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Titelthema – Die Welt in 3D: Mikro-Monster

Allgemein

Titelthema – Die Welt in 3D: Mikro-Monster
Bizarre Überlebenskünstler. Als lebende Fossilien teilen Asseln und Silberfischchen mit uns Küche und Bad. Sie werden auch noch da sein, wenn die Evolution das „Experiment Mensch“ längst wieder beendet hat.

In seinem Saurier-Grusical „Jurassic Park“ ließ Star-Regisseur Steven Spielberg ein paar hungrige Fossilien per Gentechnik zum Leben erwecken und lockte damit Millionen in die Kinos. Anfang 1999 erzielten die Lichtspielhäuser Rekordumsätze mit Disneys Insekten-Krimi „Bugs – Das große Krabbeln“. Was liegt näher, als zwei Erfolgsrezepte zu verbinden und einen Film zu drehen über die wahrhaft lebenden Fossilien, mit denen der Mensch Bad und Küche teilt? Aus der Nähe betrachtet – haben Sie Ihre 3-D-Brille zur Hand? – sehen Asseln, Schaben und Springschwänze nicht weniger monströs aus als die Schreckensechsen der Kreidezeit.

Aber sie sind zäher. Kein Kometeneinschlag wird sie von der Erde fegen, wie es mit den Sauriern geschah, und auch der Mensch wird ihnen nicht den Garaus machen.

Was bleibt ihm übrig? Das Staunen. Und vielleicht ein bißchen Gruseln. Exklusiv für bdw-Leser hier ein Einblick in die noch geheime Casting- Liste des neuen Reißers „Jurassic Bugs – Die überleben werden“.

Die Rollenverteilung folgt bewährtem US-Konzept: Den Part des reaktionsschnellen und knallharten Helden übernimmt die Schabe, den des Spezialisten im Hintergrund der Springschwanz, den unterschätzten Außenseiter spielt die Kellerassel, und für die Romantik ist das Silberfischchen zuständig. Die Besetzungliste skizziert die jeweils einzigartigen Fähigkeiten der Akteure in der Reihenfolge ihres Auftretens:

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Der Springschwanz – Vor 380 Millionen Jahren, als das heutige Südamerika, Afrika, Australien und die Antarktis noch den zusammenhängenden Kontinent Gondwana bildeten, hüpfte das Ur-Insekt durch die Farnwälder, fraß das Laub und sorgte so für fruchtbaren Humus. Springschwänze – biologisch: Collembolen – sind die individuenreichste Insektengruppe der Erde. 2000 der meist ein bis zwei Millimeter großen Tiere können in einem Liter Waldboden stecken – oder in der Erde eines mittelgroßen Blumentopfes.

Zum Überlebensspezialisten machen den Springschwanz zwei Körperteile, die sich im Laufe der Äonen kaum verändert haben: Eine Sprunggabel und ein in der Tierwelt einmaliges Multifunktionsorgan, der Ventraltubus.

Der Tubus sitzt am Bauch. Er ist ein schwellfähiges Röhrchen, das per Blutdruck ausgefahren wird. Nach der Erektion dient es zu allem, nur nicht zur Fortpflanzung. Der Collembole atmet durch die dünnen Wände des Tubus, er schlürft Wasser damit und schwitzt Mineralien aus, er saugt sich damit auf glattem Untergrund fest, und manchmal ist das Röhrchen so beweglich, daß sich das Tier damit auch noch putzen kann.

Hinter dem Ventraltubus ist die zweizinkige Sprunggabel flach unter den Bauch geklappt. Zur Flucht schlagen kräftige Muskeln die Gabel fest gegen den Untergrund und katapultieren den Springschwanz hoch in die Luft – zur Verblüffung seiner Feinde, und zum Entsetzen mancher Hausfrau, die beim Gießen ihrer Topfpflanzen zuweilen erlebt, daß die Blumenerde scheinbar lebendig wird. Aber solche vorübergehenden Massenansammlungen von Collembolen sind höchstens lästig, nicht schädlich.

Das Silberfischchen – Mehr als 300 Millionen Jahre schon verführt das romantische Liebesspiel des Silberfischmännchens seine schuppig-glänzende Braut – seit es Häuser gibt, bevorzugt im warm-feuchten Badezimmer. Sein Tanz ist wie geschaffen für eine Atempause im Action-Streifen der Evolution.

Das knapp zehn Millimeter große Tier beginnt seine Werbung mit einer rasanten Choreographie. Es kurvt wild vor dem Weibchen umher, um dessen Aufmerksamkeit zu fesseln. Zwischendurch hält es immer wieder an zum „Köpfeln“: Brust an Brust steht das Paar und betrillert sich gegenseitig mit den empfindlichen Fühlern. Wenn die Auserwählte in Stimmung ist, schreitet der Silberfisch zum Akt: Er heftet mit den Spinndrüsen seines Hinterleibs einen Faden an die Kacheln des Bades und spannt ihn schräg hinab zum Fliesenboden. Darunter legt er ein Spermapäckchen ab. Dann geleitet er das Weibchen unter den Spinnfaden. Sobald es mit dem Rücken daran stößt, bleibt es stehen, tastet mit seinem Hinterleib nach dem Samenpaket und saugt es in seine Geschlechtsöffnung. Das Hochzeitsmahl – Haare, Schuppen und Hornhaut ihres menschlichen Gastgebers – nimmt das Paar schon wieder getrennt ein.

Die Schabe – Als sich vor rund 300 Millionen Jahren gerade alle Landmassen der Erde zum Einheitskontinent Pangäa zusammengefügt hatten und die Ahnen der Saurier gerade lernten, auf vier Beinen zu kriechen, da sahen die Schaben schon genauso aus wie heute. Zwei Eigenschaften haben dafür gesorgt, daß sie nie Existenzprobleme hatten: Sie sind anspruchslos und hart im Nehmen.

Schaben fressen alles, sie können aber auch wochenlang hungern. Eine dreifache Wachsschicht bedeckt ihren gepanzerten Körper und macht sie unempfindlich gegen Hitze, Kälte und Trockenheit. Spätestens nach sechs Generationen sind sie bisher gegen alle Gifte immun geworden – und sechs Generationen produzieren Schaben in einem Jahr.

Am wichtigsten für ihr Überleben aber sind ihre Reaktionsgeschwindigkeit und ihre Sinnesleistungen. Rennende Schaben, das haben gerade erst Wissenschaftler in Israel gemessen, können binnen einer Sekunde 25mal die Richtung ändern. Dicke Nervenstränge durchziehen ihren Körper von den Schwanzanhängen bis zum Gehirn. Sie leiten Impulse pro Sekunde 25 Meter weit, viel schneller als alle anderen Insekten. In den Fußspitzen der Schabe sitzen außerdem Vibrationssensoren, die Bodenschwingungen vom Durchmesser eines Wasserstoffatoms registrieren. So erschütterungsfrei schleicht kein Feind, als daß die Schabe es nicht wie ein Erdbeben spüren würde.

In ihren Schwanzanhängen übertragen haarfeine Sensoren blitzartig Luftdruckveränderungen auf die Nervenbahnen. Noch ehe das von hinten kommende Warnsignal – etwa der Luftschwall eines herabsausenden Pantoffels – im Gehirn angekommen ist, reagieren die Beine schon von selbst: Schaben rennen, bevor sie wissen, warum – wahrscheinlich auch noch die nächsten 300 Millionen Jahre.

Die Kellerassel – Unter den Überlebenskünstlern nimmt sie in doppelter Hinsicht eine Sonderstellung ein: Sie ist kein Insekt, sondern ein Krebs, und sie ist vergleichsweise jung. Das Festland haben die Asseln erst vor 65 Millionen Jahren erobert. Inzwischen sind einige Arten zwar bis in die Wüsten vorgedrungen, das sparsame Haushalten mit dem Wasser aber ist bis heute ihr Hauptproblem geblieben.

Dazu hat die Kellerassel einen geschlossenen Flüssigkeitskreislauf entwickelt, der eine bizarre Besonderheit aufweist: Sie scheidet Harn am Mund aus und trinkt mit dem After.

Der Kreislauf beginnt an den Kieferdrüsen zu beiden Seiten hinter dem Kopf. Der ausgeschiedene Urin wird von da über eine Rinne zwischen den Beinen hindurch nach hinten geleitet. Schuppen unter dem Bauch vergrößern die Oberfläche des Flüssigkeitsstromes, aus dem stickstoffhaltige Stoffwechselschlacken an die Umgebungsluft verdunsten. Umgekehrt nimmt das allmählich reiner werdende Wasser Sauerstoff auf. Unter dem Bauch strömt es über speziell konstruierte Blattbeine. Die funktionieren wie Kiemen: Durch ihre dünne Haut diffundiert der Sauerstoff ins Blut der Assel.

Am Körperende saugt sie das Wasser durch den After wieder auf.

Unterschiedlicher könnten die Überlebenskonzepte der lebenden Fossilien kaum sein. Dennoch haben sie alle etwas gemein: Es gibt keinen menschenbewohnten Ort auf der Welt, wo die Urtiere nicht vorkommen, ob in einer Baracke auf dem Balkan oder im New Yorker Hilton. Meistens sind sie sogar die ersten Bewohner. Auch in den nagelneuen Regierungsbauten Berlins (siehe Seite 8) warten schon Schaben, Asseln und Silberfischchen in den Luftschächten und Parkettritzen auf die Ankunft der Politiker. Und wenn eine Sekretärin den ersten Blumentopf auf die Fensterbank stellt, haben auch die Springschwänze Einzug gehalten.

Alle da? Auf die Plätze. „Jurassic bugs“ – die Erste. Kamera ab…

Volker Steger / Jürgen Nakott

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