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Störe für den Rhein

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Störe für den Rhein
Den letzten europäischen Stören ist die Lust auf Sex vergangen. Forscher wollen mit Nachzüchtungen helfen – doch es gibt kaum noch Wildtiere.

Störe für den Rhein Den letzten europäischen Stören ist die Lust auf Sex vergangen. Forscher wollen mit Nachzüchtungen helfen – doch es gibt kaum noch Wildtiere. Der urtümlichste Fisch Mittel- und Westeuropas steht unmittelbar vor dem Aussterben: der europäische Stör. Retten kann man den saugmäuligen Fisch nur, wenn man seine Biologie und sein Verhalten kennt. „Genau dieses Wissen aber fehlt uns, weil die Tiere bereits vor hundert Jahren aus den mitteleuropäischen Gewässern weitgehend verschwunden sind“ , sagt Frank Kirschbaum. Neben dem Zoologen und seinen Kollegen vom Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin kümmern sich nur die Mitarbeiter des Bundesamtes für Naturschutz auf der Insel Vilm bei Rügen tatkräftig um die Erhaltung des Störs. Am Anfang des Artenschutzes steht also erst einmal die Grundlagenforschung: Wie lebt der Stör, wo vermehrt er sich, weshalb verschwindet er überhaupt? Beobachtungen in der Natur können solche Fragen kaum beantworten, da dem europäischen Stör (Acipenser sturio) nur der Unterlauf der Gironde beim französischen Bordeaux als letzter Lebensraum geblieben ist. Allenfalls 4000 Individuen schwimmen dort noch – Ende des 19. Jahrhunderts wurden dagegen jedes Jahr allein in der Unterelbe mehr als doppelt so viele Störe gefangen. Damals nutzte man sie noch als Quelle für Kaviar, ähnlich wie heute den russischen Beluga. Immerhin konnten französische Wissenschaftler die Wanderungen der Störe teilweise nachvollziehen, indem sie einige ausgewachsene Exemplare markierten. Diese Tiere wurden an verschiedenen Stellen im Nord-Atlantik und sogar bei Island wieder gesichtet. Andere Angaben lassen sich nur schätzen: „Wir wissen nicht einmal genau, wie groß die Tiere normalerweise werden“, erklärt Kirschbaum. Er durchforstete alte Zeitungen, um diese Frage zu klären. Das Problem dabei: In Zeitungen wird zwar über Rekord-Exemplare berichtet, der normale Fang aber kaum erwähnt. Die Berichte über einst gefangene 4 Meter lange und 400 Kilogramm schwere Störe sagen deshalb wenig über die normale Größe des Fisches aus. Der typische Stör ist wahrscheinlich eher 2,5 Meter lang und wiegt zwischen 50 und 100 Kilogramm, schätzt Kirschbaum. Auch das Wissen über die Fortpflanzung mussten die Forscher mangels Beobachtungsmöglichkeiten aus historischen Texten schöpfen. Denn den letzten Stören am Unterlauf der Gironde ist die Lust auf Sex abhanden gekommen: Seit 1995 laichen sie nicht mehr. Normalerweise schwimmen die Tiere zum Laichen die Flüsse hinauf, wo sie mit klarem Wasser durchströmte Kiesbänke aufsuchen. Die Hoffnung der Artenschützer ruht zurzeit vor allem auf den zwei Zuchtbeständen, die seit 1994 in Frankreich und Berlin gehalten werden. „27 Störe schwimmen in den Becken des IGB und sind fast geschlechtsreif“, freut sich Kirschbaum. Bis dahin war es ein harter Weg, da auch über die Ernährung der Störe niemand Genaueres wusste. Das sonst übliche Fischmehl verschmähten die Zuchtstöre. Erst eine in vielen Versuchen entwickelte Spezialdiät aus Zuckmücken-Larven schmeckte den Berliner Tieren. Die Fische der zweiten Zuchtgruppe an der Gironde entpuppten sich als noch extremere Feinschmecker – sie fraßen nur frische Garnelen. Durch ihre schmackhafte Diät sind die Störe des IGB bei Berlin inzwischen auf stattliche Längen von mehr als einem Meter herangewachsen. Der Ernstfall naht: Denn die 130 Zentimeter langen Männchen und 150 Zentimeter langen Weibchen werden geschlechtsreif. Welches Geschlecht ein Stör hat, weiß jeder andere Stör genau. Doch die Forscher könnten dies nur mithilfe einer kleinen Operation herausfinden. Die aber scheut man zurzeit in Berlin, weil jedes Risiko für die kostbaren Zuchtexemplare vermieden werden soll. Das langfristige Ziel der Wissenschaftler ist es, die Störe wieder in ihren alten Habitaten anzusiedeln. Aber bevor die ersten Tiere in die Freiheit entlassen werden, müssen die Forscher klären, weshalb sie überhaupt aus den Flüssen verschwunden sind. Antworten geben die Statistiken der Fischer: Versperren Wehre den Wanderweg und werden Kiesbänke bei Begradigungen weggebaggert, ist das Gewässer für die Störe verloren. Genau das geschah im 19. und 20. Jahrhundert an praktisch allen Flüssen Europas. Zunehmende Wasserverschmutzung und Überfischung gaben der Art den Rest, und die Bestände brachen rasch zusammen. In den letzten Jahren hat sich die Situation teilweise gebessert. Dank moderner Kläranlagen ist Wasserverschmutzung heute kein Problem mehr. An deutschen Flüssen wird außerdem nicht mehr intensiv gefischt, und nicht alle Abschnitte der Flüsse sind verbaut. „Sowohl der Unterlauf der Elbe als auch der Rhein wären für eine Freisetzung geeignet“, meint Kirschbaum. Denn an der Elbe versperrt erst ein Wehr bei Geesthacht, mehr als 100 Kilometer landeinwärts, den weiteren Wanderweg, und am Rhein steht das erste Hindernis sogar erst südlich von Straßburg bei Iffezheim. Wenn die Niederlande die Flut-Wehre im Rheindelta ab dem Jahr 2005 – wie angekündigt – so öffnen, dass Fische rheinaufwärts wandern können, sollten die europäischen Störe auch dort wieder Laichplätze für ihre Brut finden. Die deutschen Behörden werden die Freisetzungen wohl genehmigen, da die treibende Kraft hinter allen Bemühungen das Bundesamt für Naturschutz ist.

Sascha Karberg

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