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Vor dem Urknall – Quantenvakuum, Erbse oder oder Trivialiät?

Allgemein

Vor dem Urknall – Quantenvakuum, Erbse oder oder Trivialiät?
Wie das Universum aus (fast) nichts entstand: War am Anfang die große Leere, eine Zeitschleife oder gar der Plan eines kosmischen Ingenieurs?

Schildkröten sind das Fundament der Welt: Im Anschluss an einen astronomischen Vortrag des britischen Mathematikers und Philosophen Bertrand Russell soll sich einmal eine ältere Dame zu Wort gemeldet haben. Sie akzeptiere nicht, dass die Erde nur ein Planet unter vielen sei und die Sonne nur ein Stern unter unzähligen. Sie glaube vielmehr, die Erde sei eine Scheibe, die von einer riesigen Schildkröte auf dem Rücken getragen würde. Russell erkundigte sich etwas spöttisch, worauf denn die Schildkröte stünde. „Geben Sie sich keine Mühe”, erwiderte die Frau. „Sie steht auf einer anderen Schildkröte, und diese wieder auf einer anderen und so weiter bis ins Unendliche.”

Der Schildkröten-Turm ist eine schöne Parabel für die Alltagsweisheit „Von nichts kommt nichts”. Aber woher stammt dann alles – der gesamte Kosmos? Wenn unser Universum wirklich mit einem Urknall entstand, was war dann vorher – oder, wenn diese Frage als sinnlos zurückzuweisen wäre: Wie und warum kam es zum Urknall? Und wenn es darauf eine Antwort gäbe: Wieso sind dann die Annahmen, auf denen sie beruht, wahr? – Eine unendliche Reihe von Schildkröten, also eine infinite Kette der Fragen, ist rein logisch betrachtet keineswegs zwangsläufig. „Nur weil alle Mitglieder eines Vereins eine Mutter haben, folgt daraus noch nicht, dass auch der Verein selbst eine Mutter besitzt”, sagt John Barrow, ein Kosmologe an der University of Cambridge. Doch, so lässt sich hinzufügen, die Vereinsgründung selbst muss auch erklärlich sein.

Endpunkt der Physik

Nach allem, was wir wissen, dehnt sich der Weltraum aus. Extrapoliert man die Expansion im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie immer weiter in die Vergangenheit – so als würde man den kosmischen Film rückwärts abspielen –, gelangt man allerdings an einen unerfreulichen Punkt in den Gleichungen: die Singularität. Hier bricht die Physik zusammen, die Naturgesetze verlieren ihre Gültigkeit und wissenschaftliche Aussagen sind unmöglich, weil Temperatur und Dichte unendlich, Raum und Zeit dagegen null werden. Jahrzehntelang mochten viele Kosmologen nicht glauben, dass die Expansion wirklich auf einen solchen seltsamen Zustand hindeutet. Denn:

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• Nichts lässt sich beliebig zusammenpressen, irgendwann überwiegt stets der Gegendruck.

• Das Universum hat sich nicht ganz gleichmäßig ausgedehnt. Daher müssen sich nicht alle Weltlinien in einem Vergangenheitspunkt vereinigen, sondern sie laufen quasi aneinander vorbei.

• Die Singularität könnte ein Artefakt sein, das aus einer irreführenden Wahl der Koordinaten resultiert – vergleichbar mit den Meridianen, die auf dem Erdglobus Singularitäten am Nord- und Südpol erzeugen, weil sie sich dort überschneiden; die Breitengrade dagegen haben diese Eigenschaft nicht.

Doch Mitte der sechziger Jahre zeigten der Mathematiker Roger Penrose von der University of Oxford und der Physiker Stephen Hawking von der University of Cambridge, dass die Urknall-Singularität im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie unter sehr plausiblen Voraussetzungen unvermeidlich ist. Die früheren Einwände waren damit widerlegt. Die Zeit hat keine vom Universum unabhängige Bedeutung. Somit erübrigte sich auch die Suche nach dem Davor. Aber die uralte Frage nach dem Anfang der Welt bleibt: Wie kam es zum Urknall?

Eine semantische Schwierigkeit liegt darin, dass das Wort mehrdeutig ist: Urknall bezeichnet sowohl

• die heiße Frühphase des Universums, in der die Materie entstanden ist, als auch

• den absoluten Beginn von Raum, Zeit und Energie als auch

• die Urknall-Singularität selbst.

Traditionell sind alle diese Bedeutungen gleichzeitig gemeint. Sie fallen jedoch keineswegs notwendig zusammen und müssen daher streng auseinander gehalten werden, wie philosophische Überlegungen und die wissenschaftlichen Fortschritte in der Kosmologie zeigen.

• Dass unser Universum einst heiß und dicht war, gilt für die meisten Kosmologen als erwiesen. Doch je weiter sie mit ihren Theorien in die Vergangenheit vorzudringen versuchen, desto größer werden die Schwierigkeiten: Existieren überhaupt grundlegende, nicht weiter reduzierbare Bausteine oder Formen der Materie und Energie? Falls ja: Welche sind es, und woher stammen sie? Und traten sie zugleich mit Raum und Zeit ins Dasein, oder gab es diese „Bühne” schon bevor sich irgendwelche physikalischen Schauspiele darauf ereignen konnten?

• „Die Phase von 10-33 bis 10-4 Sekunden nach der ominösen Urknall-Singularität markiert die Entstehung der Materie und sollte als Urblitz von der Entstehung der Raumzeit begrifflich und konzeptionell unterschieden werden”, betont Wolfgang Priester. Denn, argumentiert der Kosmologe von der Universität Bonn, bereits die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt Weltmodelle, in denen das Universum nicht mit einer Singularität beginnt, sondern Raum und Zeit unabhängig von der Materie und Energie existieren. Solche „leeren” Universen können ewig sein, das heißt keinen Anfang haben. Auch vermag die Inflationstheorie (siehe Artikel „Modell Klassik”) vielleicht zu erklären, wie die Materie entstand und die kosmische Ausdehnung begann. Aber sie beruht ebenfalls auf Voraussetzungen, etwa der Annahme der Naturkräfte, eines falschen Vakuums, eines winzigen Augenblicks vor der Inflation et cetera.

• Die Urknall-Singularität erklärt nichts, sondern bedeutet das Ende aller Erklärungen. Aber sie ist zunächst einmal nur ein mathematischer Grenzwert und muss nicht notwendig eine Entsprechung in der Realität haben. Kühne wissenschaftliche und philosophische Spekulationen darüber, wie es zum Urknall beziehungsweise zur Entstehung von Materie und Energie kam, sind also nicht von vornherein sinnlos – wenn auch durch Beobachtungen gegenwärtig allenfalls schwer und nur indirekt überprüfbar. Immerhin zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass es möglich ist, mit wissenschaftlichen Hypothesen Antwortversuche auf die Frage zu formulieren, wie es zum Urknall kam. Die Singularität ist daher nicht länger ein absolutes, unüberwindliches Stoppschild für unser Erkenntnisvermögen.

Potpourri der Weltmodelle

• Manche Modelle nehmen eine Ursubstanz an, woraus der Urknall explodierte. Die Idee wurde schon von einem der Gründer des Urknallmodells, dem belgischen Astronomen und späteren katholischen Priester Abbé Georges Edouard Lemaître, favorisiert, der von einem zerfallenden Uratom ausging. Nathan Rosen und Mark Israelit von der Universität Haifa, Israel, schlugen ein „ Kosmisches Ei” vor – eine winzige Blase aus einem geschlossenen dreidimensionalen Raum ohne Singularität von 10-33 Zentimeter Größe, gefüllt von Prämaterie mit einer Dichte von über 1093 Gramm pro Kubikzentimeter.

• Wenn das Universum sich – entgegen den aktuellen Beobachtungen – nicht ewig ausdehnt, sondern in einem Endknall selbst verschlingt, könnte daraus vielleicht ein neues Universum wie Phönix aus der Asche hervorgehen, hat schon Lemaître spekuliert. Nach diesem Phönix-Modell wäre unser Universum nur eine Episode in dieser Kette der ewigen Wiederkehr. Ein solches ozillierendes Universum haben vor einigen Jahren Ruth Durrer (Université de Genève) und Joachim Laukenmann (Universität Zürich) als Alternative zur Inflationstheorie wiederbelebt. Wie die Natur beim großen Kollaps die Singularität vermeidet und wieder aufersteht, blieb allerdings rätselhaft.

• Andere Modelle gehen von einer leeren – das heißt materie-freien – Raumzeit aus. Wenn sie von einer Vakuumenergie dominiert wird, könnte sie sich aus der Unendlichkeit und Ewigkeit zusammengezogen und beim Durchlaufen einer Minimalgröße die Materie erschaffen haben. Diese Big Bounce-Hypothese favorisieren Wolfgang Priester und Hans-Joachim Blome. „Der Vorteil dieses Weltmodells besteht darin, dass es sich als direkte Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie ergibt”, sagt Blome, der an der Fachhochschule Aachen arbeitet. Allerdings setzt es voraus, dass die von Albert Einstein eingeführte Kosmologische Konstante, die die Vakuumenergie beschreibt, positiv ist und dass der Weltraum eine bestimmte Energiedichte überschreitet und wie die Oberfläche einer Kugel gekrümmt ist. Die erste dieser Bedingungen, so zeigen die aktuellen Messungen der mysteriösen „Dunklen Energie”, scheint erfüllt zu sein, die zweite ist zumindest im Augenblick nicht auszuschließen.

• Auch im so genannten Prä Big Bang-Modell existiert vor dem Urknall seit Ewigkeiten ein unendlicher, materiefreier, kalter Raum. Gemäß der Stringtheorie ist er notwendigerweise von einem so genannten Dilatonfeld erfüllt, das lokal zu einer Art Inflation führt. „Beginnend aus einem nahezu trivialen Zustand hätte sich das Universum hin zu einer immer stärkeren Krümmung entwickelt”, sagt Gabriele Veneziano vom Europäischen Kernforschungszentrum CERN, der die Stringtheorie mitbegründet und zusammen mit Maurizio Gasperini von der Universität Bari, Italien, das Prä-Big-Bang-Szenario entwickelt hat. Veneziano spricht von einer „asymptotischen Vergangenheitstrivialität” – einfacher könnten die Anfangsbedingungen kaum mehr sein. „Das ist eine Art kopernikanische Revolution, allerdings in der Zeit, nicht im Raum, wenn der Urknall seine historische Bedeutung als Anfangszeitpunkt verliert. Er wird ein gemäßigter, freilich immer noch wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Universums: Er war der Moment der maximalen – wenn auch endlichen – Dichte, Temperatur und Krümmung.”

• Ein anderer Ansatz, den Urknall zu erklären, besteht darin, die Zeit gleichsam erst mit ihm zu erzeugen. Hawking selbst versucht inzwischen damit, die Unvermeidlichkeit der Urknall-Singularität zu unterlaufen. Denn die Allgemeine Relativitätstheorie kann für die allerersten Sekundenbruchteile nicht gültig sein, wenn die Dichte und Energie bestimmte Werte überschreiten. Dann spielen Quanteneffekte eine Rolle, die eine Quantentheorie der Gravitation notwendig machen. Hawking fand zusammen mit James Hartle von der University of California in Santa Barbara einen mathematischen Trick, die Singularität gleichsam auszubooten. Dazu führten sie eine imaginäre Zeit ein: Durch die Multiplikation mit dem Faktor i – der Wurzel aus minus eins – wurde die Zeit gleichsam zu einer vierten räumlichen Koordinate, die im Koordinatenkreuz senkrecht zur gewöhnlichen Zeit steht. „Nehmen wir an, die imaginäre Zeit entspräche den Breitegraden. Dann begänne die Geschichte des Universums in imaginärer Zeit am Südpol. Es hätte keinen Sinn zu fragen: ‚Was geschah vor dem Anfang?‘ Solche imaginären Zeiten sind einfach nicht definiert, so wenig, wie es Punkte südlich des Südpols gibt” , schreibt Hawking. Die spitze Singularität wird im Hawking-Hartle-Modell gleichsam durch eine abgerundete Kappe ersetzt – das Instanton – wo die Koordinaten wie am Südpol zusammentreffen. „Wenn das Universum wirklich völlig in sich selbst abgeschlossen ist, wenn es wirklich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende”, ist Hawking überzeugt. „Es würde einfach sein.” Das ursprüngliche Modell geht von einer hohen Materiedichte aus und der Annahme, dass sich die Ausdehnung des Universums irgendwann umkehrt. Beides lässt sich mit den aktuellen Beobachtungsdaten nicht mehr vereinbaren. Doch zusammen mit Neil Turok von der University of Cambridge gelang es Hawking, die Grundidee der imaginären Zeit auch auf offene, also ewig expandierende Universen zu übertragen (bild der wissenschaft 5/1998, „Stephen Hawkings Weltmodell”). Turok vergleicht das Instanton auf Grund seiner ähnlichen Größe etwas respektlos mit einer Erbse und spricht von einem „One shot”-Universum mit „einem Beginn und einem Big Bang”. Dieses Szenario unterscheidet sich also drastisch vom Modell der ewigen Inflation, bei dem „unser” Urknall nur einer unter vielen war (siehe Beitrag „Modell Klassik” ). Freilich macht das Hawking-Turok-Modell auch erhebliche Schwierigkeiten: Es sagt eine viel zu geringe Materiedichte voraus, es kann noch nicht erklären, wie aus der imaginären Zeit die reale entsteht, und selbst die Singularität ist nicht völlig verbannt, aber harmlos und gleichsam ins Abseits geschoben. Turok: „Wir sind der Singularität gewissermaßen ausgewichen, ohne sie ganz vermeiden zu können. Wir haben einen Weg zum Ursprung gefunden und konnten die Singularität umgehen.”

• Radikaler und ebenfalls ziemlich gut ausgearbeitet ist die Hypothese vom Quantenvakuum als einfachst möglichem physikalischen Zustand noch ohne Raum und Zeit. Durch einen Quantentunneleffekt hätte sich unser Universum (und viele andere) dann „buchstäblich aus dem Nichts” entwickeln können, sagt Alexander Vilenkin von der Tufts University in Medford, Massachusetts. In diesem Quantentunneleffekt-Modell ist das Nichts gewissermaßen instabil und produziert deshalb zufällig Universen. Viele davon sind wüst, leer und kurzlebig, doch manche können durch eine Inflationsphase groß werden. „Vergessen wir die Anfangsbedingungen”, schlägt Vilenkin vor und lässt mit seinen Berechnungen Universen aus dem Quantenschaum wie Blasen aus kochendem Wasser blubbern.

• Die Quantenkosmologie hat auch andere Forscher zu äußerst kreativen Theorien inspiriert. Mehrere Modelle gehen von einem Multiversum aus, das aus vielen einzelnen, voneinander isolierten Universen besteht, aus denen fortwährend neue Universen sprießen wie Hefezellen unter dem Mikroskop – vielleicht sogar in eine Art darwinistischem Wettstreit um die höchste Vermehrungsrate (bild der wissenschaft 2/1998, „Der Bursche mit den verrückten Ideen”). Der Urknall wäre dann nur der Beginn unserer Raumzeit, nicht des Kosmos als Ganzem. Ob dieser ewig ist, wie das Modell der chaotischen Inflation annimmt, das Andrei Linde von der Stanford University entwickelt hat, oder selbst mit einem ersten Universum und Urknall begann, wie Alexander Vilenkin argumentiert, ist umstritten.

• Sogar die Hypothese einer Zeitschleife wurde vorgeschlagen. Danach erzeugte sich das Universum selbst durch einen Rückgriff in seine eigene Vergangenheit. „Das Universum ist gewissermaßen seine eigene Mutter”, pointiert es Richard Gott III von der Princeton University, der dieses Selbsterschaffungs-Modell zusammen mit Li-Xin Li entwickelt hat. „Wir glauben, dass das Universum nicht aus dem Nichts entstand, sondern von etwas abstammt, und dieses Etwas ist es selbst.”

• Noch bizarrer ist die Vorstellung, dass Raum, Zeit, Materie und Energie gar nicht fundamental, sondern abgeleitet sind. Roger Penrose hat über Twistoren nachgedacht, eine Art „Raumzeitstaub” in einer Prägeometrie, aus denen sich Raum und Zeit erst gebildet haben. Und John Archibald Wheeler von der University of Texas in Austin überlegte, ob die Grundsubstanz der Welt nicht Information sein könnte. „It From Bit”, lautet der Titel seiner berühmten Abhandlung. Solche Hypothesen stützen sich auf bestimmte Interpretationen der Quantentheorie und werfen die Frage auf, inwiefern Beobachter durch Messungen nicht gleichsam Mitschöpfer des Universums sind (bild der wissenschaft 9/2001, „Quantenspuk” ). Eine informationstheoretische Kosmologie liegt auch der „ Uren-Hypothese” Carl Friedrich von Weizsäckers zu Grunde. Ihm zufolge konstituieren Ur-Alternativen als „Informations-Atome” die Welt. Wie der Urknall sich aus Bits oder Uren formierte, bleibt aber unklar.

• Gemäß dem Design-Modell könnte unser Universum schließlich auch zielgerichtet erschaffen worden sein: Entweder von Gott oder – wie Edward R. Harrison von der University of Massachusetts, Amherst, spekuliert hat – von einer technisch hoch entwickelten Zivilisation mit kosmischen Ingenieuren. Diese wollten womöglich eine Ersatzwelt bauen, bevor in ihrer eigenen die Sterne verlöschen, oder eine Art Spielzeugland zur Unterhaltung. Diese Idee klingt nach Science-Fiction, hat aber durchaus einen physikalischen Hintergrund: Tatsächlich beschrieben Alan Guth und Edward H. Fahri vom Massachusetts Institute of Technology zusammen mit Jemal Guven von der Universität Mexiko in einer renommierten Physik-Fachzeitschrift, wie man über einen Quantentunneleffekt ein Universum im Labor erschaffen könnte. Dazu müsste man „nur” 10 Kilogramm Materie auf 1080 Gramm pro Kubikzentimeter verdichten. Dann sollte mit einer geringen Wahrscheinlichkeit ein Schwarzes Miniloch entstehen, dessen Inneres bei einem geeigneten Arrangement exponentiell zu expandieren beginnen könnte. Diese Ausdehnung dürfte natürlich nicht in unser eigenes Universum explodieren, sonst hätten die kosmischen Ingenieure ein Problem, sondern sie müsste über ein Wurmloch ein neues Universum erzeugen. Das Schwarze Miniloch würde auf Grund quantenphysikalischer Effekte rasch verdampfen, und das Tochteruniversum hätte sich abgeschnürt. Das Design- Modell verschiebt die Ausgangsfrage freilich nur und löst sie nicht, da dessen Herkunft und Natur unerklärt bleiben.

• Es gibt freilich auch Kosmologen, die den Urknall nicht akzeptieren – und teilweise nicht einmal die Expansion des Weltraums –, sondern eine unveränderliche Welt mit einer ewigen Raumzeit ohne Anfang und globale Entwicklung annehmen. Das sind jedoch Außenseiter. Am bekanntesten ist das „Steady State”-Modell von Fred Hoyle und seinen Mitarbeitern, das eine spontane Entstehung von Wasserstoff (etwa zwei Atome pro Kubikmeter und Jahrmilliarde) annehmen musste, um die beobachtete Materieverdünnung auszugleichen. Später hatte Hoyle das Szenario zum „Quasi-Steady State”-Modell modifiziert und eine periodische, lokale Materieerzeugung im Universum durch immer wiederkehrende „ Mini Big Bangs” postuliert.

Die großen Fragen

„Über die Entstehung des Universums gibt es viele Vorstellungen und Meinungen. Wundere dich also nicht, Sokrates, wenn wir nicht im Stande sind, Erklärungen und Begründungen zu geben, die in jeder Hinsicht exakt sind und konsistent miteinander”, schrieb der griechische Philosoph Platon schon vor 2400 Jahren. Zahlreiche konkurrierende Weltmodelle sind zwar bereits widerlegt, doch ob sich von der verwirrenden Vielfalt der verbliebenen und neu hinzukommenden jemals eines als zutreffend herausstellen wird, ist genauso unklar wie die Frage, ob es andere Universen gibt, und ob diese räumlich, zeitlich oder dimensional von unserem getrennt sind. Ebenfalls kontrovers diskutiert wird der Status der Naturgesetze: Sind sie „an sich” da, unabhängig von den Wissenschaftlern und vielleicht sogar unabhängig von der physikalischen Welt in einem platonischen Reich der Ideen? Oder sind sie Eigenschaften von Raum, Zeit und Materie? Oder bloß eine menschliche Konstruktion und Imagination? Die Schwierigkeiten reichen noch tiefer. Jede mögliche Antwort auf die alten philosophischen Fragen „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?” und „Warum ist das, was ist, so wie es ist, und nicht ganz anders?” basiert ja notwendigerweise auf Annahmen. Keine Theorie ist völlig voraussetzungslos. Deshalb müssen sich die Prämissen wiederum hinterfragen lassen. Steigt man also nicht bloß Stockwerk um Stockwerk im Schildkröten-Turm hinab, ohne jemals das Fundament erreichen zu können?

Immerhin beweist die aktuelle Kosmologie, dass eine Überwindung der Urknall-Singularität eine Fülle neuer Möglichkeiten eröffnet. Niemand würde behaupten, die Forschung am Rand des Denkbaren sei ein gemütlicher Spaziergang. Für Michael Turner sind die Anstrengungen kein Glasperlenspiel. Lieber vergleicht der Physiker an der University of Chicago die Kosmologen mit Jazz-Musikern, die verschiedene Themen für ihre Kompositionen und Improvisationen sammeln. „Man hört etwas und sagt ‚Oh ja, das wollen wir im fertigen Stück haben‘.” Das einzige Unverständliche am Universum sei seine Verständlichkeit, hat Albert Einstein einmal gesagt. „Das Majestätische liegt in der Verständlichkeit”, meint auch Michael Turner. „Der menschliche Geist ist fähig, aus ein paar Relikten herauszulesen, wie alles begann.”

Rüdiger Vaas

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