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Süße Sünde

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Süße Sünde
Vor 150 Jahren erfand die englische Firma Fry&Sons die „Eßschokolade”. Ohne raffinierte Technik wäre die Massenproduktion der Leckerei zu günstigen Preisen heute nicht möglich.

Zu Nikolaus steigt die Lust an der zarten Delikatesse sprunghaft an. Auch Ostern ist für Schokolade eine gute Zeit. Genau genommen aber hat die braune Versuchung ganzjährig Saison. Denn im Jahresschnitt verzehrt jeder Bundesbürger achteinhalb Kilogramm davon. Sechs Milliarden Mark werden allein in Deutschland jährlich für die süße Sünde ausgegeben. Und eine Tafel Schokolade kann man für eine Mark kaufen – das ist nicht teurer als vor einem halben Jahrhundert.

“Daß Schokolade so preisgünstig angeboten werden kann, ist den enormen Fortschritten in der Produktionstechnik zu verdanken”, sagt Gottfried Ziegleder vom Fraunhofer-Institut für Lebensmitteltechnologie und Verpakkung im bayrischen Freising. Seit vier Jahrzehnten befaßt man sich dort mit Schokolade. Fast alle Neuheiten der Verfahrenstechnik wurden in diesem Institut mitentwickelt und optimiert.

Kakaobohnen sind etwas Besonderes. Der berühmte schwedische Naturforscher Carl von Linné nannte 1735 den Kakaobaum daher: “Theobroma cacao L.” – Speise der Götter. Schon vor mehr als 500 Jahren stellten Südamerikaner aus Kakaobohnen ein Getränk her. Dessen Geschmack hätte unsere europäischen Gaumen aber nicht entzückt: Es war herb und bitter. Dennoch drückte sich die Wertschätzung für Kakaobohnen auch pekuniär aus. Die Bohnen wurden als Zahlungsmittel benutzt: Für 10 Bohnen bekam man ein Kaninchen, für 100 einen Sklaven.

Um an die Bohnen heranzukommen, müssen die Rugbyball-förmigen Kakaofrüchte aufgeschlagen und die Bohnen herausgelöst werden. Sie sind dann noch von milchig weißem Fruchtfleisch umgeben, das beim nächsten Arbeitsgang – dem Fermentieren – entfernt wird. Dazu schichten die Bauern die Bohnen in Körbe, die sie mit Bananenblättern zudecken. Die tropische Hitze macht raschen Prozeß: Das den Bohnen anhaftende Fruchtfleisch verflüssigt sich innerhalb einer Woche und tropft ab. Durch den Temperaturanstieg auf bis zu 50 Grad sterben die Kakaosamen ab.

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Bei dieser Fermentierung werden chemische Vorläufer der Aromastoffe gebildet, die für die Qualität der Schokolade wichtig sind. Entscheidend sind Glucose und Aminosäuren. Aus ihnen entstehen sogenannte Amadori-Verbindungen, die das Aroma geben. Der ursprünglich bitterherbe Geschmack der Bohnen schwächt sich ab, gleichzeitig verfärben sich die weißlich-gelben Samen zu einem kräftigen Schokoladenbraun.

Beim Fermentieren saugen sich die Bohnen mit Flüssigkeit aus dem Fruchtfleisch voll. Um beim Transport nicht zu verrotten, dürfen sie nicht mehr als sieben Prozent Wasser enthalten. Deshalb werden sie unter der äquatorialen Sonne getrocknet. Hierbei lokkert sich das innere Gefüge der Kakaobohne, ihr Aroma entwickelt sich weiter. So entsteht der Charakter von Kakaosorten wie “Good fermented Ivory Coast”, “Fine estated Grenada” oder “Plantation Trinidad”.

In dieser Form, als hellgraue harte Kerne, kommen die Bohnen beim Schokoladenhersteller an. Dort werden sie geröstet – ein Vorgang, bei dem sich das eigentliche Kakaoaroma erst richtig entwickelt.

Dabei werden unter anderem die im Rohkakao stekkenden Zuckerstoffe verbraucht. Hat der Rohstoff nur mäßige Qualität, kann man sein späteres Aroma aufbessern und vor dem Rösten Zukker beimengen. Auch eine Behandlung mit Wasser und anschließendes Erhitzen hilft der Qualität auf die Sprünge. Unvollständige Fermentationsprozesse lassen sich so ausbügeln.

Früher wurden die Kakaobohnen als Ganzes geröstet. Heute zerkleinert man sie. Der Grund: Ganze Kakaobohnen von etwa einem Zentimeter Durchmesser und mäßiger physikalischer Wärmeleitfähigkeit lassen sich nicht gleichmäßig optimal rösten.

Da die angelieferten Kakaobohnen aufgrund ihrer Vorbehandlung bakteriell stark verunreinigt sind, behandelt man sie vor dem Rösten mit überhitztem Wasserdampf, der die meisten Bakterien abtötet, ohne das Aroma des Kakaos zu beeinträchtigen. Lange Zeit war Schokolade nur als Getränk bekannt. Erst als vor genau 150 Jahren die Firma Fry & Sons in Bristol ein Produkt aus Kakaogrundmasse vorstellte, dem man als Festiger Kakaobutter und Zucker zugesetzt hatte, schlug die Geburtsstunde der Schokoladentafel.

Daniel Peter und Henry Nestlé entwickelten aus dieser Urform nach achtjährigem Experimentieren 1875 die Milchschokolade. Sie besteht aus mindestens 18 Prozent Milchtrockenmasse .

Roderich Lindt erfand vier Jahre später das sogenannte Conchieren. Dieser Bearbeitungsschritt folgt auf das Feinmahlen der Kakaobohnen und nach der Zugabe von weiterer Kakaobutter, Milchpulver, und Zucker: In einem intensiven und viele Stunden lang dauernden Heiz- und Rührprozeß nimmt die zunächst trockene, grobe Masse eine feine, pastöse Konsistenz an.

Gleichzeitig wandelt sich das rauhe, saure Kakaoaroma zum zarten Schokoladengeschmack. “Die Aromastoffe sind ein Gemisch leicht-, mittel- und schwerflüchtiger Komponenten”, erklärt Ziegleder. “Im Kakao sind die leichtflüchtigen Stoffe hoch konzentriert vertreten und bewirken den sauren Geschmack. Sie verstellen wie eine Wand den Blick auf die mittel- und schwerflüchtigen Anteile. Mit längerer Conchierzeit wird diese Wand langsam abgetragen.”

Schokoladenhersteller, die edle Produkte auf den Markt bringen, arbeiten heute noch mit herkömmlichen Verfahren, weil extra lang gerührte Schokolade ihrer Meinung nach zarter schmeckt. Massenware läßt sich mit einem derartig aufwendigen Prozeß allerdings nicht herstellen.

Für sie haben Wissenschaftler und Techniker deshalb seit etwa zwei Jahrzehnten immer neue Conchen entwickelt. Durch besonders geformte Rührelemente kommt es zu einer intensiven Entgasung der Kakaomasse: Leichtflüchtige Aromastoffe entweichen schnell. Ob diese Schokolade anders schmeckt als lang gerührte, ist indes eine ähnliche Glaubensfrage, wie die, ob es zwischen gutem Sekt und Champagner einen qualitativen Unterschied gibt.

Am Fraunhofer-Institut für Lebensmitteltechnologie und Verpackung wurde in den achtziger Jahren eine Dünnschichtmethode entworfen, mit der die Kakaomasse bereits vor dem Conchieren entgast werden kann. Sie wird heute vielfach verwendet und reduziert die anschließende Conchierzeit von früher 36 auf jetzt nur noch 8 Stunden. Bei diesem Verfahren wird die Kakaomasse als nur halbmillimeterdünne Schicht mit Schabern auf eine Metallfläche aufgetragen und anschließend in Sprühtürmen verwirbelt.

Nach dem Conchierprozeß ist die Schokolade zwar schon braun und wohlschmeckend, aber immer noch flüssig. Um sie fest werden zu lassen, genügt es nicht, sie einfach abzukühlen.

Denn Schokolade kann in zwei verschiedenen Formen auskristallisieren. Kristallisiert sie in der falschen aus, liegt ihr Schmelzpunkt rund drei Grad zu tief. Sie schmilzt früh und wird bereits beim Auspacken weich.

Bis zu Beginn der neunziger Jahre wußte niemand exakt, unter welchen Umständen welche Auskristallisierung erfolgt. Es gab hohe Ausfallzeiten und viele Fehlchargen: Bei den großen Schokoladenherstellern mit über einem halben Dutzend Produktionsanlagen (Stundendurchsatz: etwa eine Tonne Schokolade), stand fast jede Woche eine Anlage einen Tag lang still.

Gottfried Ziegleder und seine Kollegen waren die ersten, die sich mit diesem Problem wissenschaftlich auseinandersetzten. Sie fanden unter anderem heraus, daß beim erwünschten Kristallisieren nicht nur der Abkühlprozeß eine Rolle spielt, sondern gleichzeitig eine gewisse “Scherung”: Unter hohem Druck wird die Masse zwischen zwei gekühlten Metallflächen – von denen eine stillsteht und die andere sich bewegt – durch einen nur 0,1 Millimeter dünnen Spalt gepreßt. Die dabei entstehende Reibungswärme wird durch Kühlung kompensiert.

Resultat: Die Schokolade kristallisiert in der gewünschten Form aus. Neuere Temperiermaschinen berücksichtigen diese Erkenntnisse, Fehlchargen kommen kaum noch vor.

Aus der abgekühlten, noch formbaren Masse entsteht schließlich die Schokolade. Computer dirigieren die Abläufe, und elektronisch gesteuerte Düsen machen sogar feinste Flechtmuster möglich. Damit es zu keiner ungewollten Vermischung kommt und die Rohre sauber bleiben, werden Rohre und Düsen am Ende jeder Charge mit Silikonkugeln gereinigt und so blitzblank poliert.

Die Qualitätsüberwachung basiert auf chemischen Analysen der fertigen Schokolade. Da Kakao über 500 verschiedene Aromastoffe enthält, wäre eine Vollanalyse zu aufwendig. Die Forscher um Ziegleder haben deshalb jene Leitsubstanzen ausfindig gemacht, die das Produkt am besten charakterisieren. So erkennt man beispielsweise am Linalool-Gehalt des Kakaos, ob er besonders edel ist. Phenole warnen vor unerwünschtem Raucharoma. Und die Menge der Pyrazine in der Schokolade signalisiert den Röstgrad der Bohnen.

Wissenschaftliche Erkenntnis ist mitunter desillusionierend: Als Forscher vor kurzem die Konzentration des Duftstoffs Phenylethylamin exakt maßen, dem lange Zeit die euphorisiende Wirkung der Schokolade zugeschrieben wurde, erlebten sie eine Überraschung: Die Messungen zeigten, daß Phenylethylamin in der Schokolade schwächer konzentriert ist als in den meisten anderen Lebensmitteln. Es muß also eine andere Ursache haben, wenn Schokolade glücklich macht.

Who’s who

für Schokoliebhaber Vollmilchschokolade enthält mindestens 30 Prozent Kakaomasse, 18 Prozent Milchtrockenmasse, 4,5 Prozent Milchfett. Der Zuckeranteil darf 47,5 Prozent nicht übersteigen. Sahneschokolade enthält mindestens 25 Prozent Kakaobestandteile, mindestens 14 Prozent Sahne- beziehungsweise Milchtrockenmasse und höchstens 60 Prozent Zucker. Halbbitterschokolade enthält mindestens 50 Prozent Kakaobestandteile und nicht mehr als 50 Prozent Zucker, Bitterschokolade mindestens 60 Prozent Kakaobestandteile und weniger als 40 Prozent Zucker. Weiße Schokolade (die helle Farbe entsteht, weil fettfreie Kakaobestandteile fehlen) enthält mindestens 20 Prozent Kakaobutter, 3,5 Prozent Milchfett, 14 Prozent Milchtrockenmasse und höchstens 55 Prozent Zucker. Sogenannte Edelschokoladen müssen zu mindestens 40 Prozent der Gesamtkakaomasse aus Edelkakao bestehen. Er kommt aus Equador, Venezuela oder Java, wächst auf Vulkangestein und ist sehr aromatisch. Gute schweizerische und deutsche Schokoladen gehören zu dieser Kategorie.

Brigitte Röthlein

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