzmittel. Das ist beispielsweise für Kosmetikhersteller wichtig, weil dadurch Hautcremes haltbarer werden. Über die Wirkung anderer Naturstoffextrakte mag der Geschäftsmann Pfefferle jetzt noch nicht reden: „Da stehen wir erst vor den Verhandlungen über eine längerfristige Zusammenarbeit.“

Ein Produkt gibt es bereits zu kaufen: einen nützlichen Bodenbewohner, der Pflanzen gut tut. Unter dem Namen Proradix (lat.: pro radice = für die Wurzel) verkaufen die Stuttgarter dieses Pflanzenstärkungsmittel. Die darin enthaltenen Bakterien umhüllen die Wurzeln von Nutzpflanzen wie eine Wolke. Dadurch schützen sie die Pflanzen vor Krankheitserregern und stärken ihre Abwehrkräfte. Mit Proradix kann das Saatgut von Gemüse und Salaten behandelt werden. Die Wurzeln von Kartoffeln werden vor Fäule geschützt und selbst der Rasen auf dem Golfplatz gedeiht besser.

Ist Christoph Pfefferle zufrieden mit seiner Entscheidung, Unternehmer zu werden? „Rückblickend auf alle Fälle, aber eigentlich ist gar keine Zeit für Rückblicke. Die Champagnerflasche zur Feier unserer gelungenen Finanzierung haben wir immer noch nicht geöffnet.“

Stattdessen blickt er in die Zukunft und plant mit Hilke Arndt den weiteren Ausbau des wachsenden Unternehmens. Wolfgang Arndt dagegen fiel der Abschied von der Grundlagenforschung schwerer. Er hat Sourcon-Padena verlassen und forscht jetzt wieder in einer Tübinger Biotech-Firma an Proteinen, die Signale weiterleiten. Das tut aber der Freundschaft und Verbundenheit mit dem ehemaligen Mitstreiter keinen Abbruch.

Michael Wochner

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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