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„Wir wollen in die Spitzengruppe“

Allgemein

„Wir wollen in die Spitzengruppe“
Heilbronn will deutschlandweit mit einem neuartigen Science Center punkten. experimenta-Chef Wolfgang Hansch und Klaus Czernuska, Geschäftsführer der dabei stark engagierten Dieter-Schwarz-Stiftung, erläutern das Konzept. Wolfgang Hansch und Klaus Czernuska Dr. Wolfgang Hansch (Jahrgang 1954, links) ist habilitierter Geologe. Er leitete von 1994 bis 2008 das Naturhistorische Museum der Stadt Heilbronn. Die von Hansch maßgeblich vorangetriebenen Entwürfe eines neuartigen Science Centers in Heilbronn überzeugten Stadt und Sponsoren im Jahr 2006 zu einer 30-Millionen-Euro-Investition. Knapp die Hälfte davon kommt von der Dieter-Schwarz-Stiftung. Klaus Czernuska (Jahrgang 1943, rechts) wurde von Dieter Schwarz, dem Inhaber von „Lidl“ und „ Kaufland“, vor zwei Jahren dafür gewonnen, in die Geschäftsführung der Stiftung einzusteigen, die sich vor allem Bildungsprojekten verschrieben hat. Von 1976 bis 1989 war Czernuska Bürgermeister in Bad Wimpfen, danach bis 2005 Landrat des Kreises Heilbronn.

bild der wissenschaft: Was unterscheidet die experimenta von Museen und anderen Science Centern?

Hansch: In der experimenta wird Lernen mit Spaß verbunden. Dadurch werden wir es schaffen, dass sich unsere Hauptzielgruppe, Kinder und Jugendliche, mehr als anderswo für naturwissenschaftliche und technische Zusammenhänge interessieren.

Czernuska: Das alles überragende Ziel der Dieter-Schwarz-Stiftung ist, Bildung zu stärken und zu fördern. Das experimenta-Konzept bietet eine große Chance, hier etwas zu bewirken. Wir erhoffen uns eine positive Ausstrahlung auf die Schulen in unserer Region, was uns in Sachen Bildung insgesamt voranbringen wird.

Science Center schießen gerade aus dem Boden. Jeder neue Standort nimmt bestehenden Einrichtungen Besucher weg. Haben Sie keine Zweifel, dass das ehrenwerte Ziel, Bildung zu fördern, im Spaßbad anderer Center untergeht?

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Hansch: Im Gegenteil. Wir werden etwa 100 000 Besucher im Jahr von unserer Qualität überzeugen. Unser Ansatz ist deshalb völlig neu, weil wir verschiedene Bausteine kombinieren, die es in vergleichbaren Einrichtungen so nicht gibt. Ausstellungen werden bei uns ergänzt durch Labore und sogenannte Talentschmieden. Das gibt es nirgendwo in Deutschland – und meines Wissens auch sonstwo in Europa nicht.

Wie entstand die Idee?

Hansch: Zusammen mit unserem Projektentwickler Petri & Tiemann GmbH in Bremen haben wir uns im Vorfeld eine Reihe von europäischen Science Centern angeschaut. Dabei ist uns aufgefallen, dass die meisten Ausstellungen überwiegend nur interaktive Exponate zeigen. Um uns von diesen Einrichtungen abzusetzen, haben wir dem Experimentieren neuen Raum verschafft. Unsere Besucher können in zwei Ateliers und drei Laboren selbst Versuche machen. Darüber hinaus wollten wir unseren Besuchern die Chance geben, ihre Talente zu entdecken. Hieraus entstand die Idee, Talent-Exponate zu kreieren. Wer dort mitmacht, bekommt ein elektronisch erzeugtes Testat, das hilft, die eigenen Stärken besser einzuschätzen. Hinzu kamen Erfahrungen von Ideengebern aus der Region, etwa von IHK-Geschäftsführer Peter Schweiker.

Wie viel Zeit muss man für einen Besuch einplanen?

Hansch: Der primäre Anziehungspunkt sind unsere 150 Exponate, darunter zwei Dutzend, die für eigene Tests zur Verfügung stehen. Wer diese Exponate einigermaßen kennenlernen will, wird sich erst einmal zwei bis drei Stunden frei bewegen. Eine weitere Stunde kann man locker in unseren Talentschmieden verbringen. Darüber hinaus bieten wir – vor allem an Wochenenden – Workshops an. Insgesamt sollten sich unsere Besucher schon einen halben Tag reservieren, wenn sie die experimenta wirklich erleben wollen.

Was soll nach dem Besuch hängen bleiben?

Czernuska: Wer etwas erlebt, speichert das tiefer ab, als wenn er es nur gelesen hat. Kinder und Jugendliche sollen naturwissenschaftliche Bereiche spielerisch erleben und dabei etwas wirklich „begreifen“. Unsere Hoffnung ist, dass sie anschließend zu naturwissenschaftlichen und technischen Sachverhalten einen leichteren Zugang haben. Wenn wir darüber hinaus Erwachsenen das Gefühl vermitteln, bestimmte Zusammenhänge so begriffen zu haben, dass sie den Gehalt auch anderen vermitteln können, haben wir das Ziel der Stiftung und des Stifters Dieter Schwarz erreicht.

Wollen Sie also Naturwissenschaftler und Ingenieure ausbrüten?

Hansch: Wir können einen Beitrag liefern, dass sich mehr Kinder und Jugendliche als bisher für diese Fächer interessieren. Wer bei uns feststellt, dass Naturwissenschaften und Technik spannend sind und dass das Erlernen solcher Zusammenhänge Spaß machen kann, wird sich zu Hause eher damit weiter auseinandersetzen als ohne diese Anregung. Ob das zur Ingenieurin oder zum Naturwissenschaftler führt, hängt auch von vielen anderen Aspekten ab.

Ein Ziel der Dieter-Schwarz-Stiftung ist, Menschen mit Migrationshintergrund besser in unsere Gesellschaft integrieren. Gibt es bei der experimenta spezielle Ansätze dazu?

Czernuska: Der von der Stiftung geschaffenen Akademie für Information und Management AIM ist es in der Tat wichtig, dass diese Bürgergruppe uns versteht. Deshalb bietet sie Module zur Sprachförderung an. Die experimenta selbst enthält keine Elemente, die speziell für Menschen mit unzureichenden Deutschkenntnissen geschaffen worden sind. Dennoch regt die experimenta Jugendliche mit Kommunikationsdefiziten direkt an. Wenn ich Team-Exponate ausprobiere, muss ich mich mit anderen unterhalten. Dadurch setzt man sich mit Themen anders auseinander als beim bloßen Selbststudium.

Ohne die Dieter-Schwarz-Stiftung wäre die neue Einrichtung nicht das, was sie jetzt ist – vielleicht wäre sie gar nicht entstanden. Geht bei innovativen Bildungskonzepten ohne Mäzenatentum gar nichts mehr?

Czernuska: Wenn ich das betrachte, was der Staat wirklich noch umsetzt, bin ich so weit zu sagen: Ohne privates Engagement geht heute nichts mehr.

In den USA ist es längst so, dass bedeutende Bildungseinrichtungen auf Privatinitiative zurückgehen.

Czernuska: Auch bei uns wird die Entwicklung in diese Richtung gehen. Um allerdings an die USA heranzukommen, muss bei uns noch viel passieren. Deshalb kann ich nur jeden, der durch sein wirtschaftliches Tun wohlhabend wurde, ermutigen, in das Stifterfeld einzutreten.

Welche Rolle spielen die Einnahmen durch Eintrittsgelder?

Czernuska: Das Hauptziel der Dieter-Schwarz-Stiftung ist Bildungsförderung. Wir engagieren uns bei der experimenta nicht, um möglichst rasch einen kostendeckenden Betrieb zu erreichen. Wir wollen diese Einrichtung für jede Altersklasse und jeden Geldbeutel erschwinglich machen. Deshalb haben wir sehr günstige Eintrittspreise. Die Einnahmen durch die Besucher spielen für uns also nicht die primäre Rolle.

Hansch: Wir haben uns von Anfang an als Bildungseinrichtung definiert. Bildung hat etwas mit Qualität zu tun und nicht nur mit Quantität, also zahlenden Interessenten.

Wie kamen Sie beide zusammen? Hat Wolfgang Hansch die Dieter-Schwarz-Stiftung als großzügigen Spender ausgemacht und ist er dann als Bittsteller auf Klaus Czernuska losmarschiert?

Hansch: Es war eher umgekehrt. Vor drei Jahren haben Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach, Kulturbürgermeister Harry Mergel, die damalige Finanzbürgermeisterin Margret Mergen und ich unsere Gedanken zum Science Center öffentlich vorgestellt und um eine breite Unterstützung durch die Wirtschaft geworben. Der Schwarz-Stiftung mit dem damals für solche Projekte zuständigen Geschäftsführer Erhard Klotz und dem Stifter Dieter Schwarz, der Heilbronner Bürger ist, gefiel das Konzept sofort. Alle sahen, dass dies etwas Neues ist, das der ganzen Stadt Heilbronn zugute kommen kann.

Dieter Schwarz meidet öffentliche Auftritte, engagiert sich gleichwohl wie kein zweiter in der Region für öffentliche Einrichtungen. Wieso?

Czernuska: Er will mit seinem Engagement zusätzliche Bildungsmöglichkeiten in der Gesellschaft und für die Region schaffen. Und zwar nach der Devise: Wir investieren in Köpfe und nicht in Beton.

Überprüfen Sie nach einem gewissen Zeitraum, ob das Geld der Stiftung gut angelegt ist? Ab wann muss Herr Hansch um seinen Posten fürchten?

Czernuska: Der Kopf von Herrn Hansch ist uns so wertvoll, dass er nicht rollt. Natürlich werden wir zu gegebener Zeit fragen, was das Engagement der Stiftung gebracht hat. Eine Messlatte ist ein bleibendes starkes Interesse. Das können wir an der Besucherzahl messen, aber auch am Interesse der Schulen, die in unseren Laborbereichen Angebote haben, die sie in dieser umfassenden Art anderswo nicht finden. Wenn der Zuspruch der Schulen stimmt, wäre uns von der Stiftung sehr gedient. Das ist uns wichtiger, als möglichst rasch unseren Zuschuss für den laufenden Betrieb herunterzufahren.

Hansch: Wichtig ist, dass wir selbst Qualitätsstandards verlangen. Beispielsweise sollen mindestens 95 Prozent der Exponate immer funktionieren – egal, wie hoch der Besucheransturm ist. Weiterhin bemühen wir uns um eine wissenschaftliche Begleitung. Bereits seit der Umsetzung der Talent-Idee arbeiten wir mit dem Zentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm zusammen, dem Institut von Professor Manfred Spitzer. Vielleicht können wir künftig zusammen mit dem Zentrum feststellen, was wir über die Jahre wirklich bei Kindern und Jugendlichen erreichen. Beispielsweise wollen wir wissen, ob sich künftig mehr Jugendliche um technisch ausgerichtete Lehrstellen bewerben und sich für naturwissenschaftlich-technische Studiengänge in der Region entscheiden.

Was hat sich für Sie durch den Wechsel vom Leiter des Naturhistorischen Museums in die experimenta-Geschäftsführung außer dem Gehalt geändert, Herr Hansch?

Hansch: Als Geschäftsführer bin ich sowohl für den betriebswirtschaftlichen als auch für den inhaltlichen Bereich zuständig: Die Bandbreite ist größer geworden. Entscheidend aber ist: Die jetzige Aufgabe ist wesentlich spannender als das, was ich früher gemacht habe. Das Projekt experimenta von Beginn an zu begleiten, zu entwickeln und – wie wir alle glauben – damit Erfolg zu haben, ist eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt.

Czernuska: Noch einen Unterschied möchte ich herausstreichen: Herr Dr. Hansch arbeitet noch mehr als früher.

Konnten Sie während der heißen Phase des experimenta-Aufbaus noch gut schlafen?

Hansch: Es wäre vermessen zu sagen, dass mich der Aufbaustress kalt gelassen hat. Ich habe gut geschlafen, aber wesentlich kürzer.

Wie haben Sie Ihr Team zusammengestellt? Gab es genügend passende Bewerber?

Hansch: Durch die industrielle Ausrichtung der Region – Audi ist unser größter Arbeitgeber – interessieren sich viele für Naturwissenschaften und Technik – und deshalb auch für unsere Jobs. Neben den rund 25 fest angestellten Mitarbeitern haben wir über 80 Besucherbetreuer. Bei den fest Angestellten haben wir einen guten Mix von jüngeren und älteren sowie von einheimischen und auswärtigen Kolleginnen und Kollegen hinbekommen.

Wie organisieren Sie es, dass bei Kindern und Jugendlichen kein Frust entsteht, wenn sie vor den Attraktionen warten müssen?

Hansch: Das schaffen wir durch eine intensive Besucherbetreuung mit unseren Scouts. Das heißt: Die Besuchergruppen werden geleitet. Wir planen so, dass maximal 600 Besucher gleichzeitig in der experimenta sein können. Auch hier geht Qualität vor Quantität.

Was will die experimenta bis 2015 erreichen?

Hansch: Erstes Ziel ist, dass sich die experimenta Heilbronn in der deutschen Spitzengruppe der Science Center behauptet. Wenn es um Qualität und Bildungsangebote geht, wollen wir immer als einer der ersten genannt werden. Weiterhin wollen wir uns in der europäischen Science-Center-Community, der Ecsite, dauerhaft bemerkbar machen und uns auch dort vorn etablieren.

Czernuska: Ich kann das Ziel ganz einfach formulieren: Die experimenta soll deutschlandweit zu einem positiv besetzten Begriff werden. ■

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