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Südafrikas Sonderweg gegen Aids

Allgemein

Südafrikas Sonderweg gegen Aids
Wie kann man die Immunschwäche wirksam bekämpfen? Die Thesen des „Aids-Dissidenten” Peter Duesberg sorgen schon lange für Streit. Er sagt: HIV allein verursacht kein Aids. Jetzt bekommt der Außenseiter Unterstützung von Südafrikas Präsidenten Thabo Mbeki.

Was hat das Virus HIV mit Aids zu tun? Die Frage ist eigentlich geklärt. Seit ein paar Monaten wird aber heftig darüber diskutiert. Auslöser der Debatte: Der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki bezweifelte öffentlich, daß HIV die einzige Ursache für die Immunkrankheit ist. Trotz weltweiter Proteste sucht er nun Rat bei dem umstrittenen US-Forscher Peter Duesberg, der seit den achtziger Jahren vehement diese These vertritt. Rund vier Millionen Südafrikaner sind inzwischen mit dem HI-Virus (Human Immunodeficiency Virus) infiziert – Tendenz steigend. Um eine nationale Katastrophe zu verhindern, will Mbeki neue Wege im Kampf gegen die Krankheit einschlagen. Anfang Mai stellte er ein Team aus 33 Wissenschaftlern zusammen, das sich mit den zentralen Fragen zu HIV und Aids in Südafrika beschäftigen soll. Schon für die Auswahl seiner Berater erntete Mbeki von Politikern und Wissenschaftlern weltweit heftige Kritik. Denn neben dem führenden Aids-Forscher Luc Montagnier vom Pasteur-Institut in Paris gehören dem Komitee auch die selbst umstrittenen Kritiker der etablierten Aids-Forschung Peter Duesberg und David Rasnick von der University of California in Berkley an. Schelte bekam Mbeki auch aus dem eigenen Land: „Südafrika könnte dadurch zu einem fruchtbaren Boden für Pseudowissenschaften werden”, warnt Malegapuru Makgoba vom Medical Research Institute of South Afrika. Einige Wissenschaftler kündigten an, die 13. Welt-Aidstage Anfang Juli in Durban (Südafrika) zu boykottieren. Mark Wainberg, Präsident der International Aids-Society, befürchtet, allein die Debatte um die Frage „ist HIV der Auslöser für Aids?” könne zu unverantwortlichem sexuellen Verhalten der Bevölkerung und so zur unkontrollierten Verbreitung des Erregers führen. Harte Worte, denen Mbeki mit ebensolcher Härte begegnete. Er verschickte Stellungnahmen zu den Vorwürfen unter anderem an US-Präsident Bill Clinton: „Die Welt sollte bei ihren Forschungen nach den möglichen Ursachen für HIV und Aids nichts unversucht lassen. Wir sollten unsere Augen nicht vor möglichen Lösungen verschließen, egal wie kontrovers sie auch gegenüber konventionellen Theorien sein mögen.” Das sind die Thesen Duesbergs allemal. Seit 1984 erstmalig geklärt wurde, daß HIV die wahrscheinlichste Ursache für die Immunschwächekrankheit ist, gibt es eine Minderheit von Wissenschaftlern, die dieser These widersprechen, allen voran der deutsch-amerikanische Retrovirologe Peter Duesberg. Die Zahl seiner Anhänger wächst von Jahr zu Jahr. Bei der Suche nach Auswegen aus dem nationalen HIV/Aids-Desaster stieß auch Mbeki auf dessen Internet-Seiten.

Duesberg behauptet, das Virus sei völlig harmlos und keineswegs Auslöser der gefürchteten Immunschwäche. Damit nicht genug: Er stellt sogar die Existenz von HIV generell in Frage. Seine Vorwürfe: das HI-Virus sei nie wirklich isoliert worden, und die vorliegenden Testergebnisse mit Antikörpern seien nicht eindeutig. Sollten sich Tausende HIV-Forscher in aller Welt tatsächlich irren und seit Jahrzehnten einem Phantom hinterherjagen? Fakt ist: Die moderne Erbgut-Diagnostik, mit der auch kleinste Mengen an Virus-Erbsubstanz nachgewiesen werden können, beweist die Existenz der Viren. Zwar ist es ungewöhnlich, daß bei den HIV-Infizierten gerade einmal eine von 10 000 Immunzellen von dem Virus befallen sind (bild der wissenschaft 1/1990, „Streit um das Virus HIV: Ist die Aids-Forschung auf der falschen Spur?”). Sobald es jedoch zum Ausbruch der Immunschwäche kommt, steigt die Zahl der befallenen Zellen um den Faktor 10. Das räumt auch Mbeki ein. Gegenüber der New York Times erklärte er: „Ich habe nie behauptet, daß HIV nichts mit Aids zu tun habe. Ich suche nur nach Erklärungen, warum die Übertragung von Aids in Afrika offensichtlich auf eine völlig andere Weise erfolgt, als es beispielsweise in Amerika und Europa der Fall ist.” Auch darauf weiß die etablierte Aids-Forschung eine Antwort. Laut den Vereinten Nationen existieren zwei unterschiedliche Hauptformen von HIV. Die am häufigsten vorkommende Art HIV-I besitzt zehn verschiedene genetische Subtypen. Subtyp B tritt hauptsächlich in Europa und Amerika auf, wo er vor allem bei homosexuellen Kontakten und durch intravenösen Drogen-Gebrauch übertragen wird. Der in Südafrika verbreitete Subtyp C scheint weitaus aggressiver zu sein. Deshalb stekken sich die Menschen dort häufig auch bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr an. Duesberg behauptet, daß auch der Einsatz von Anti-Aids- Medikamenten wie AZT (Azidothymidin) für das Ausbrechen der Krankheit verantwortlich ist. Der Wirkstoff des Medikaments verhindert die Ausbreitung des Virus im infizierten Körper, indem er ein entscheidendes Enzym hemmt (die Reverse Transkriptase). Die Therapie mit dem sogenannten Protease-Hemmer ist nicht ohne Nebenwirkungen: anhaltende Müdigkeit, Durchfall und Blutarmut. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums der USA überwiegt aber der antivirale Effekt gegenüber den unerwünschten Nebenwirkungen. Der Kieler Internist Claus Köhnlein, ein Anhänger des Dissidenten Duesberg, ist da anderer Meinung: „Viele Aids-Patienten haben überlebt, weil sie eine hochdosierte antivirale Therapie vermieden haben.” Eine Aussage, die der finanziellen Situation Südafrikas sehr entgegenkommt. Zweli Mkhize, Gesundheitsminister der Provinz Kwa Zulu-Natal, vermutet: „Eigentliches Thema der ganzen Diskussion ist doch, daß die Behandlungsmethoden mit antiviralen Medikamenten wie AZT für unser Land viel zu teuer sind und Mbeki lediglich nach finanzierbaren Alternativen sucht.”

Immerhin forderte US-Präsident Bill Clinton die Pharmaunternehmen weltweit auf, den afrikanischen Staaten besondere Konditionen für den Erwerb antiviraler Aids-Medikamente einzuräumen. Damit solle wenigstens die Übertragung durch infizierte schwangere Frauen auf ihre Kinder verhindert werden. Inzwischen erklärten sich fünf internationale Pharmakonzerne bereit, entsprechende Medikamente für einen Bruchteil des üblichen Preises weiterzugeben. Doch auch damit ist der Bevölkerung wenig gedient. Gesundheitsministerin Manto Tsahabalala-Msimang meint: „Das Angebot zu akzeptieren würde bedeuten, daß wir gezwungen wären, die Behandlung anderer Krankheiten gravierend zu vernachlässigen.” Unverständlich ist dann aber, warum aus dem letzten Jahr rund 40 Prozent des Etats zur Aids-Bekämpfung (über sechs Millionen Dollar) unangetastet in der Staatskasse liegen. So sehr indes die HIV/Aids-Debatte Südafrikas unter internationalem Beschuß steht: Vorgänger Nelson Mandela steht hinter Mbeki und erklärt, er werde ihn auf seinem Weg voll unterstützen.

Thomas Niemann / Peter Duesberg

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