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Weißwein, Rotwein, Genwein

Allgemein

Weißwein, Rotwein, Genwein
Weinzüchter entdecken die Biotechnik. Überall dort, wo die klassischen Züchtungsmethoden nicht weiterhelfen oder zu langsam sind, sollen den Kulturrebsorten künftig mit Hilfe der Gentechnik neue Eigenschaften einverleibt werden.

Mit einem tiefen Atemzug inhaliere ich den fruchtig süßlichen Geruch, um mir danach die goldgelbe Flüssigkeit auf der Zunge zergehen zu lassen. Nicht schlecht, denke ich, aber ein wenig zu lieblich. Um welche Traube mag es sich handeln? Mit der Zuordnung habe ich ein Problem. „Das ist kein Wunder“, meint Prof. Reinhard Töpfer, Direktor des Siebeldinger Instituts für Rebenzüchtung Geilweilerhof. Denn was sich im Glas befinde, sei weder Riesling noch Silvaner, auch kein Kerner, Morio-Muskat oder Huxelrebe, sondern ein Wein mit der vorläufigen Bezeichnung Gf Ga-47-42. „Ob daraus eines Tages eine verbreitete Sorte wird, steht in den Sternen“, sagt Töpfer.

Die Gläser werden getauscht. Der Weinprofessor schenkt jetzt einen Rotwein aus. „Versuchen Sie den mal“, ermuntert er mich. Auch das intensiv nach Waldbeeren duftende Getränk offenbart sich als züchterisches Neuland: trocken, geschmacklich ein wenig an Cassis erinnernd, auffällig dunkelrot in der Farbe. Anders als Gf Ga-47-42 hat die jetzt verkostete Neuzucht bereits die nächste Hürde genommen. Sie wurde 1997 als neue Sorte klassifiziert und zum Anbau freigegeben. Der Name des Newcomers: Regent. Prof. Töpfer präsentiert den kom-plexen Stammbaum von Regent mit nahen und entfernten Verwandten. Dort stehen Namen wie Alicante, Vivarais, Herbemont, Couderc, Seibel und Othello. Das Elternpaar – Diana und Chambourcin – ist durch Fettdruck hervorgehoben. Ich frage, ob es sich da wirklich um Rebsorten handelt oder nicht vielmehr um eine Ahnentafel des europäischen Hochadels. Doch halt:Als Vater von Othello ist Clinton ausgewiesen. Die Verwirrung ist perfekt.

„Hinter Regent verbergen sich 30 Jahre klassische Züchtung“, fährt Töpfer fort. Eine Zeitspanne, die bei Rebenzüchtungen völlig normal sei. Nach der erfolgreichen Kreuzung im Jahre 1967 habe man in den siebziger und frühen achtziger Jahren den Anbau in mehreren Zuchtstufen vorangetrieben. Bis zum Eintrag in die Sortenliste und zur Klassifizierung gingen weitere 15 Jahre ins Land. (Über den genauen Ablauf informiert der Kasten: „Drei Jahrzehnte bis zur Zulassung“).

Regent ist nicht nur vom Geschmack her etwas Neues: Die Rotweinsorte vereint erstmals in der Geschichte des Weinbaus zwei wesentliche Zuchtziele optimal. Neben der Weinqualität hatten die Rebenzüchter auch die Resistenz gegen Schadorganismen im Visier. So ist die Widerstandsfähigkeit gegen Pilzbefall von Echtem und Falschem Mehltau so groß, daß Bekämpfungsmittel normalerweise unnötig sind. Nach den bisherigen Erfahrungen sind lediglich in Jahren mit besonders starkem Befall oder in besonders gefährdeten Lagen eine oder zwei Behandlungen erforderlich. Andere Rebsorten müssen dagegen vier- bis achtmal pro Jahr vor Mehltau geschützt werden. Auch gegenüber Grauschimmel hat sich Regent als robust erwiesen.

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Mit dem Regent schufen die Züchter eine Rebsorte, die Winzern und Weinkennern gleichermaßen schmecken sollte: Zum einen stimmt die Weinqualität, zum anderen reduziert sich die Zahl der Schädlingsbekämpfungsaktionen auf ein Fünftel. Das senkt nicht nur die Produktionskosten deutlich, sondern vermindert auch die Umweltbelastung durch Pflanzenschutzmittel. Bei der Pflanzenzüchtung und natürlich auch im Weinbau ist jede neue Kreuzung ein Poker. Dafür verantwortlich ist das Puzzle der Gene, die sich in der Nachkommenschaft neu kombinieren und Neuzüchtungen einen eigenständigen Charakter verleihen. Mit anderen Worten: Pilzresistenzen können zwar durch klassische Züchtungsmethoden geschaffen werden. Doch mit dem Nachteil, daß nicht alle Sprößlinge der Mutterreben resistent sind. Bei den Nachkommen entstehen auch unerwünschte Eigenschaften wie eine schwächere Pilzresistenz. Die genetische Neukombination durch die klassische Rebenzüchtung verhindert deshalb auch, vorhandenen Traubensorten, die ihre Weinqualität längst unter Beweis gestellt haben – wie der Riesling – neue Resistenzen gezielt einzuverleiben. Wer das versucht, nimmt in Kauf, daß sich der typische Rieslinggeschmack verändert und Genießer verprellt werden.

„An dieser Stelle setzt die Gentechnik an“, sagt Töpfer. Der wesentliche Unterschied zwischen Kreuzungszüchtung und Gentransfer liegt darin, daß man beim Gentransfer sehr viel kleinere Gen-abschnitte bewegt – ein Kniff, der verhindert, daß sich das genetische Material vollständig durchmischt, was bei einer Kreuzung unvermeidlich ist. Die genetische Konstitution bleibt so im wesentlichen dieselbe, und nur wenige Einzelmerkmale kommen hinzu. Töpfer und seine Mitarbeiter wollen jetzt Resistenzgene in Rebsorten bringen, die in Deutschland bereits verbreitet sind. Die ersten Kandidaten sind bereits gekürt. Es handelt sich einmal um die Dornfelder-Rebe. Der Dornfelder wurde in den Jahren 1955 bis 1979 bei der Staatlichen Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau im württembergischen Weinsberg gezüchtet und ist der Shooting-Star bei den Liebhabern deutscher Rotweine. Eine andere Versuchsrebsorte ist der traditionsreiche Riesling. Inzwischen gibt es sowohl den gentechnisch modifizierten – transgenen – Dornfelder als auch den transgenen Riesling. Ob diese Reben tatsächlich alle gewünschten Merkmale tragen, wird sich allerdings erst nach mehrjährigen Freilandversuchen erweisen. In diesem Jahr sollen in Deutschland die ersten transgenen Riesling-Reben freigesetzt werden: im Fränkischen zwischen Veitshöchheim und Würzburg und in der Pfalz bei Siebeldingen.

Einige Experten kritisieren, daß in Deutschland die private Förderung von Forschungsvorhaben beim Weinbau völlig fehle. In den USA gibt es dagegen zahlreiche größere Firmen, die in der Biotechnologie eine Kapitalvermehrungsmaschine sehen und sich neuerdings auch im Weinbau engagieren. Auch in Australien beschäftigen sich die Winzer schon länger mit Genwein. Im internationalen Wettbewerb, so fürchtet Töpfer, laufe der weitgehend klein- und mittelständisch geprägte deutsche Weinbau daher Gefahr, den Anschluß zu verlieren.

Eine ähnliche Beobachtung machte Dr. Bernd Hill von der Staatlichen Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg auf dem jüngsten Weltsymposium über Rebengenetik und Rebenzüchtung in Montpellier. Frankreich, die USA, Kanada und Australien stellten dort eine Reihe von Projekten vor, während sich die Winzer aus Deutschland, Italien oder Spanien noch wenig entschlossen zeigten. Hauptziel der Franzosen sei die Bekämpfung der „Reisigkrankheit“ – eine der bedeutendsten Viruserkrankungen der Rebe.

Im Gegensatz zu Frankreich oder den USA, wo man sich mit Züchtung von Virusresistenzen befaßt, wollen kanadische Winzer ertragreiche Reben züchten, die langen und harten Wintern trotzen. „Unser größtes Problem ist die winterliche Kälte“, erklärt John M. Howard, Geschäftsführer der Vineland Estates Winery in Vineland, Ontario. Howards Laufbahn ist geradezu typisch für Nordamerika. Zunächst machte er als Informatiker in den USA Karriere und erwarb dann – nur wenige Kilometer von den Niagarafällen entfernt – 140 Hektar Land, um mit Hilfe eines deutschstämmigen Winzers Weinreben anzubauen. Heute verfügt „der Bill Gates des kanadischen Weinbaus“ – so sein Spitzname – über weltweite Kontakte, ist Partner der größten Hotels und gibt zahlungskräftigen Amerikanern teure Einführungskurse in die Tischkultur.

Ähnlich wie Howard stehen auch andere kanadische Winzer in Kontakt mit universitären Forschungsein-richtungen. Besonders angetan hat es ihnen Bryan McKersie, Genforscher an der Universität Guelph. Nach drei Jahren intensiver Suche ist es seinem Team gelungen, transgene Weinreben zu schaffen, die einem so herben Klima standhalten, wie es in der kanadischen Weinregion im Süden Ontarios herrscht. Bis zu minus 25 Grad Celsius halten es die neuen Rebsorten aus. „Erst ab diesem Limit gibt es irreversible Frostschäden an den Knospen, und der Ertrag geht drastisch in den Keller“, sagt McKersie. Die größte Herausforderung habe darin bestanden, Gene zu identifizieren, die Pflanzen vor extremer Kälte schützen. Bei einer mit Brokkoli verwandten Pflanze wurde man schließlich fündig. In Zusammenarbeit mit dem erst 1996 gegründeten Weinbauforschungsinstitut für Kaltklimaweinbau an der Brock Universität in St. Catharines, Ontario, wurden im Herbst 1997 in der Niagara-Region 75 genetisch veränderte Reben gepflanzt. Experten vermuten, daß eine winterfeste Weinrebe die Produktionskosten um 40 Prozent senken könnte. Ursache der möglichen Kosteneinsparung ist, daß es bei den bisher in Kanada angepflanzten europäischen Kultursorten in strengen Wintern immer wieder jahrgangsweise zu Totalausfällen kommt.

Gegründet wurde das Institut auf Initiative des Ontario Grape Growers Marketing Board und des Wine Council of Ontario. Geleitet wird es von einem Beratergremium, bestehend aus Vertretern der Industrie, der Brock Universität und anderen akademischen Einrichtungen sowie der Provinzregierung. Der führende Weinproduzent in Ontario, Vincor Incorporated leistete eine Anschubfinanzierung von umgerechnet 390000 Euro. Und das Natural Sciences Engineering Research Council of Canada holte die besten Fachwissenschaftler als Referenten, um Kanadas Weinbau auf die Sprünge zu helfen.

Zudem möchte man das Frostschutz-gen auch international vermarkten. Deshalb beschäftigt sich das Institut seit kurzem mit sämtlichen Kaltklima-Weinregionen der Welt. Denkbar ist, mittels kälteresistenter Reben völlig neue Weinbaugebiete zu erschließen. In Frage kommen sämtliche Regionen, in denen ein sommerwarmes Klima herrscht. Vorläufig dürfte ein guter Tropfen etwa aus Kasachstan dennoch Utopie bleiben. „Denn dazu müßte man nicht nur die Reben, sondern auch die Trinkgewohnheiten der dortigen Bevölkerung ändern“, schmunzelt der deutsche Professor Reinhard Töpfer.

Anderswo haben gentechnische Veränderungen der Reben noch tiefgreifendere Ziele: In Australien soll die Spätburgunder-Traube ein gehaltvolleres Aroma und eine kräftigere Farbe erhalten. In Spanien und Südafrika rücken Winzer dem Gärungsprozeß mit genetisch veränderten Hefen zu Leibe. So ist es in Spanien gelungen, in eine Hefe ein Schlauchpilzgen zu übertragen, das dem Wein eine fruchtigere Note verleiht. In einem weiteren Fall konnte durch Gen-übertragung die Gärungsfähigkeit der Hefe soweit gesteigert werden, daß keine Restsüße mehr im Wein bleibt.

Reinhard Töpfer distanziert sich von derartigen Versuchen. Wenn man die Resistenz einer Pflanze erhöht, so argumentiert er, verändert man die Inhaltsstoffe nicht. Mit tiefergehenden Eingriffen manipuliere man die Pflanze jedoch. „Beim Bier“, so Töpfer lapidar, „wäre das ein eindeutiger Verstoß gegen das Reinheitsgebot.“

Die zwei Pfade des gentechnischen Weinbaus Gentechnologische Verfahren im Weinbau sind erst seit wenigen Jahren im Einsatz, aber sie werden immer bedeutender. Das gilt sowohl für die reine Methodik im Rahmen der Genanalyse als auch für die Züchtung transgener Sorten. Bei der sogenannten Markeranalytik – die man beim Menschen zum Vaterschafts-nachweis nutzt – werden Teile des Genoms in Banden zerlegt und die Beziehung dieser Banden zu bestimmten Eigenschaften gesucht. Das Vorkommen einer speziellen Bande kann auf eine Mehltauresistenz hinweisen. Während die Markeranalytik eine neue Methode zur Unterstützung der bisherigen Züchtungsverfahren ist, versucht man beim Gentransfer Resistenzen in klassische Sorten hineinzuzüchten. Experten schätzen, daß es noch 20 Jahre dauern wird, bis die ersten Flaschen mit Wein transgener Rebsorten die Regale der Supermärkte füllen werden. Genübertragung: Die Natur macht es vor Die Rebe ist eine natürliche Wirtspflanze für das im Boden lebende Bakterium Agrobacterium tumefaciens. Wird eine Pflanze beispielsweise durch winterliche Frostschäden verwundet, können die Bakterien ihre Erbinformation in die Rebe einschleusen. Das führt zu einer Tumorbildung, der Maukekrankheit. Dieses Einschleusen von fremder Erbinformation ist die Grundlage der künstlichen Genübertragung bei Pflanzen. Aufgrund seiner Eigenschaften läßt sich Agrobacterium tumefaciens auch gezielt als Fähre (Fachjargon: „Vektor“) verwenden, um fremde Gene in eine Wirtszelle zu bringen. Dabei enthalten die Bakterien anstelle der normalerweise übertragenden Tumorgene solche Gene, die zu einer gewünschten Veränderung der Pflanzenzelle führen. Mit Hilfe molekularbiologischer Methoden läßt sich der erfolgreiche Einbau der Fremdgene in die gentechnisch veränderte (transgene) Pflanze nachweisen und verfolgen.

Rolf Froböse

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