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Tauchfahrt in die Runzeln

Allgemein

Tauchfahrt in die Runzeln
Jahrzehntelang haben Hautforscher nur die „Totenmaske“ der Haut untersucht. Jetzt nehmen sie die menschliche Hülle lebensecht unter die Lupe – mit überraschenden Ergebnissen.

Auf dem Bildschirm stapeln sich Eisschollen: große Platten schieben sich übereinander, daneben liegen kleine Brocken. Roger Wepf klickt eine neue Datei an. Auf dem Monitor taucht eine neue, bizarre Polarlandschaft auf. Dr. Wepf, Leiter der Abteilung für analytische Mikroskopie bei der Firma Beiersdorf in Hamburg, betrachtet Hautproben unter dem Rasterelektronenmikroskop. Zuvor hat er sie auf spezielle Weise schockgefroren.

Die Gefriertechnik ist nur eines der neuen Verfahren, mit denen die Hautforscher die Geheimnisse unseres größten Organs ergründen. Immer genauer erkunden sie die Haut bei der gewinnträchtigen Jagd nach immer wirkungsvolleren Kosmetika. Die High-Tech-Methoden in der kosmetischen Forschung sind keinesfalls Kür. Viele wissenschaftliche Tests sind mittlerweile Pflicht. Laut EU-Kosmetikrichtlinie müssen seit dem 1. Januar 1997 alle Hersteller die Wirksamkeit ihrer Produkte nachweisen. Werbeversprechen wie „Straffere Haut nach zehn Tagen“ oder „ Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen, die den Alterungsprozeß beschleunigen“, müssen die Kosmetikproduzenten also einlösen. Verheißt die Aufschrift auf der Schachtel, daß die Creme für die „ reife Haut“ nicht nur gegen vorzeitige Hautalterung wappnen, sondern auch den Erneuerungsprozeß der Haut stimulieren soll, dann müssen diese Wirkungen wissenschaftlich nachgewiesen sein. Mit ausgefeilten Analysemethoden testen deshalb die Forscher neuerdings, ob eine Creme tatsächlich die Faltentiefe sichtbar reduziert und ob die Körperlotion die Haut langanhaltend mit Feuchtigkeit versorgt.

Im Nebenraum knallt es. In Sekundenbruchteilen hat das Hochdruckgefriergerät gerade einen Druck von 2200 Bar erzeugt. Obendrein herrscht in seinem stählernen Kessel eine Temperatur von minus 200 Grad. „Das versetzt das Wasser in der Hautprobe sofort in einen glasförmigen Zustand. Es geht so schnell, daß keine Eiskristalle die Strukturen der Haut zerstören können“, erklärt Wepf. Der Biologe setzt die schockgefrorene Hautprobe in einen Behälter mit Flüssigstickstoff. Weißer Rauch wabert heraus. Das verflüssigte Gas hat eine Temperatur von minus 196 Grad. Jetzt muß es schnell gehen, denn die Proben dürfen sich auf keinen Fall erwärmen. Sogar die Probenhalterung des Kryo-Rasterelektronenmikroskops ist tiefgekühlt. „Der Vorteil der Gefriertechnik liegt in der Geschwindigkeit“, sagt Wepf. „Während diese Kryofixierung einer Hautprobe durch Schockgefrieren nur wenige Millisekunden dauert, braucht die früher übliche chemische Fixierung mehrere Minuten.“ Für die biochemischen Vorgänge in der Haut sei das eine lange Zeit, meint Wepf. Währenddessen komme es zu beträchtlichen Umlagerungen in der komplexen Feinstruktur der Haut.

An mikroskopischen Aufnahmen demonstriert der Wissenschaftler den Unterschied. Wie sorgfältig gebügelte Wäsche stapeln sich auf dem Bild der kryofixierten Probe die Hautschichten, bei der chemisch fixierten Hautprobe wirken sie dagegen zerknüllt. Wepf beschreibt es bildhaft: „Wir haben in den letzten 50 Jahren die Totenmaske des Gewebes untersucht. Heute können wir die Haut im lebensnahen Zustand mikroskopieren.“ Vor allem die Hornschicht interessiert die Forscher, denn diese Barriere schützt nicht nur die Haut vorm Austrocknen, sie reguliert auch das Eindringen von Cremes und Lotionen. Die Gefriertechnik vermittelt den Forschern ein realistischeres Bild vom Aufbau dieses wichtigen Grenzorgans als die bisherigen Untersuchungsverfahren. Während die Hornschicht bei chemisch fixierten Proben bislang als eine Art Korbgeflecht mit großen Zwischenräumen erschien, sieht sie auf den neuen Bildern aus wie eine Mauer. Wie Ziegelsteine liegen die einzelnen Hornzellen aufeinander. Ihr „Mörtel“ sind Lipidschichten. Die Kryofixierung zeigt, daß die Hornschicht viel dichter gepackt ist, als man früher annahm. Es gibt darin keine Hohlräume.

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Wepf: „Die neuen Bilder werfen 20 Jahre Forschung über die äußere Haut über den Haufen.“ Wie Wasser durch die Haut transportiert wird, ist die andere große Frage, die Wissenschaftler mit der Kryotechnik klären wollen. Bisher können sie nur vermuten, daß „virtuelle Hautporen“ von nur millionstel Millimeter Größe für den Transport von Wasser aus dem Körper an die Hautoberfläche zuständig sind. Die Forscher wollen diese Strukturen mit den neuen Methoden in einer naturnahen Abbildung sichtbar machen. Schon heute läßt sich an den schockgefrorenen Hautproben unter dem Rasterelektronenmikroskop erkennen, ob eine Creme die Erneuerung älterer Haut beschleunigt: Je flotter der Zellumsatz, desto kleiner sind die abgeschuppten Hornzellen – und damit die „Eisschollen“ auf dem mikroskopischen Bild.

Wepf schiebt seinen Hemdsärmel hoch und zeigt auf eine Reihe von hellen Pünktchen auf seinem Unterarm. Sie sind nur knapp zwei Millimeter groß. Hier hat er für „Selbstversuche“ Hautproben herausgestanzt. Nachschub für seine Tests bekommt er außerdem von freiwilligen Probanden, oder er verwendet Überbleibsel von kosmetischen Operationen. All diese Hautstücke haben jedoch einen Nachteil: Sie sind tot und trotz schonender Maßnahmen chemisch oder technisch verändert. Eine solche Methode nennen die Forscher „in vitro“. Der neue Trend in der Haut- und Kosmetikforschung geht eindeutig zu „in vivo“-Techniken. Das bedeutet: am lebenden Menschen. Joachim Ennen hat sich für solche Tests zur Verfügung gestellt. Der promovierte Biologe leitet bei der Beiersdorf AG die Abteilung für Produktprüfung. Sein Arm muß herhalten. Der Wissenschaftler legt ihn wie zur Blutentnahme angewinkelt auf eine Schiene. Die Medizinerin Kirsten Sauermann träufelt ein wenig destilliertes Wasser auf die Haut. Dann taucht sie vorsichtig ein bewegliches Objektiv in die kleine Pfütze. An die Linsen angeschlossen ist ein sogenanntes Konfokales Laser-Scanning-Mikroskop. Seine Besonderheit: Es kann durch festes Gewebe hindurchsehen. Auf einem Monitor erscheint die Hautoberfläche. Winzige Feinheiten, weniger als zwei tausendstel Millimeter groß, tauchen auf. Falten ziehen sich durch eine bizarre Landschaft, Spuren kreuzen sich. „Feinlinien“ nennen die Forscher bei Beiersdorf euphemistisch diese Muster des Älterwerdens.

Kirsten Sauermann dreht an der Feineinstellungsschraube des Mikroskops. Auf dem Monitor nähert sich der Blick des Betrachters rasch der Oberfläche – und taucht in die Haut ein, durch die Hornhaut bis in die Epidermis. Ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, kann Sauermann durch das lebende Gewebe von Zellschicht zu Zellschicht wandern. Plötzlich kommt Bewegung ins Bild. Kugelige Teilchen schieben sich durch einen engen Kanal. Mit der Feineinstellung ist die Ärztin optisch tiefer eingedrungen und auf ein Blutgefäß gestoßen. Durch vorsichtiges Drehen der Schraube kann sie sogar die Dicke der Hornschicht messen. „15 Mikrometer, also 15 tausendstel Millimeter. Das ist Durchschnitt“, sagt Sauermann. Mit dem Lasermikroskop lassen sich Veränderungen in der Dicke der Hornschicht mikrometergenau verfolgen. Damit überprüfen die Forscher, wie wirksam Hautpflegemittel vor schädlichen UV-Strahlen und damit vor vorzeitiger Hautalterung schützen. Unter dem Einfluß von UV-Strahlung schwillt die Hornschicht an, es bildet sich als Schutzhülle eine „Lichtschwiele“. Wenn der UV-Schutz der Creme funktioniert, braucht die Haut aber keine eigenen Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.

Doch Karin Sauermann entdeckt im Mikroskopbild eine frische Lichtschwiele – der UV-Schutzfaktor wirkt nicht. Nach immer besseren Lichtschutzsubstanzen sucht die kosmetische Industrie fieberhaft, denn UV-Strahlen sind eine der Hauptursachen für vorzeitige Hautalterung (siehe vorstehenden Beitrag „Jugend aus der Tube“). Bei Beiersdorf nehmen die Forscher zur Zeit verschiedene Lichtschutzfaktoren der Pflanzen unter die Lupe, um zu testen, ob sie sich für den Einsatz in Kosmetika eignen. Mit dem Lasermikroskop läßt sich direkt verfolgen, wie Emulsionen aus Fett und Wasser – nichts anderes sind die meisten Kosmetika – in die Haut eindringen. Die Forscher färben die Emulsionen mit fluoreszierenden Farbstoffen: Das Wasser leuchtet auf diese Weise grün, das Fett erscheint rot. So können die Forscher direkt beobachten, welche Moleküle in welche Hautschichten eindringen, ob ein Hautpflegemittel in die Tiefe geht und ob es die Haut tatsächlich mit Fett und Feuchtigkeit versorgt. Wie sich die Kosmetik im Endeffekt auf die Hautoberfläche auswirkt, können die Forscher ebenfalls in vivo messen: PRIMOS (phase-shifting rapid in vivo measurements of skin) heißt das Verfahren, das Rauhigkeit mit Hilfe von Licht bestimmt.

Testperson Joachim Ennen kommt mit ins Untersuchungszimmer im Beiersdorf-Forschungszentrum. Der Raum unterscheidet sich kaum vom Sprechzimmer eines Hausarztes. Während eine der freiwilligen Probandinnen, die hier regelmäßig ihre Haut untersuchen lassen, Strümpfe und Schuhe anzieht, nimmt der Wissenschaftler auf der Liege Platz. Ennen macht seine Wade frei, eine der „Problemzonen des Mannes“, da diese Haut oft sehr trocken ist. Ennen tut es sichtlich ohne Furcht. Der nun folgende Test ist absolut schmerzlos. Bei PRIMOS wird die Haut nicht einmal berührt, es arbeitet nur mit Licht. Kirsten Sauermann schaltet ein Streifenprojektionsgerät ein, das aussieht wie ein Diaprojektor. Das Gerät wirft eine Reihe von feinen Schattenlinien auf die Haut – ähnlich Sonnenstrahlen, die durch Lamellen einer Jalousie fallen – und mißt gleichzeitig das reflektierte Licht. Schon die geringsten Unebenheiten der Hautoberfläche lenken die Lichtstreifen in eine andere Richtung. Je rauher die Haut ist, desto unregelmäßiger wird das Muster des zurückgeworfenen Lichts. Das Ergebnis dieser „Oberflächenrauhigkeitsmessung“ ist eine dreidimensionale Grafik, die einer Gesamtaufnahme der Alpen ähnelt. Jedes Tal steht für eine kleine Falte. Ein Bein läßt sich nicht einbetonieren, lebende Menschen sind immer in Bewegung. Ein „in vivo“-Meßsystem muß also vor allem schnell sein. PRIMOS ist schnell und dynamisch. Es macht erwünschte und unerwünschte Veränderungen in der Landschaft unserer Körperoberfläche sozusagen „live“ sichtbar. Schönheit ist meßbar geworden.

Kompakt Moderne Forschungsmethoden machen Schönheit meßbar. Die Kosmetikhersteller mußten neue Untersuchungs- methoden entwickeln, um die Wirksamkeit ihrer Produkte zu belegen.

Vera Stadie

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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