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Titelthema – Das Weltall wird neu vermessen: Inventur in Herschels Garten

Allgemein

Titelthema – Das Weltall wird neu vermessen: Inventur in Herschels Garten
Die größte Himmelsdurchmusterung aller Zeiten hat begonnen. Zwei Mammutprojekte nehmen Millionen von Galaxien ins Visier. Dabei setzen sie neue Maßstäbe in der astronomischen Beobachtungstechnik und Datenverarbeitung.

Der Himmel gleicht einem üppigen Garten, in dem eine riesige Vielfalt von Früchten gedeiht“, schrieb William Herschel, einer der bedeutendsten Astronomen überhaupt. Das war 1789. Nachdem er fast ein Jahrzehnt lang mit seinem selbstgebauten Riesenteleskop „durch den Himmel gefegt“ war, wie er es ausdrückte, hatte er einen Katalog mit Tausenden neu entdeckter Nebel beisammen, von denen wir heute wissen, daß sie Galaxien sind.

Zur Zeit – 210 Jahre später – wird eine Generalinventur in Herschels Garten durchgeführt. Die Astronomen wollen endlich genauer wissen, was sich im Universum wo befindet, um besser zu verstehen, wie die Welt im Großen und Ganzen aufgebaut und entstanden ist. Deshalb haben sie kürzlich mit zwei kosmischen Bestandsaufnahmen begonnen – Sloan Digital Sky Survey (SDSS) und Two Degree Field (2dF). Sie reichen um ein Vielfaches weiter und breiter ins All als alle bisherigen Himmelsdurchmusterungen: Sie beschränken sich nicht wie frühere Projekte auf eine Entfernung von bestenfalls 200 bis 300 Millionen Lichtjahre und ein paar eng begrenzte Regionen am Himmel, sondern kartieren weite Bereiche des Weltraums gleich mehrere Milliarden Lichtjahre tief.

Wie wichtig solche verbesserten Bestandsaufnahmen sind, betont Alan Sandage von den Carnegie Observatories in Kalifornien: „Himmelsdurchmusterungen sind das Rückgrat, die Straßenkarten, die Volkszählungen, ja Brot und Butter der Astronomie.“ Das ist keine Übertreibung, denn es geht um grundlegende Fragen.

„Nach jeder neuen Himmelsdurchmusterung hat sich unser Bild vom Universum verändert“, resümiert Carol Lonsdale vom California Institute of Technology in Pasadena und belegt dies mit Beispielen aus der Astronomiegeschichte. So haben sich mutmaßliche Sterne in den sechziger Jahren im Bereich der Radiowellen als Milliarden Lichtjahre entfernte, energiespeiende Quasare entpuppt. Und in den siebziger Jahren zeigte sich in Röntgenaufnahmen, daß manche optisch unscheinbaren Sterne explodieren oder von Schwerkraftfeldern zerrissen werden. In den achtziger Jahren wurde erstmals die Entfernung Tausender von Galaxien gemessen, was zur Entdeckung von Galaxiensuperhaufen führte, etwa der über 500 Millionen Lichtjahre breiten Großen Mauer.

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Was hat Herschels himmlischer Garten diesmal zu bieten? Die kosmische Inventur wird neue Erkenntnisse über den Aufbau und die Geschichte der Milchstraße bringen, und sie wird die Entwicklung der Galaxien und Galaxienhaufen sowie ihre großräumige Verteilung näher charakterisieren. Vielleicht wird sie sogar der Natur der ominösen Dunklen Materie und den Vorgängen in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall auf die Spur kommen. Wenigstens teilweise wird die Neugier der Astronomen schon in den nächsten Jahren gestillt werden. Denn das 2dF-Projekt mehrerer Sternwarten und Universitäten in Großbritannien und Australien hat bereits Halbzeit erreicht. Begonnen hat das umgerechnet rund fünf Millionen Mark teure Unternehmen im Jahr 1997.

„Wir kartieren ein riesiges repräsentatives Volumen des Universums, das 250000 Galaxien enthält“, sagt Matthew Colless von den australischen Mount Stromlo and Siding Spring Observatories. Zusammen mit Richard Ellis von der Cambridge University ist er der wissenschaftliche Leiter von 2dF. „Unsere Durchmusterung ist zehnmal umfassender als jede zuvor.“ 2dF wird mit dem 3,9-Meter-Teleskop des Anglo-Australian Observatory (AAO) bei Siding Spring im australischen New South Wales durchgeführt. Es tastet sich über ausgewählte Areale des nördlichen und südlichen Sternenhimmels, also über insgesamt 1700 Quadratgrad. Im Verlauf von 90 Nächten wird jeweils rund eine Stunde lang eine zwei Grad große Region ins Visier genommen (daher der Name „Two Degree Field“, 2dF). Die Astronomen hoffen, die Messungen bis spätestens Anfang 2000 abschließen zu können.

Eine Hauptrolle spielt ein aus 1024 mal 1024 einzelnen Bildelementen zusammengesetzter elektronischer Detektor (charge-coupled device). Die andere Hauptrolle hat ein eigens entwickelter Zwillingsspektrograph übernommen. Damit lassen sich Entfernung, Zusammensetzung und Alter der Galaxien bestimmen. Um möglichst effizient zu arbeiten, haben die Ingenieure eine verblüffende Methode entwickelt – die Multifaser-Spektroskopie. Erfolgreich eingesetzt wurde sie schon bei anderen Teleskopen, doch nie zuvor in diesem Maßstab: Die 2dF-Spektrographen können gleichzeitig das Licht von 400 Objekten analysieren. Dafür bohrt ein Roboter 400 winzige Löcher in eine Aluminiumplatte, die zwischen dem Teleskop und den Spektrographen eingebaut wird. Die Stellung der Löcher zueinander entspricht der Position von 400 zuvor ausgewählten Galaxien. An jedem Loch wird eine Glasfaser angeschlossen, wie man sie von Telefon- und Datenleitungen kennt. Jede Faser führt zu einem Prisma, das das Licht genau einer Galaxie zerlegt. Auf diese Weise lassen sich gleich-zeitig die Spektren von 400 Galaxien messen. Das verkürzt die Beobachtungszeit um das 400fache: In einer guten Nacht lassen sich so ein paar tausend Spektren gewinnen.

„2dF ist eines der kompliziertesten astronomischen Instrumente, das je gebaut wurde“, schwärmt Brian Boyle, Direktor des AAO. Die Technik funktioniert so gut, daß sie ab 2001 auch am neuen Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile eingesetzt werden soll. „Das AAO besitzt einen hervorragenden Ruf bei der Herstellung astronomischer Geräte, und wir haben keinen Zweifel daran, daß dort eine ähnliche Anlage für das Very Large Telescope gebaut werden kann“, betont Riccardo Giacconi, Generaldirektor der ESO. „Der große Erfolg des 2dF-Instruments bestärkt uns in unserer Entscheidung.“ Noch ehrgeizigere Ziele als 2dF hat sich der Sloan Digital Sky Survey gesetzt. Der SDSS ist die detaillierteste Durchmusterung in der gesamten Geschichte der Astronomie. Ein Viertel des Himmels wird fotografiert werden. Dabei werden Bilder von 100 Millionen Sternen und ebenso vielen Galaxien gemacht und deren Koordinaten bestimmt. Darüber hinaus wird SDSS die Entfernung von einer Million Galaxien messen und damit eine dreidimensionale Rekonstruktion von einem Volumen ermöglichen, das hundertmal größer ist als alles, was bislang erforscht wurde.

Namensgeber für das 80 Millionen Dollar teure Mammutprojekt ist der wichtigste Geldgeber, die Alfred P. Sloan Foundation in New York. Die Arbeiten teilen sich die University of Chicago, das Fermilab in Batavia, Illinois, die Princeton University und das Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, die Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, das United States Naval Observatory, die University of Washington in Seattle sowie die Universitäten von Tokio und Kyoto.

„SDSS wird viel genauer sein als der bisherige Standard-Himmelsatlas, der 40 Jahre alte Palomar Sky Survey“, sagt Bruce Margon von der University of Washington. „Bei diesem Atlas wurden fotografische Platten verwendet, um zweifarbige, zweidimensionale Bilder zu produzieren. Unsere Durchmusterung basiert auf digitaler Technologie und Spektroskopie und liefert fünffarbige Aufnahmen in drei Dimensionen.“ Für SDSS wurde eigens ein neues Teleskop gebaut. Im Mai 1998 feierte es sein „erstes Licht“ und hatte gleich die hochgesteckten Erwartungen der Astronomen erfüllt. „Wir haben nicht daran gezweifelt, daß alles klappen würde. Aber der Kick, den uns die ersten Aufnahmen gaben, nach fünf Jahren harter Arbeit, war unglaublich“, erinnert sich James E. Gunn von der Princeton University, der wissenschaftliche Leiter von SDSS. „Als ich die Bilder auf dem Monitor auftauchen sah, wußte ich, daß sich die 18 Reisen über den Pazifik gelohnt hatten“, pflichtet ihm Mamoru Doi von der Universität Tokio bei.

Das SDSS-Teleskop hat einen Hauptspiegel von 2,5 Meter Durchmesser und steht auf dem Apache Point in den Sacramento Mountains im Süden von New Mexico. Dort, in 2800 Meter Höhe und fern vom Licht der Städte, gibt es mit die dunkelsten Nächte in den ganzen USA. Die New Mexico State University betreibt hier bereits ein 1-Meter-Teleskop und hat auch die Steuerung des SDSS-Instruments übernommen.

Das 2,5-Meter-Teleskop besitzt ein drei Grad großes Gesichtsfeld – vergleichbar mit dem Hilfsteleskop eines Amateurastronomen, aber eine Million Mal empfindlicher. Es ist nicht in einer domförmigen Kuppel untergebracht, wie man es von einer klassischen Sternwarte erwarten würde, sondern wird tagsüber von einer verschiebbaren Garage umschlossen und steht nachts im Freien. Diese Methode ist nicht nur wesentlich preiswerter, sondern ermöglicht auch eine bessere Bildqualität. „In einer Kuppel steht die Luft, so daß sich Temperaturunterschiede nicht rasch genug ausgleichen können und die Aufnahmen etwas verschleiern. Das ist wie wenn man an einem heißen Tag durch die flimmernde Luft über einem Asphaltparkplatz schaut“, erklärt Walter Siegmund von der University of Washington, der Chefingenieur von SDSS. Als Windschutz dient eine Kiste aus Spezialmaterial, die das Teleskop umgibt. Sie reduziert die Windgeschwindigkeit auf zehn Prozent. Dies garantiert den notwendigen Temperaturausgleich und damit Aufnahmen optimaler Schärfe.

SDSS benutzt die größte jemals gebaute Digitalkamera. Sie besteht aus 30 elektronischen Detektoren mit jeweils 2048 mal 2048 Bildpunkten, die hundertmal empfindlicher sind als die herkömmlichen Fotoplatten. Die Detektoren sind in fünf Reihen angeordnet und mit verschiedenen Farbfiltern versehen, die das Spektrum von Ultraviolett über Grün und Rot bis Infrarot abdecken – von 354 bis 925 Nanometer. Sie erfassen eine Fläche von 30 Vollmonden und können den Sternenhimmel beobachten, ohne daß das Teleskop nachgeführt werden müßte, um die Erdrotation auszugleichen – eine enorme Kostenersparnis und Verbesserung der Präzision. Das Licht der Himmelsobjekte streicht einfach über die einzelnen lichtempfindlichen Zellen. Die Meßdaten werden erst im Computer addiert und zu Bildern verrechnet. Außerdem sind zwei insgesamt über eine Million Dollar teure Spektrographen an das Teleskop angeschlossen. Die Herstellung der 2,6 Meter großen Geräte hat drei Jahre gedauert. „Sie sind unsere 3D-Brille“, schmunzelt Alan Uomoto von der Johns Hopkins University, der Leiter des Spektrographen-Teams.

Wie bei 2dF heißt auch bei SDSS das Erfolgsrezept Multifaser-Spektroskopie. Die SDSS-Spektrographen können gleichzeitig das Licht von 640 Objekten bei Wellenlängen zwischen 400 und 900 Nanometern analysieren und Relativgeschwindigkeiten auf 50 Kilometer pro Sekunde genau messen. Die Ziele – Sterne, Galaxien und Quasare – werden aus den zuvor aufgenommenen Bildern ausgewählt. Ihre Position wird wie bei 2dF auf eine Aluminiumplatte übertragen, an die Glasfasern mit Prismen angeflanscht sind. Pro Nacht kommen sechs bis neun solcher Platten zum Einsatz. Im Jahr sind so rund 220000 Messungen möglich. Um die Entfernung der anvisierten eine Million Galaxien und Sterne zu bestimmen, benötigt SDSS daher nur fünf Jahre. Wenn die Astronomen wie bei der herkömmlichen Technik nur eine Galaxie pro Belichtung ins Visier nähmen, wäre SDSS noch 150 Jahre lang beschäftigt.

Pro Sekunde sammelt SDSS fünf Megabyte Daten. In jeder Nacht sind das 200 Gigabyte – soviel wie 14 CD mit dem kompletten Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Insgesamt wird die Datenflut 15 bis 40 Terabyte (Billionen Byte) umfassen. „Diese Informationsmenge ist vergleichbar mit jener in der Library of Congress“, meint Alexander Szalay von der Johns Hopkins University, der für die Datenanalyse zuständig ist. Zum Vergleich: Im Human Genome Projekt, bei dem gegenwärtig alle Gene des Menschen kartiert werden, fallen etwa 10 Gigabyte an.

„Die bisherigen Techniken der Astronomie reichen für dieses Projekt nicht aus. SDSS benötigt ein neue Art der Informationsverarbeitung“, sagt Szalay und betont, wie wichtig es ist, die Meßdaten rasch auszuwerten, weil die Ergebnisse für die Eichung des Instruments bei der nächsten Beobachtungsrunde gebraucht werden, die immer um den folgenden Neumond herum beginnt. „Wir setzen neue Standards in der Datenanalyse, die auch in anderen Gebieten nützlich sein werden, wo ebenfalls große Datenmengen verarbeitet werden müssen, zum Beispiel bei der Hochenergie-Physik oder beim Erfassen des menschlichen Erbguts.“ Nicht nur die Aufbereitung, auch die Nutzung der Messungen stellt die Wissenschaftler vor gewaltige Herausforderungen. „Wie können diese Datenmassen so gespeichert werden, daß sie möglichst leicht zugänglich sind? Und wie findet man, was man sucht?“ fragt George Djorgovski vom California Institute of Technology.

Szalay und seine Mitarbeiter haben den Himmel in unendlich viele ineinander verschachtelte Dreiecke unterteilt. Jedes größere Dreieck besteht aus einer Anzahl kleinerer Dreiecke, diese wiederum aus weiteren Dreiecken und so fort. „Jeder kann so viele Unterteilungen nutzen, wie er möchte“, sagt Szalay. „Jede Region ist Teil eines größeren Dreiecks.“

Mit dieser Mosaik-Methode läßt sich der SDSS-Katalog nach den individuellen Bedürfnissen der Nutzer durchsuchen, und beliebige Himmelsregionen können in vielerlei Hinsicht miteinander verglichen werden. „Dies ist ein neuer Weg, Wissenschaft zu betreiben“, sagt James Crocker, Szalays Kollege an der Johns Hopkins University. „Um die Fragen über die Natur des Universums zu beantworten, schauen wir nicht mehr direkt in den Himmel, sondern in unsere Datenbestände. Wir nennen das Daten-Bergbau.“ Szalay denkt noch weiter in die Zukunft. Sein großer Traum ist eine Art astronomisches Telefonbuch, in dem Millionen von Himmelsobjekten in 14 verschiedenen Wellenlängen verzeichnet sind, vom Radiobereich über das infrarote und sichtbare Licht bis hin zum Ultraviolett – ein Kompendium von schon vorhandenen, gerade erstellten und in naher Zukunft geplanten Stern- und Galaxienkatalogen.

Dann kann sich jedermann die gewünschten Himmelsobjekte heraussuchen, sie in anderen Wellenlängen betrachten, ihre Umgebung anschauen oder beispielsweise nach ähnlichen Objekten in einer bestimmten Region forschen. Szalay nennt dies „den Himmel anwählen“ und begeistert sich: „Fachleute wie Laien haben damit ein virtuelles Teleskop.“

Der Anfang ist bereits gemacht: Er heißt Digital Sky Project. Dabei werden Daten des Digitalisierten Palomar Sky Surveys im optischen Bereich mit der noch laufenden Radiodurchmusterung FIRST (Faint Images of the Radio Sky at Twenty centimeters) verknüpft und übers Internet weltweit zugänglich gemacht. Schon jetzt ist das eine wertvolle Hilfe bei der Suche nach neuen Sternen oder nach fernen Quasaren, die hinter galaktischen Staubwolken verborgen sind. „Durch einen Vergleich heller Palomar-Objekte mit den Radioaufnahmen fanden wir 400 bislang unbekannte Quasare“, freut sich Richard White vom Space Telescope Science Institute in Baltimore. „Wir können den Himmel schon jetzt anwählen.“

So werden uns die geheimnisvollen Früchte in Herschels Garten allmählich vertraut. Doch obwohl die neuen Technologien immer präzisere Bilder vom Kosmos zeichnen – wenn wir nachts die Augen heben und in den Himmel schauen, ist Herschels Garten noch immer voller wunderbarer Sterne.

Ein Jahrhundertwerk wird neu belebt

Das erste große astronomische internationale Gemeinschaftsprojekt begann 1887, als Astronomen aus aller Welt beschlossen, den Himmel genauer zu vermessen als jemals zuvor. Das Ziel war ehrgeizig: Mit Hilfe der neu entwickelten fotografischen Platten sollte die Position aller Sterne bis zur 11. Größenklasse auf eine halbe Bogensekunde genau bestimmt und in dem Astrographischen Katalog AK verzeichnet werden – solche Sterne sind hundertmal lichtschwächer als die gerade noch mit bloßem Auge sichtbaren Sterne. Ein zweiter fotografischer Atlas namens Carte du Ciel sollte sogar alle Sterne bis zur 14. Größenklasse erfassen, die nochmals 16mal lichtschwächer sind.

Für AK machten 22 Observatorien ab 1891 jeweils bis zu 1500 Himmelsaufnahmen mit je 150 bis 500 Sternen. Beteiligt waren Sternwarten in ganz Europa sowie in Australien, Indien, Algerien, Mexiko und Argentinien. Das letzte Observatorium beendete seine Arbeit erst 1950, nachdem fast alle fotografischen Platten des Astrophysikalischen Instituts in Potsdam im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren. „Das Projekt hat enorm viel Zeit verschlungen“, sagen Sean E. Urban und Thomas E. Corbin vom US Naval Observatory. „Für jede der erst 17 und dann 22 Meßzonen waren mindestens zehn Jahre Fotografieren und bis zu 40 Arbeitsjahre Auswerten nötig. Das Observatorium des Vatikans hat sogar Nonnen mit der Bestimmung der Sternpositionen beschäftigt.“ Insgesamt wurden mehr als 4,6 Millionen Sterne vermessen. Innerhalb von 60 Jahren erschienen über 150 Bände des AK, doch er wurde nie vollendet. Das Ziel war einfach zu hoch gesteckt. „Die USA hatte sich an dem Projekt nicht beteiligt. Vielleicht sind deshalb viele einst führende europäische Sternwarten im 20. Jahrhundert in der Forschung hinter die USA zurückgefallen“, vermuten Urban und Corbin.

Trotzdem war das Mammutprojekt nicht vergeblich. Denn Urban, Corbin und andere haben den Katalog ab 1988 in den Computer eingescannt und die Daten maschinell aufbereitet, korrigiert und mit 700000 Sternpositionen einer Himmelsdurchmusterung des US Naval Observatory verglichen. So entstand bis 1997 ein neuer Katalog, AC 2000 genannt, der als Bezugspunkt für den Sloan Digital Sky Survey dient. Außerdem wurde AC 2000 inzwischen auch mit Hipparcos‘ Tycho-Katalog zum ACT Reverence Catalog verknüpft. „Diese Aktualisierungen brachten uns Daten über die Eigenbewegung von mehreren 100000 Sternen“, freut sich Urban. „Die Genauigkeit der Angaben ist wesentlich größer als mit dem Tycho-Katalog allein, weil Hipparcos ja nur vier Jahre lang gemessen hat. So haben sich die Anstrengungen einer ganzen Astronomengeneration letztlich doch gelohnt.“

Rüdiger Vaas

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