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Wende am Viktoriasee

Allgemein

Wende am Viktoriasee
Hoffnung für den zweitgrößten Süßwassersee der Welt. Eingriffe der Umweltschützer, glückliche Umstände und die Selbstregulation des Ökosystems haben dazu geführt, daß die Fischarten wieder zahlreicher werden und die Wasserhyazinthen auf dem Rückzug sind.

Halbblind, heißt es, sei der britische Soldat John Speke 1858 als erster Europäer am Ufer des 68800 Quadratkilometer großen Viktoriasees angekommen. In dieser Verfassung würde er ihn heute womöglich gar nicht bemerken. Denn Wasserhyazinthen haben Teile der Seeoberfläche in eine grüne Savanne verwandelt. Die Schwimmpflanzen behindern Transport und Tourismus. Ihre Triebe behindern die Wasserzirkulation und machen den See zur idealen Kinderstube für Malariamücken. Vor allem aber legen sie die Kleinfischerei lahm, da keine Netze mehr ausgeworfen werden können. Vor drei Jahren bedeckten die Wasserhyazinthen, die 1990 über den Kagera-Fluß in Ruanda den Viktoriasee erreichten, eine Fläche von 700 Quadratkilometern. Gleichzeitig machte den Fischern noch etwas anderes zu schaffen: Der räuberische Nilbarsch – von den Engländern 1954 ausgesetzt – hatte die einheimischen Fische als Futterquelle so gründlich ausgebeutet, daß schätzungsweise 200 der 300 Arten am Aussterben waren. Er selber hungerte und jagte seine eigenen Jungen: Damit gingen auch seine Bestände zurück. Weil die Lebensgrundlage von 25 Millionen Menschen gefährdet war, gründete die Weltbank 1997 das Lake Viktoria Environmental Management Program (LVEMP) und stattete es mit einem Budget von rund 80 Millionen US-Dollar bis zum Jahr 2002 aus. Es koordiniert und unterstützt die Arbeit der staatlichen und universitären Institute von Tansania, Kenia und Uganda. „Seitdem hat sich im See einiges geändert“, sagt Reuben Chirchir vom LVEMP. Tatsächlich sind die Wasserhyazinthen auf dem Rückzug, in manchen Gebieten bedecken sie nur noch ein Zehntel der bisherigen Fläche. Auch Fischarten, die als stark dezimiert oder als ausgestorben galten, sind wieder in größerer Anzahl im See zu finden. Allerdings scheint das Weltbankprojekt an diesen Entwicklungen kaum Anteil zu haben. „Die Bürokratie frißt das Geld, das eigentlich für die Forschung gedacht war“, sagt John Gichuki vom Kenya Marine and Fisheries Research Institute, einem an LVEMP beteiligten Labor. Nur eine Notmaßnahme geht auf das Konto des Weltbankprojekts: Die amerikanische Firma Aquarius Systems begann 1999 damit, Wasserhyazinthen gezielt zu zerkleinern und abzufischen. Ansonsten ist die Wende zum Besseren unter anderem auf einen Eingriff zurückzuführen, der schon vor der Gründung des LVEMP erfolgte. 1996 wurden in Uganda und später entlang der gesamten Uferlinie Käfer der Gattung Neochetina zur biologischen Bekämpfung der Wasserhyazinthen ausgesetzt. Mit Erfolg: Allein in Uganda haben sie inzwischen 40 Prozent der Hyazinthenfläche abgefressen. Auch natürliche Einflüsse drängen die Schwimmpflanzen zurück: Seit dem El-Niño-Jahr 1998 mit seinen Klimakapriolen wird im See ein niedrigerer Nährstoffspiegel als die Jahre davor gemessen. Da „nichts passiert ist, was den Eintrag so plötzlich reduziert hätte“, so Gichuki, könnten die Regenfälle des El Niño die Nährstoffe im See verdünnt haben, so daß Wasserhyazinthen nur noch schlecht wachsen. So hat El Niño, „ das Christkind“, 1998 zwar Brücken und Straßen mitgenommen, vielleicht aber am Viktoriasee ein Weihnachtsgeschenk zurückgelassen. Doch immer noch gelangen zu viele Nährstoffe in den See und lassen die Wasserhyazinthen möglicherweise künftig wieder wachsen. Woher die Nährstoffe kommen, wußte in der Vergangenheit niemand. Die Wissenschaftler diskutierten über Industrie- und Haushaltsabwässer und über Einträge durch die umliegenden Zukker- und Teeplantagen. Jetzt hat das International Centre for Research in Agroforestry (ICRAF) mit Satellitenbildern und Messungen bestätigt, daß es noch eine andere Quelle gibt: In entwaldeten Gebieten schwemmt der Regen fruchtbare Erde in die Flüsse, die in den Viktoriasee münden. Für Brent Swallow vom ICRAF steht fest: „Bewaldet man einige der abgeholzten Flächen wieder, kann man mit wenig Geld viel erreichen.“ Der Nährstoffeintrag durch Industrie- und Haushaltsabwässer könnte mit Hilfe von Kläranlagen reduziert werden – doch die sind teuer. Als natürliche Alternative können die Feuchtgebiete im Einzugsbereich des Sees dienen: Sie filtern neben den Nährstoffen auch die Krankheitserreger aus den Abwässern. Viele der Feuchtgebiete wurden jedoch in der Vergangenheit in Ackerland verwandelt – sie sollen nun reaktiviert werden. „Die Stadt Kampala reinigt bereits in einem Feuchtgebiet einen Teil ihrer Abwässer“, sagt Gichuki. Es gibt also Ideen für eine langfristige Lösung der Umweltprobleme am Viktoriasee. Aber ihre Umsetzung wird aufgehalten durch finanzielle Schwierigkeiten, die Größe des Sees und seine geographische Lage: Drei Staaten grenzen an sein Ufer und in seinem Einzugsgebiet liegen noch Ruanda und Burundi. Trotzdem ist ICRAF-Experte Swallow optimistisch. Er verweist auf die gelungene Wiederbelebung der Ostsee mit ihren zehn Anrainerstaaten: „Es hat 20 Jahre gedauert, um das riesige Schiff Ostsee zu wenden. Beim Viktoriasee fangen wir dagegen gerade erst an, am Steuer zu drehen.“ Völlig loswerden wollen Swallow und andere Umweltschützer die Wasserhyazinthen allerdings nicht. Denn viele der einheimischen Fischarten, die als verschwunden galten, scheinen zwischen den Trieben der Schwimmpflanzen Zuflucht vor den Nilbarschen zu finden, denn sie tauchen in den Fängen plötzlich wieder auf. Die Fischer selbst haben von dieser Entwicklung noch nichts. Zwar fischen sie nun verschiedene Arten, aber ihre Fangmenge sinkt weiter. Vielleicht müssen sie jene 20 Jahre auf Besserung warten, die Brent Swallow voraussagt. Einige Anwohner holen inzwischen statt Fisch Wasserhyazinthen aus dem See, kochen sie, trocknen sie und flechten aus dem bißchen, was danach übrigbleibt, rattanähnliche Möbel.

Robert Thielicke

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