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Tankstellen im Weltall

Allgemein

Tankstellen im Weltall
Satelliten zapfen Planeten Energie für den Weiterflug ab. Die Swingby-Technik ist ein raffinierter Trick: Im nahen Vorbeiflug wird die Raumsonde beschleunigt – auf Kosten einer minimalen Verlangsamung des Planeten.

Ans Energiesparen denken die wenigsten, die von Weltraumfahrt sprechen. Und doch kommt es nicht nur im Alltag, um der lieben Umwelt willen, auf den sparsamen Umgang mit der Energie an, sondern erst recht bei den wissenschaftlich bedeutenden Missionen zu unseren Nachbarn im Sonnensystem. Die „Grand Tour“ zu den äußeren Planeten von Mars bis Pluto, auf die seit Mitte der siebziger Jahre zahlreiche unbemannte Raumsonden von Pioneer und Voyager bis zu Galileo geschickt wurden, müssen sich nach den Energievorräten richten.

Energien in der Umlaufbahn: Ein Satellit, der in einer erdnahen Umlaufbahn kreist, muß eine Bahngeschwindigkeit von mindestens 7,9 Kilometer pro Sekunde haben, soll er nicht auf die Erde zurückstürzen und möglicherweise unterwegs in der Atmosphäre verglühen. Die Raumfähre Space Shuttle zum Beispiel mit ihrem Gewicht von 100 Tonnen vereinigt in sich die riesige Bewegungsenergie von 900 Megawattstunden – das ist soviel Energie, wie ein Großkraftwerk, das eine Großstadt samt Industrie und Straßenbahn versorgt, in etwa einer Stunde in elektrischen Strom umwandelt.

Die Missionen des Apollo-Programms, durch die zum ersten Mal Menschen den Boden des Erdmondes betraten, erforderten noch gewaltigere Energiemengen. Bei einem Startgewicht von 2900 Tonnen hatte die Saturn-V-Trägerrakete des Mondlandeunternehmens allein 2650 Tonnen Treibstoff mit einem Energiegehalt von 30 Gigawattstunden in den Tanks – genug, um eine Großstadt einen ganzen Tag lang mit elektrischem Strom zu versorgen.

Die Startenergie wird fast vollständig für den Aufstieg der dreistufigen Rakete verbraucht. Nach dem Brennschluß der letzten Raketenstufe fliegt die Raumsonde, von Kurskorrekturen abgesehen, auf einer ballistischen Bahn – sozusagen im freien Fall, als Spielball der Anziehungskräfte von Sonne, Planeten und Monden – ihrem vorausberechneten Ziel zu. Ohne weitere Energiezufuhr würde die Reise zum Neptun etwa 30 Jahre, zum Pluto gar 60 Jahre dauern. Mit ständigem Antrieb könnten die Raumsonden rascher an ihr Ziel gebracht werden. Es ist aber unmöglich, auf der Erde die dafür erforderliche Energie aufzubringen.

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Um den Energienotstand zu lindern, kamen findige Wissenschaftler auf eine geniale Idee: die Anziehungskräfte von Himmelskörpern im nahen Vorbeiflug (Flyby oder Swingby) als Energiequelle zu nutzen. Dadurch werden zwar die Reisemöglichkeiten (Startfenster) eingeschränkt, aber neue und weitere Touren durchs Weltall erschlossen, die nicht aufs Sonnensystem beschränkt sind. Dank moderner Kommunikations- und Steuerungstechnik ist diese Methode inzwischen zu solcher Perfektion entwickelt, daß jeder größere Weltkörper als Energietankstelle dienen kann, sofern er günstig zum Kurs der Raumsonde liegt. Den Flyby-Trick zu durchschauen, soll eine Analogie helfen.

Der Ball auf dem Ball: Nehmen Sie zwei Gummibälle, den einen klein und leicht (er vertritt die Raumsonde), den anderen von sehr viel größerer Masse (für den Himmelskörper). Setzen Sie den kleinen auf den großen Ball, und lassen sie beide zusammen – im „Huckepack“ – zu Boden fallen. Die Frage ist: Kommen die Bälle vom Boden ebenso zurück, wie sie gefallen sind, wenn auch natürlich in umgekehrter Reihenfolge? Oder trennen sie sich beim Rückprall am Boden, und der kleine Ball fliegt vielleicht ein Stück höher (vorausgesetzt, er ist nicht bereits beim Abwurf durch Ungeschicklichkeit vom großen Ball heruntergerollt)?

Zur Überraschung der unvorbereiteten Zuschauer springt der kleine Ball sehr hoch, in niedrigen Räumen bis an die Decke. Die Energie zum Aufstieg verdankt er dem Schub des großen Balles. Da beide Bälle zur gleichen Zeit aus der Ruhe losgelassen werden, fallen sie mit der gleichen wachsenden Geschwindigkeit. Daher ändert sich ihr Abstand im Fallen nicht, aber der große Ball erreicht den Boden zuerst. Beim Abbremsen am Boden spannt sich sein Gummi wie eine elastische Feder und entspannt sich wieder zum Beschleunigen des Balles nach oben. Der „Stoß“ am Boden dauert eine gewisse Zeit, aber wenn Ball und Boden hart genug sind oder wenn vorsorglich zwischen dem großen und dem kleinen Ball etwas Abstand gelassen wurde, reicht die Stoßzeit für die Wende aus, und der große Ball kommt dem kleinen entgegen, ehe dieser zum Stoß ansetzt. Die Bälle nähern sich einander mit der Summe ihrer Geschwindigkeiten.

Wenn die Masse M des großen Balles sehr viel größer als die Masse m des kleinen Balles ist, wird der kleine Ball vom großen aus gesehen mit entsprechend hoher Geschwindigkeit zurückgeworfen wie von einer festen Wand. Vom ruhenden Boden aus gesehen ist die Geschwindigkeit des kleinen Balles noch um die Geschwindigkeit des großen Balles größer: Kein Wunder, daß der kleine Ball sehr hoch katapultiert wird.

Im freien Fall aus der Höhe ho erreicht der große Ball mit der irdischen Schwerebeschleunigung g (= 9,8 m/s2) die Geschwindigkeit Uo = √2gho. Vom Boden wird er mit kleinerer Geschwindigkeit eUo zurückgeworfen, weil der Stoß nicht perfekt elastisch ist. Die Stoßzahl e, eine Zahl zwischen 0 und 1, ist ein technisches Maß für den Energieverlust beim Stoß elastischer Körper, das schon Isaac Newton vor 300 Jahren einführte.

Geschwindigkeiten lassen sich schwer messen, aber die Höhe, die ein Ball nach dem Stoß erreicht, ist leicht zu beobachten. Für einen Schaumgummiball, der nach dem Rückprall vom Steinfußboden etwa bis zur Hälfte seiner Starthöhe steigt, gilt (eUo)2/2g » ho/2, woraus sich e » 0,7 errechnet. Der kleine Ball, der die gleiche Höhe ho durchfallen hat, kommt dem großen mit der Relativgeschwindigkeit eUo+Uo entgegen. Wenn für den Stoß der beiden Bälle miteinander die gleichen Bedingungen wie für den Stoß eines Balles am Boden gelten, fliegt der kleine Ball nach dem Stoß um die Geschwindigkeit e(eUo+Uo) schneller als der große Ball nach oben, in bezug auf den Boden also mit der Geschwindigkeit u = e(2+e)Uo. Damit steigt er auf die Höhe h = u2/2g = e2(2+e)2ho » 3,6 ho. Das ist reichlich das Siebenfache der Höhe, die er ohne Hilfe des großen Balles erreichen würde – in brauchbarer Übereinstimmung mit der Beobachtung.

Die Reise eines Raumschiffs im Sonnensystem wird fast überall von der Anziehungskraft der Sonne bestimmt. Nur in näherer Umgebung eines Himmelskörpers, vor allem eines Planeten wie des großen Jupiter, wird dessen Einfluß vorübergehend beherrschend. Ein Raumfahrzeug der Masse m, das, sozusagen aus dem Unendlichen kommend, mit der Geschwindigkeit va („a“ für Anfang) in das Gravitationsfeld des Planeten eintritt, verläßt es mit der Geschwindigkeit ve („e“ für Ende), falls es nicht vom Feld des Planeten gebremst und eingefangen wird oder gar auf den Planeten stürzt.

Auftanken im Weltraum: Der Zweck des nahen Vorbeifluges (Flyby) eines Raumschiffs an einem Planeten ist im allgemeinen die Erhöhung der Geschwindigkeit v des Raumschiffs und damit seiner kinetischen Energie T = mv2/2 auf Kosten der Bewegungsenergie des Planeten, der jedoch wegen des verschwindend kleinen Massenverhältnisses m/M den Nadelstich kaum spürt.

Der Betrag v = |v| gibt die Größe der Geschwindigkeit an, der Geschwindigkeitsvektor v außerdem ihre Richtung. In der englischen Sprache gibt es dafür die Unterscheidung zwischen „speed“ und „velocity“. Zur näheren Bestimmung der Änderung DT = m(ve2-va2)/2 der kinetischen Energie des Raumschiffs bei dem Flyby-Manöver wird durch die Transformation u = v – V der Beobachtungsort von der Sonne in den betreffenden Planeten verlegt, der sich um die Sonne bewegt. Die Geschwindigkeit V des Planeten darf für den Vorbeiflug als konstant vorausgesetzt werden, wenn seine Dauer kurz im Vergleich zur Umlaufzeit des Planeten um die Sonne ist.

Beim Stoß zweier Körper sehr verschiedener Masse – gleichviel ob durch Oberflächenkontakt wie beim Ballexperiment oder ohne Berührung vermittels der Schwerkraft – wird um so weniger Energie getauscht, je kleiner das Massenverhältnis m/M ist. Im Bezugssystem des Planeten bleibt deshalb die Energie des Raumschiffs erhalten. Am Anfang und am Ende des Manövers, also in hinlänglichem Abstand vom Planeten, ist das allein seine kinetische Energie: mua2/2 = mue2/2. Es folgt ua = ue. Damit ergibt sich für die Änderung der kinetischen Energie DT = mV(ue-ua) oder, wenn das skalare Produkt der Vektoren ausgeschrieben wird: DT = mVua(cosδe -cosδa). Das Ergebnis läßt sich in einem Geschwindigkeitsdiagramm darstellen.

Die Vektoren der möglichen Endgeschwindigkeiten des Raumschiffs im Bezugssystem des Planeten beschreiben einen Kreis vom Radius ua = ue. Welchen Verlauf der Vorbeiflug tatsächlich nimmt, hängt von der Flugbahn ab, kurz gesagt davon, in welchem Abstand vor oder hinter dem Planeten das Raumschiff die Planetenbahn kreuzt. Der größtmögliche Energiezuwachs wird erzielt, wenn die Raumsonde nach der Begegnung in Flugrichtung des Planeten weiterfliegt (de = 0). In diesem Fall ist die Endgeschwindigkeit ve = ue+V = V(1-cosδa) + Övao-Vosinoδa.

Wenn sich das Raumschiff zum Beispiel dem Planeten Jupiter (V = 13 km/s) mit der Geschwindigkeit va = 20 km/s aus der Richtung δa = 120 Grad nähert, kann es seine Geschwindigkeit im Vorbeiflug theoretisch fast verdoppeln: ve = 36 km/s.

Wolfgang Bürger

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