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Solisten im All

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Solisten im All
Woher stammen die Sterne, die zu keiner Galaxie gehören? Planetensysteme – Sterne – Galaxien – Galxienhaufen: So lautet die Hierarchie im All. Demnach dürfte es keien Einzelsterne zwischen den Galaxien geben. Doch das Hubble-Teleskop hat kürzlich solche Einzelgänger aufgespürt. Sie sind Störenfriede der kosmischen Ordnung.

Die Astronomen hatten schon lange die endlosen leeren Räumen zwischen den Galaxien nach einzelnen, isolierten Sternen durchforstet. Nicht weil es sie – nach welchen Überlegungen auch immer – geben müßte, sondern eher aus einem Unbehagen heraus: Sind Sterne immer an Galaxien gekoppelt, stimmt dieses Ordnungsprinzip im Kosmos überall?

Mit Teleskopen vom Erdboden war es bisher nicht gelungen, ihre Existenz oder ihr Fehlen zweifelsfrei nachzuweisen. Das Hubble-Weltraumteleskop ließ jedoch hoffen, denn es kann wesentlich genauer und empfindlicher in die „leeren“ Räume des Alls schauen. Und tatsächlich: Rund 600 winzige Lichtpunkte zählten Harry Ferguson vom Space Telescope Science Institute in Baltimore und seine Kollegen kürzlich auf einer Aufnahme, die sie mit dem Hubble-Teleskop von der Umgebung der Galaxie M 87 im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens gemacht hatten – Lichtpunkte, wie man sie von leuchtstarken Einzelsternen zwischen den Galaxien erwarten würde. Bei diesen etwa 600 Quellen handelt es sich vermutlich nur um die hellsten Exemplare einer zahlenmäßig sicher weit größeren Population. Die amerikanischen Astronomen schätzen deshalb die Gesamtmasse frei umherdriftender Sterne auf bis zu 10 Prozent der Masse des Virgo-Haufens, was umgerechnet etwa der Masse von einer Billion Sternen entspricht.

Ungeachtet dieser großen Zahl umherstreunender Sterne ist jeder einzelne doch ein einsamer Wanderer im intergalaktischen Raum. Ein hypothetischer Bewohner auf einem nicht minder hypothetischen Planeten um einen solchen Stern würde deshalb einen recht fremdartig erscheinenden Himmel beobachten: Von dem mit ungezählten Lichtpunkten übersäten Himmel, wie ihn ein Urlauber an der See oder im Hochgebirge erlebt, wäre hier nichts zu sehen.

Über einem Planeten, der um einen der unlängst entdeckten intergalaktischen Sterne kreist, wäre der Himmel völlig sternlos: Wenn die nächste Galaxie 300000 Lichtjahre und mehr entfernt ist, verschwinden auch noch so helle Riesensterne im blassen Nebel des Gesamtlichtes – allenfalls gelegentliche Supernova-Explosionen könnten für Abwechslung sorgen. Und ausreichend helle Nachbarsterne aus der Gruppe der intergalaktischen Wanderer sind höchst unwahrscheinlich. Dafür aber wäre der Himmel eines solchen Planeten voller nebliger Milchstraßensysteme. Die hellsten würden schon dem Betrachter mit bloßem Auge ihre Struktur offenbaren.

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Gewiß, diese „Nebel“ wären bei genauerem Hinsehen auch nur Sterne. Doch dies zu erkennen, erforderte schon bei unserer Milchstraße Generationen von Forschern. Als der italienische Naturforscher Galileo Galilei vor nunmehr fast 400 Jahren zum ersten Mal sein Fernrohr auf die Milchstraße richtete, jenes schmale blaß-schimmernde Band, das zumindest in dunklen Sommernächten an unserem Himmel zu sehen ist, entdeckte er, daß es sich aus dem Licht vieler Einzelsterne zusammensetzt.

Später fanden die Astronomen heraus, daß die Milchstraße eine riesige Sterneninsel mit einem Durchmesser von rund 100000 Lichtjahren darstellt und einige Hundertmilliarden Sterne umfaßt – Sterne wie unsere Sonne. Wir selbst befinden uns mit dem Sonnensystem rund 25000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt, also etwa auf halbem Wege von innen zum Rand.

Umgeben wird dieses gewaltige Sternsystem von einer Wolke – die Astronomen sprechen von einem „Halo“ – aus kugelförmigen Sternhaufen zwischen 10 und 180 Lichtjahren Durchmesser. Jeder von ihnen enthält einige 100000 Sterne, größere Exemplare auch bis zu einer Million. Mehr als 120 solcher kugelförmigen Sternhaufen sind mittlerweile bekannt, doch die Gesamtzahl ist sicher deutlich höher, da weite Teile in unmittelbarer Nähe der Milchstraße jenseits des galaktischen Zentrums für uns nicht zu beobachten sind – die vorgelagerten Dunkelwolken schatten diese Regionen ab.

Diese kugelförmigen Sternhaufen umrunden das Milchstraßen-Zentrum auf zum Teil sehr langgestreckten elliptischen Bahnen, die noch dazu oft stark gegen die Milchstraßen-Ebene geneigt sind. Da sie vorwiegend sehr alte Sterne enthalten, gelten sie als Relikte aus der Entstehungszeit der Galaxis, als die noch frische, wohl ursprünglich eher kugelförmige Wolke aus Wasserstoff und Helium sich langsam verdichtete und schließlich zu einer immer flacheren Scheibe wurde.

Schon länger wissen die Astronomen, daß die kugelförmigen Sternhaufen den Milchstraßen-Halo nicht als einzige besiedeln. Sie fanden dort auch viele veränderliche Sterne vom Typ „RR Lyrae“, die ebenfalls zu den ganz alten Sternen gehören.

Da alle RR-Lyrae-Sterne etwa gleiche absolute Helligkeit besitzen, also ähnlich viel Energie abstrahlen, eignen sie sich recht gut als Entfernungs-Indikatoren. Anders als bei den Cepheiden-Veränderlichen scheint die Dauer der Helligkeitsänderung, die ohnehin nur im Stundenbereich liegt, für die absolute Helligkeit ohne Belang zu sein.

Mit Hilfe der RR-Lyrae-Sterne konnten die Astronomen die Dimensionen des galaktischen Halos ermitteln: Er reicht mindestens einige zehntausend Lichtjahre von der galaktischen Ebene nach „oben und unten“ weg – das ist wenig im Vergleich zu den Entfernungen zwischen den Galaxien. Würde die Erde einen solchen Stern im galaktischen Halo umrunden, so sähe unser Himmel etwas einseitig aus: Nur die eine Himmelshälfte böte einen Anblick, wie wir ihn von der Sommermilchstraße her kennen: eine matt schimmernde Sternenwolke, die sich über weite Teile dieser Himmelshälfte erstreckt. Aber weder in dieser Richtung noch sonstwo am Himmel gäbe es auffallend helle Sterne wie Sirius oder Wega, denn deren herausragende Helligkeit ist nur vorgetäuscht: Sie sind uns einfach nur besonders nah.

Die gegenseitigen Abstände der Halosterne untereinander belaufen sich aber nicht wie in der Umgebung der Sonne auf einige wenige, sondern eher auf einige hundert Lichtjahre – und da verblaßt selbst ein Sirius zu einem Sternchen der 6. Größenklasse und darunter, wäre also mit bloßem Auge gar nicht mehr zu erkennen.

Als Leuchtriesen kann man aber auch die RR-Lyrae-Sterne nicht gerade bezeichnen, sind sie doch mit bloßem Auge kaum mehr als 400 Lichtjahre weit zu sehen. Bleiben also nur noch die wirklichen „Riesenscheinwerfer“ wie etwa Rigel, der rechte Kniestern im Orion: Er würde selbst aus einer 5000 Lichtjahre entfernten Wolke der Milchstraße immerhin noch als Stern der 3. Größenklasse ins Auge springen und erst jenseits von rund 20000 Lichtjahren der Sicht des bloßen Auges entschwinden.

Hier, am äußeren Rand des Milchstraßen-Halo, hörte die Existenzberechtigung von Sternen bisher auf. Doch seit den jüngsten Entdeckungen auf den Aufnahmen des Hubble-Teleskops wissen wir, daß es die Einsamen zwischen den Galaxien gibt. Die Astronomen sprechen von „freien Feldsternen“, um anzudeuten, daß sie weder an Kugelsternhaufen noch an galaktische Systeme gebunden sind, sondern im Feld dazwischen herumgeistern. Die weitere Beobachtung könnte den Astronomen helfen, mehr über das offenkundige Massendefizit bei Galaxien und dessen Auflösung in Erfahrung zu bringen.

Aufgrund anderer Beobachtungen weiß man, daß Galaxienhaufen sehr viel mehr Materie enthalten müssen, als sich mit den Teleskopen nachweisen läßt. Woraus diese sogenannte Dunkle Materie besteht, ist allerdings noch völlig unklar. Wenn man aber die Bewegung dieser freien Sterne verfolgt, die nur durch die Schwerefelder der bekannten Materie gesteuert wird, sollten eventuell erkennbare Strömungen auch die großräumige Verteilung der Dunklen Materie verraten – ob sie sich etwa mehr oder minder gleichmäßig über den gesamten Galaxienhaufen verteilt oder aber im Umfeld der einzelnen Galaxien konzentriert ist. Dies wiederum könnte Rückschlüsse auf die Natur der Dunklen Materie erlauben.

Darüber hinaus hofft man, die jetzt gefundenen Sterne zwischen den Galaxien als „Standardkerzen“ nutzen zu können, um die kosmologische Entfernung des Virgohaufens zu bestimmen. Da es sich jedoch um Objekte bis herunter zu einer scheinbaren Helligkeit der 28. Größenklasse handelt, wird eine genaue spektroskopische Untersuchung zur Ermittlung der absoluten Helligkeiten nicht einfach sein.

Durch Vergleich der Spektren könnten die Astronomen sogar herausfinden, woher die Ausreißer stammen. Vermutlich sind sie bei engen Begegnungen von Galaxien innerhalb des Haufens den Schwerkraftfesseln der Kollisionspartner entrissen worden. Es könnte sich aber ebensogut um Überreste von völlig aufgelösten Galaxien handeln oder sogar um Sterne, die – auf welche Weise auch immer – im intergalaktischen Raum entstanden sind, ohne je Teil einer Galaxie gewesen zu sein.

Hermann-Michael Hahn

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