Die Wellenfunktion in der Schrödinger-Gleichung ist eine der seltsamsten Ingredienzen der modernen Physik. Diese Grundgleichung der wissenschaftlich exzellent bestätigten Quantenphysik entwickelt sich streng deterministisch: Die Werte, die sie annehmen kann, sind durch die Vorbedingungen eindeutig festgelegt. Hingegen scheinen Quanteneffekte rein zufällig und völlig unvorhersagbar aufzutreten. Über diesen Widerspruch streiten die Forscher seit den 1920er-Jahren.
Ein Lösungsvorschlag geht auf die Dissertation des Amerikaners Hugh Everett III aus dem Jahr 1957 zurück. Im Gegensatz zu den anderen Interpretationen der Quantenphysik „kollabiert” die Wellenfunktion in Everetts Many-Worlds-Interpretation nicht von selbst, durch Messungen, durch Wechselwirkung mit der Umgebung und so weiter. Der Quantenzufall wäre damit eine Illusion. Stattdessen spaltet sich das Universum gleichsam auf – aber nicht räumlich, sondern in Form von schwer vorstellbaren Überlagerungszuständen, wie sie sich bei Doppelspalt-Experimenten sogar als Interferenzmuster messen lassen. Schrödingers berüchtigte Katze wäre also immer zugleich lebendig und tot.
Diese gespenstischen Superpositionen sind im selben Raum, lassen sich aber innerhalb der einzelnen klassischen Zweige der Wellenfunktion – und somit von Beobachtern, wie wir es sind – nicht überblicken. Jede Quantenkopie steckt in ihrer eigenen Geschichte beziehungsweise Welt. Diese abenteuerliche Vorstellung hat etwas Alarmierendes und Beunruhigendes zugleich.
Soll man beispielsweise für die Erhaltung des Lebensraums notleidender Schimpansen spenden oder sich lieber eine Reise zu Friedrich Nietzsches Stein der Ewigen Wiederkehr bei Sils Maria gönnen? Im Quantenmultiversum wird man beides tun – und noch viel mehr.
Ständige Aufspaltung: Nach der Many-Worlds-Interpretation der Quantenphysik teilt sich das Universum bei jeder Alternative und verwirklicht alle Möglichkeiten.