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Titelthema – Einsteins Geniestreich: „Einsteins Erbe ist in Gefahr“

Allgemein

Titelthema – Einsteins Geniestreich: „Einsteins Erbe ist in Gefahr“
Stirbt die deutsche Gravitationsphysik? Deutschland könnte in der Gravitationsphysik künftig Entwicklungsland sein, warnt Prof. Friedrich Hehl von der Universität Köln. Der Sprecher des Fachverbandes Gravitation und Relativitätstheorie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) hat die Öffentlichkeit alarmiert, um Einsteins Erbe zu retten.

bild der wissenschaft: Herr Professor Hehl, Sie haben in einem offenen Brief den Niedergang der deutschen Gravitationsphysik beklagt. Ist das nicht etwas übertrieben?

Hehl: In Deutschland gibt es neben dem Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam nur fünf Arbeitsgruppen an Universitäten, die sich hauptamtlich mit Gravitation beschäftigen. Vier dieser Gruppen dürften in den nächsten vier Jahren wegen Emeritierung aufgelöst werden. Zum Vergleich: In Großbritannien gibt es 11 Arbeitsgruppen, in den USA über 35. Das Geburtsland der modernen Gravitationsphysik würde noch weiter abgehängt.

bild der wissenschaft: Die Allgemeine Relativitätstheorie ist 80 Jahre alt: Ist diese Fachrichtung überhaupt noch zeitgemäß?

Hehl: Schauen Sie sich doch die Lehrpläne an den Universitäten an: Die Hälfte der Studenten lernt Gravitationsphysik auf der Basis von Newtons über 300 Jahre alter Theorie. Ist das zeitgemäß? In vielen Lehrplänen kommt die moderne Theorie der Gravitation gar nicht vor. Das ist ein Unding. Ein Grund ist, daß Einstein emigrieren mußte und mit ihm viele andere brillante Physiker. Dadurch hat die Gravitationsforschung hierzulande an Bedeutung verloren. Doch meine Erfahrung zeigt, daß Studenten sich sehr für die Frage nach Raum und Zeit interessieren. Viele haben das Physikstudium begonnen, weil sie mehr darüber lernen wollten. Heute gehen diese jungen Leute lieber ins Ausland. Man sollte den Namen Einstein für die Akzeptanz der Physik nicht unterschätzen.

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bild der wissenschaft: Welche Rolle spielt bei dem Problem der Verteilungskampf unter den Universitätsphysikern?

Hehl: Natürlich gibt es Verteilungskämpfe. Viele Kollegen schauen nur noch auf ihre Unterdisziplin, für sie ist die Relativitätstheorie mittlerweile Esoterik. Daß zwischenzeitlich im Mittelpunkt unserer Milchstraße ein Schwarzes Loch entdeckt wurde, das ohne Einsteins Gravitationstheorie überhaupt nicht verstanden werden kann, ist jenen Kollegen offenbar entgangen. Die Fachbereiche an den Universitäten entscheiden allein über die Stellenvergabe. Ein übergeordnetes Gremium auf Länder- oder Bundesebene, das die Berufungen koordiniert und Minderheitenfächer schützt, gibt es nicht. Geldmangel kann eigentlich kein Grund für den Abbau in der Gravitationsphysik sein. Diese theoretische Disziplin kostet nicht mehr als das Gehalt des Wissenschaftlers, Papier und Bleistift.

bild der wissenschaft: Liegt es vielleicht auch daran, daß die Gravitationsphysik nicht gerade anwendungsnah ist?

Hehl: Es wird immer nach Anwendungen geschaut, nach dem Motto: Nur was der Industrie nützt, ist gut. Daß wir ein naturwissenschaftliches Bildungsniveau als solches aufrechtzuerhalten haben, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber es gibt auch Anwendungen: Ohne die Relativitätstheorie gäbe es kein präzises Global Positioning System (GPS). Und die Gravitationswellendetektoren, die derzeit gebaut werden, erfordern Leute, die sich in der Materie auskennen. Sonst sind diese Experimente sinnlos. Die größte Herausforderung aber ist die Vereinigung der Gravitationskraft mit den anderen drei Naturkräften. Sie wird uns noch 50 oder sogar 100 Jahre beschäftigen.

bild der wissenschaft: Wie haben Ihre Kollegen auf Ihren Vorstoß reagiert?

Hehl: Das Echo war nicht besonders groß. Die meisten Dekane der Fachbereiche wollten dazu nichts sagen, weil sie sich nicht die Finger verbrennen möchten. Vom Deutschen Philologenverband und von etlichen Privatleuten kamen aber sehr ermutigende Briefe. Als Anfang der neunziger Jahre das Einstein-Laboratorium in Potsdam geschlossen wurde, hatten wir mit einem offenen Brief an den Wissenschaftsrat bewirkt, daß die Max-Planck-Gesellschaft ein neues Institut für Gravitationsphysik in Potsdam gegründet hat. Ob uns so etwas auf der Hochschulebene wieder gelingt, hängt davon ab, wie die Hochschulreform und damit der Wettbewerb unter den Hochschulen vorankommt. Die Studenten werden immer kritischer und viele verlangen eine Ausbildung in Allgemeiner Relativitätstheorie. Die besten Studenten werden nur an Hochschulen gehen, die das anbieten. Das ist unsere Chance.

Bernd Müller / Friedrich Hehl

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