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Verhängnisvolle Fährte

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Verhängnisvolle Fährte
DNA-Tests werden immer beweiskräftiger. Bald könnten sie sogar verraten, aus welcher Gegend der Täter stammt.

Für Mörder ist der genetische Fingerabdruck wie ein Schreckgespenst. Allein die Androhung dieses extrem beweiskräftigen Tests lässt manche den Kopf verlieren. Im April jagte ein geplanter DNA-Massentest den wahrscheinlichen Mördern der Kinder Sonja und Tom so viel Angst ein, dass sie flohen – und damit die Polizei endgültig auf ihre Fährte brachten.

DNA-Tests sind längst kriminalistischer Alltag. Auch Privatleute können inzwischen bei einem der vielen Untersuchungslabors klären lassen, ob die Zigaretten im Aschenbecher vom mutmaßlichen Liebhaber ihrer Ehefrau stammen oder ob sie wirklich der Vater ihrer Kinder sind. Für den Irak-Feldzug bestellte die US-Armee bei der Firma Promega DNA-Tests für alle Soldaten, um sie notfalls nach dem Tod genetisch identifizieren zu können. Gleichzeitig machen Molekularbiologen die Tests immer schneller, billiger und aussagekräftiger – und haben im letzten Jahr sogar DNA an ungeahnten Orten entdeckt.

So zerstören selbst Feuer oder Bomben diese molekularen Beweismittel nicht völlig. Kelly Esslinger von der Universität im britischen East Lansing und ihre Kollegen demonstrierten dies letztes Jahr an Rohrbomben: Freiwillige nahmen die Sprengkörper jeweils zehn Sekunden lang in die Hand. Die Forscher packten die Bomben anschließend einen Monat lang in sterile Beutel und ließen sie dann in einem Erdloch hochgehen. Die Überraschung: Auf den Splittern von 9 der 20 getesteten Bomben entdeckten die Forscher mit einem hochsensiblen Verfahren das Erbgut der fiktiven Bombenleger. Bei 5 waren die Spuren sogar so eindeutig, dass sie nicht nur Hinweise auf den Täter lieferten, sondern sogar für eine präzise Identifizierung vor Gericht ausgereicht hätten. Die DNA-Spuren, die Mörder beim Hantieren mit der Tatwaffe hinterlassen, sind zum Teil so klar, dass sogar mehrere Menschen die Waffe berühren können und die Forensik-Spezialisten in den kriminaltechnischen Labors hinterher trotzdem feststellen können, wer der Täter war.

Beispiel Messerstecherei: Balázs Egyed vom Institut für Forensische Wissenschaften in Budapest berichtete letzten Herbst seinen Kollegen auf einem Kongress für Rechtsmedizin in Rostock von seinen Experimenten. Er hatte zwei Versuchspersonen ein Messer in die Hand gegeben. Doch nur eine von ihnen sollte damit mehrfach auf eine Puppe einstechen. Die anschließenden Tests bewiesen, was Egyed vermutet hatte: Beim Zustechen wirken so starke Kräfte auf die Hand, dass sich viele Hautzellen am Messergriff abreiben und die DNA-Spur deutlich kräftiger ist, als wenn jemand die Waffe nur anfasst. Wer glaubt, durch Gummihandschuhe oder sorgfältiges Putzen nach der Tat keine Spuren zu hinterlassen, den müssen die Forensiker enttäuschen. Denn die Gefahr ist groß, dass der Täter gerade beim Vertuschen beweiskräftige Erbinformation verliert. „Zum Beispiel kann er beim Anziehen Hautzellen auf der Außenseite des Handschuhs zurücklassen“, sagt Ian Findlay von der Australian Genome Research Facility der University of Queensland. „Bald brauchen die Verbrecher Weltraumanzüge, wenn sie keine Spuren erzeugen wollen“, scherzt man bereits bei der Polizei.

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Bis vor kurzem war ein ausgefallenes Haar kein Problem für einen Mörder, denn Haare enthalten wie Fingernägel keine lebenden Zellen. Während des Wachsens verhornen die haarbildenden Zellen und sterben schließlich ab. Dabei wird auch die Erbinformation beschädigt. Nur wenn das Opfer dem Täter ein Haarbüschel ausgerissen hatte, konnten die Forensiker einen DNA-Test durchführen, denn dann hingen noch Haarwurzelzellen an den Haaren. „Aber 95 Prozent der am Tatort gefundenen Spurenhaare sind ausgefallene Haare“, sagt Ingo Bastisch, stellvertretender Leiter des Gen-Labors im Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden.

Erst vor drei Jahren gelang es BKA-Forschern, einen Test zu entwickeln, der auch aus den spärlichen DNA-Resten im Haar ein eindeutiges Ergebnis liefert. Bis heute sind die BKA-Spezialisten die Einzigen auf der Welt, die dieses Verfahren beherrschen. 2001 konnten sie damit den Mord an Karsten Rohwedder aufklären. Der Vorstandsvorsitzende der Treuhandanstalt war 1991 in seinem Haus erschossen worden. Der Schütze hatte von einem gegenüberliegenden Garten geschossen – und dort fanden die Ermittler neben einem Bekennerschreiben der Roten Armee Fraktion auch ein Handtuch mit einigen ausgefallen Haaren. Die Analyse ergab zehn Jahre später: Sie gehörten dem inzwischen in Bad Kleinen erschossenen Terroristen Wolfgang Grams.

Selbst eine einzelne Körperzelle reicht im Extremfall zum Nachweis aus, und auch Jahrzehnte zerstören die Spur nicht. Um dies zu prüfen, rollte der Australier Ian Findlay vor einigen Monaten einen 50 Jahre alten Fall wieder auf. Eine Frau war damals vergewaltigt worden. Findlay untersuchte die Unterhose des Opfers und entdeckte tatsächlich eine einzelne Samenzelle. Mit einem extrem empfindlichen Verfahren analysierte er die Erbinformation der Zelle und gewann einen eindeutigen genetischen Fingerabdruck. Normalerweise braucht man dazu 200 bis 500 Zellen. Allerdings besteht bei einer einzelnen Zelle die große Gefahr der „Kontamination“, warnte im Wissenschaftsmagazin New Scientist der britische Forscher Alec Jeffreys, der den genetischen Fingerabdruck 1984 erfunden hat: „Bei einer einzelnen Zelle weiß man schließlich nicht, wo sie eigentlich herkommt.“

Die Verunreinigung der Tatortspuren mit fremder DNA ist ein Grundproblem des genetischen Fingerabdrucks, das die Forensiker ständig beachten müssen. Denn das Prinzip dieser DNA-Tests ist es, eine winzige DNA-Menge – es reicht weniger als ein Milliardstel Gramm – biochemisch immer wieder zu kopieren, bis man genug davon hat, um die DNA mit Farbstoffen sichtbar zu machen. Dabei besteht immer die Gefahr, dass die Kriminalbiologen versehentlich DNA von anderen Personen als den Tätern kopieren. Als Vorsichtsmaßnahme nimmt man deshalb zum Vergleich genetische Fingerabdrücke der am Fall beteiligten Ermittler und Kriminaltechniker.

Ein anderes großes Problem für die Analytiker ist die Zerstörung der DNA durch Hitze oder andere Umwelteinflüsse, wie sich beim Absturz der Raumfähre Challenger Anfang des Jahres zeigte. Auch hier konnten Forensiker nicht sämtliche menschlichen Überreste, die auf der 200 Kilometer langen Absturzstrecke verteilt waren, den Verunglückten zuordnen. Normale genetische Fingerabdrücke werden von „Short tandem repeats“ (STRs) genommen. Das sind sich ständig wiederholende DNA-Abschnitte, bei denen es sich nicht um echte Gene handelt, sondern um „Gen-Schrott“ ohne Inhalt. „Obwohl sie ,short‘, also kurz sind, braucht man für eine Analyse doch eine gewisse Länge, so etwa 150 Basenpaare“, beschreibt Peter Schneider vom Institut für Rechtsmedizin in Mainz das Problem. „Manche Verbrennungsopfer sind aber so stark zerstört, dass in ihrem Gewebe nur noch sehr kurze DNA-Abschnitte existieren.“

Schneider koordiniert seit Anfang dieses Jahres ein EU-Projekt, das die Zuverlässigkeit einer neuen Methode testen soll. Die Forscher suchen hierfür nach markanten Mutanten im Genom des Menschen, so genannten Snips. Bei dieser Art der Mutation ist nur ein einziges Basenpaar verändert – und das lässt sich sogar in verbranntem Gewebe nachweisen. Im EU-Projekt wollen die Forscher unter anderem herausfinden, wie viele Snips man analysieren muss, um einen Menschen zweifelsfrei identifizieren zu können. Bei den bislang üblichen STR-Tests werden je nach Land bis zu 13 DNA-Abschnitte erfasst. 7 sind davon in allen europäischen und nordamerikanischen Ländern identisch, damit internationale Datenbankvergleiche funktionieren. Die neue Snips-Methode hat ihre Bewährungsprobe nach dem Anschlag auf das World Trade Center bestanden. Hier mussten die Rechtsmediziner über 10000 menschliche Körperteile zuordnen. Die üblichen STR-Tests scheiterten dabei oft, doch der neue Snips-Test konnte den Ärzten weiterhelfen. Über 1,4 Millionen Snips sind nach den Ergebnissen des Human-Genom-Projekts in den 3,2 Milliarden Bausteinen der menschlichen Erbinformation versteckt. Mit ihrer Hilfe könnten die DNA-Forensiker eines Tages vielleicht sogar zwei wichtige Fragen jeder Ermittlung lösen:

• Wo kommt der Täter her?

• Wie sieht er aus?

Das ist mit dem bisherigen genetischen Fingerabdruck kaum möglich. Bestimmte STRs sind zwar in bestimmten Regionen besonders häufig. So hat das Team um Bernd Brinkmann von der Universität Münster „westfälische Y-Haplotypen“ entdeckt. Die häufigste dieser markanten DNA-Kombinationen kommt bei etwa 25 Prozent aller westfälischen Männer vor. „Die Westfalen sind recht bodenständig, daher haben sich hier bestimmte Mutationen gehalten“ , sagt Brinkmann. Ähnliche Untersuchungen gibt es auch für Vorpommern oder Ägypten. „Snips eignen sich noch besser zur Herkunftsbestimmung, denn sie mutieren nicht so schnell wie STRs“ , sagt Peter Schneider, „Diese Gen-Veränderungen spiegeln die Wanderungen der Menschheit über den Erdball wieder.“

Snips könnten sogar etwas über das Aussehen eines Menschen aussagen, was mit der bisherigen STR-Methode nicht möglich ist. Denn STRs sind immer DNA-Schrott, und können darum nie verraten, ob ein Mensch etwa groß ist oder ein Diabetiker. Snips kommen dagegen auch in echten Genen vor und beeinflussen die Funktion und das Erscheinungsbild des menschlichen Körpers. „Allerdings wissen wir zurzeit noch sehr wenig über die Gene, die unser Aussehen prägen“, sagt Bernd Brinkmann. „Das einzig zuverlässige Merkmal, das wir bestimmen können, ist Rothaarigkeit. Das Gen-Phantombild wird noch lange Zeit Zukunftsmusik bleiben – schon allein wegen der Kosten. Allein um die Gene für Blauäugigkeit zu finden, bräuchte man etwa fünf Millionen Euro.“

KOMPAKT

• Die neuen genetischen Fingerabdrücke sind äußerst empfindlich: Ein Haar oder eine einzige Körperzelle reichen inzwischen für die Identifizierung eines Menschen aus.

• Und sie sind robust: Mit neuen „Test-Genen“ ließen sich sogar die verkohlten Opfer des Anschlags aufs World Trade Center identifizieren.

Thomas Willke

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