Schleiereulenkinder haben gute Manieren. Statt sich ums Essen zu balgen, bekommen die hungrigsten Geschwister den Vortritt – die anderen warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Der Zoologe Alexandre Roulin von der Universität Bern und seine Kollegen beobachteten zufällig ausgewählte Geschwisterpaare und stellten fest: Ungefütterte Küken rufen in der Nacht lauter und häufiger nach den Eltern als solche, die tagsüber gefüttert wurden. Je mehr Küken in einem Nest sitzen, desto seltener rufen sie. Roulin und seine Kollegen interpretieren das so: Für einen hungrigen Nestling hat das Futter einen höheren Wert – er wird darum kämpfen. Deshalb schätzen die Eulenküken anhand der Intensität des Geschreis ihrer Geschwister deren Hunger ab und treten zurück, wenn sie selbst weniger hungrig sind. Sie verschwenden also nicht unnötig Energie, solange sie ohnehin weniger Chancen haben, von den Eltern gefüttert zu werden.
Rüdiger Vaas