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Zigarren für die Forschung

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Zigarren für die Forschung
Die Wiedergeburt des Zeppelins: Der einzigartig ruhige Flug des Zeppelins macht ihn zu einer idealen Meßstation für Klimaforscher. Auch andere Wissenschaftler haben große Pläne mit dem traditionsreichen Luftschiff.

Die fliegende Zigarre, der Zeppelin, war jahrzehntelang nur scheintot. Jetzt wollen Wissenschaftler das legendäre Luftschiff, das zur Jahrhundertwende jung und alt begeisterte, zu neuem Leben erwecken – ganz im Zuge der Zeit: Der Wiederbelebte ist ein High-Tech-Produkt und heißt entsprechend ZNT, „Zeppelin neuer Technologie“.

Wie populär der Zeppelin bis heute ist, erlebt Hartwig Ochel von der Zeppelin Luftschifftechnik GmbH (ZLT) in Friedrichshafen täglich. Seit die ZLT Anfang der neunziger Jahre verkündete, daß ein neuer Zeppelin gebaut werde, stehen die Telefone nicht mehr still. „Eine wahre Zeppelin-Euphorie“, begeistert sich Ochel. „Die Nachfrage ist groß, einige wollen beim Jungfernflug unbedingt dabei sein – koste es, was es wolle.“ Ochel sieht der Zukunft des neuen Zeppelins gelassen entgegen.

Weniger gelassen ist Prof. Jost Heintzenberg, Leiter des Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig: Es gibt noch keine Erfahrungen mit dem neuen Luftschiff, dem er seine kostbaren Apparate anvertrauen will. Er plant, die Atmosphäre bis in etwa 3000 Meter Höhe zu untersuchen, denn für die untere Troposphäre wäre der neue Zeppelin ein einzigartiges Meßlabor: „Er ist für uns vor allem wegen seiner Langsamkeit interessant. Mit ihm können wir in Wolken und anderen Luftmassen schweben und vor Ort die chemischen und physikalischen Prozesse verfolgen.“

Bisher haben die Forscher die Luftschicht zwischen 300 und 3000 Metern mit Flugzeugen oder Ballonen untersucht. Was auch Heintzenbergs eher skeptischen Kollegen, Dr. Wolfgang von Hoyingen-Huene von der Universität Leipzig, überzeugt, sind die optimalen Flugeigenschaften des Luftschiffs. Er sucht schon seit langem nach einem Weg, Abschattungseffekte innerhalb einer Wolke genau zu bestimmen: Wie wird das Sonnenlicht auf seinem Weg durch die einzelnen Wolkenschichten geschwächt? Der Zeppelin ist für solche Untersuchungen bestens geeignet, denn mit ihm können die Forscher nicht nur in jeder Wolke mitdriften, sondern auch über einem beliebigen Ort stehen bleiben. Hoyingen-Huene: „In aller Ruhe und Sorgfalt kann so in jeder Wolkenschicht der Abschattungseffekt gemessen werden.“

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Der amerikanische Troposphärenforscher Dr. Barry Huebert von der University of Hawaii verfolgt ein anderes Interesse: „Mir geht es besonders um die Aerosole, die in Luftmassen über den riesigen unbewohnten, von Zivilisation und Industrie unbeeinflußten Gebieten entstehen. Ich will die Aerosolbildung als solche besser verstehen – und dafür ist eben der Zeppelin das ideale Meßlabor. Weil er aber vorerst nur über dem dichtbesiedelten Europa fliegen wird, müssen meine eigenen Forschungsziele noch eine Weile warten.“ Aerosole sind mikroskopisch kleine Schwebeteilchen in der Luft, zwischen einem Milliardstel und zehn Mikrometern groß. Ab etwa 0,05 Mikrometern können sie als sogenannte Kondensationskeime wirken: Um sie bilden sich in der Wolke Tröpfchen, die später als Regen auf die Erde niedergehen.

Auch Rußteilchen und andere Verbrennungsrückstände und Abgase aus Industrieanlagen sind Aerosole, die einen Großteil des eingestrahlten Sonnenlichts schlucken. Die Meteorologen vermuten, daß diese aerosolbelasteten Luftmassen langfristig unser Klima verändern. Doch wie groß ihr Einfluß ist, konnte mit bisherigen Messungen durch die schnellen, vibrierenden Flugzeuge und Hubschrauber nur unzureichend geklärt werden. Mit dem Zeppelin will Barry Huebert die Aerosol-Bildung über viele Stunden hinweg in ein und derselben Wolke verfolgen, um so dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Hueberts Forschungsgruppe ist nur eines von vielen wissenschaftlichen Teams, die große Pläne mit dem Zeppelin haben. Jost Heintzenberg versucht zu koordinieren: „Hier in Deutschland haben gut zwanzig Institute Projekte vorgelegt. Aber auch Kollegen aus Schweden, Portugal, Frankreich und Italien sind stark engagiert.“

Neben den Troposphärenforschern sind auch Umweltverbände, Wetterdienste und geologische Institute am Zeppelin interessiert. Prof. Hans Peter Röser von der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin hat eine digitale Kamera entwickelt, die dreidimensionale Landkarten erstellen kann, doch „Flugzeug oder Hubschrauber wackeln so stark, daß wir eine Bildauflösung von nur einem Meter erreichen. Zudem sind Flugzeuge oder auch Satelliten viel zu schnell: Bei 300 Kilometern pro Stunde und mehr kann man die Fotos nicht lange genug belichten.“

Durch das langsame und ruhige Gleiten des Zeppelins wird die Bildauflösung rund fünfmal besser – und zehn Zentimeter mehr oder weniger in der Schärfe können oft ausschlaggebend sein. Zum Beispiel bei Aufnahmen von Flüssen, an denen Hochwassergefahr droht: Minimale Differenzen bei der Messung des Wasserspiegels können über Alarm oder Fehlalarm entscheiden. Die verbesserten dreidimensionalen Karten helfen auch beim Aufspüren von Altlasten sowie bei der Planung von Autobahntrassen und Städten. Die aufbereiteten Daten aus den Aufnahmen werden dazu auf CD-ROM gespeichert. Röser ist begeistert: „Sie können am Computer-Bildschirm beim virtuellen Spaziergang durch die City Pfosten und Bordsteinkanten erkennen, im Prinzip sogar eine verlorene Geldbörse aufstöbern.“

Und der Zeppelin kann noch weit mehr: Er läßt sich als Polizei-Luftschiff einsetzen, um Schadstoffe in Luftmassen aufzuspüren, die über Ländergrenzen hinwegtreiben. Solche Messungen sind nötig, um nach dem Verursacher-Prinzip die Staaten zur Verantwortung ziehen zu können, aus denen die Emissionen stammen. Bisher fehlen geeignete Überwachungskonzepte, um die Schuldigen zu identifizieren.

Die ausgefallendste Idee in der Zeppelin-Gemeinde hat Prof. Edward H. Geyer von der Universität Bonn: Er will an einem etwa 50 Meter langen Seil ein Teleskop anhängen, um möglichst weit von dem blickversperrenden Luftschiff wegzukommen. Hoch über der atmosphärischen Dunstschicht, ab etwa 2000 Metern, kann er so fast ungestört den Sternenhimmel beobachten.

Der Zeppelin wird damit zu einer flexiblen Sternwarte, die auch über dem Meer arbeiten kann: „Über dem Atlantik herrschen gleichmäßige Luftströmungen, so daß es keine atmosphärischen Störungen gibt – hier sind die Verhältnisse für astronomische Beobachtungen optimal“, betont Geyer. Der Zeppelin könnte Bilder machen, deren Qualität nur von den optischen Eigenschaften des Teleskop-Spiegels begrenzt ist – ähnlich wie beim Hubble-Weltraumteleskop.

Der große Traum von Geyer ist es, den Zeppelin bei der Sonnenfinsternis am 11. August 1999 in Süddeutschland einzusetzen: „Da bietet sich die einzigartige Chance, nach kleinen Planetoiden zwischen Merkur und Sonne zu suchen. Mit dem Zeppelin-Teleskop könnten wir noch Gesteinsbrocken von etwa einem Kilometer Durchmesser erkennen.“

Doch das Problem aller Wissenschaftler ist der Preis: Ein Exemplar des Luftschiffs kostet rund 12 Millionen Mark. Hilfestellung bietet das Steinbeis-Transferzentrum – eine Stiftung, die sich für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie einsetzt. Institutsleiter Dr. Wilfried Hans: „Wir rüsten gemeinsam mit der ZLT und den Wissenschaftlern den Zeppelin so aus, daß er zu einem optimalen Meßlabor für viele Einsatzgebiete wird. Wir vermitteln zwischen den Wünschen der Forscher und den technischen Konzepten der Ingenieure.“ Der klangvolle Name des wissenschaftlichen Gesamtpakets: ZENIT (Zeppeline Neuer Technologie zum Einsatz in der Troposphäre).

Der Zeppelin, der frühestens in diesem Sommer in Friedrichshafen zum ersten Mal den Mast verläßt, ist allerdings erst ein Prototyp. Bis zur endgültigen Fluggenehmigung wird es wohl noch ein gutes halbes Jahr dauern.

Doch schon bei den Testflügen haben die Wissenschaftler Gelegenheit, ihre Meßinstrumente einzusetzen, „bis zur endgültigen Genehmigung natürlich umsonst“, wie Hans betont. Danach jedoch gibt es keine Gratisflüge mehr. Das erste „offizielle“ Forschungsluftschiff, das voraussichtlich Ende 1998 fertig ist, kann bei der eigens dafür gegründeten „Rheinischen Luftschiffahrtsbetriebsgesellschaft m.b.H.“ (LBG) in Bonn gemietet werden. Hans rechnet mit einem Stunden-Mietpreis von rund 5000 Mark. Der Zeppelin kann auch als Verkehrsmittel dienen – in der Gondel haben dann zwölf Passagiere Platz. Wenn er als Wissenschaftsschiff arbeitet, ist die Gondel das Forschungslabor. Neben Meßinstrumenten, Computern und was sonst zu einem modernen Forschungslabor gehört, haben die beiden Piloten und zwei Wissenschaftler Platz.

Die Starrbauweise des Zeppelins macht es möglich, drei zusätzliche Meßplattformen außen zu installieren (siehe Kasten links „Zeppelin kontra Blimps“). An seiner Spitze läßt sich eine Frontbox befestigen, die etwa einen Kubikmeter groß ist . Auf dem Zeppelinrücken kann eine etwa zehn Meter lange Plattform fest mit dem Innengerüst des Zeppelins verankert werden. Eine dritte Plattform hängt an einem Seil und kann aus einer Bodenluke der Passagier-Gondel bis zu 1000 Meter weit abgesenkt werden.

Beim Zeppelin NT dient als Füllgas nicht der leicht entflammbare Wasserstoff, sondern das Edelgas Helium, das allerdings doppelt so schwer ist und die Steighöhe entsprechend vermindert.

Die Waage ist deshalb das Nadelöhr beim Einstieg in den neuen Zeppelin: Das Gewicht der Meßinstrumente und Computer, selbst die Pfunde der Forscher reduzieren die maximale Steighöhe. Das zwingt zu sorgfältiger Planung, sogar für die Jahreszeit: Bei einer typischen Mission mit rund zwei Tonnen Zuladung erreicht der Zeppelin bei heißem Sommerwetter nur etwa 500 Meter Höhe, im Winter dagegen bei frostigen null Grad über 1500 Meter. Wer noch höher hinaus will, muß abspecken.

Zeppelin kontra Blimps

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es den Deutschen verboten, weitere Zeppeline herzustellen. Was heute gelegentlich über unsere Köpfe schwebt und wie ein Zeppelin aussieht, sind sogenannte „Blimps“ – Prallluftschiffe, die keine separate Trägerstruktur besitzen. Die Zigarrenform der Hülle wird nur durch das Füllgas aufrechterhalten. „Echte“ Zeppeline hingegen, zum Beispiel die Luftschiffe LZ 1 bis LZ 4 zu Beginn unseres Jahrhunderts, besitzen im Inneren ihres Walfischbauchs ein hyperleichtes Skelett, das zusätzliche Festigkeit und Sicherheit bietet.

Der neue Zeppelin ZNT zählt zwar zu den Starrluftschiffen, doch bei ihm sind die Prinzipien der Prall- und Starrluftschiffe vereint: Die Tragestruktur sorgt für die Stabilität. Sie besteht aus gitterförmig angeordneten Stäben einer besonders leichten Aluminium-Legierung und aus hintereinander montierten gleichseitigen Dreiecken aus einem Kohlefaser-Verbundwerkstoff. Ihre Ecken sind über die ganze Länge des Luftschiffs mit Längsstäben verbunden, die an der Innenwand der Hülle – aus einem Mehrschichtenlaminat – anliegen. Im Querschnitt gesehen umschließt die Hülle die Dreiecke kreisförmig. Ihre Form behält sie aufgrund des Innendrucks. Motoren, Gondel, Ruder und Plattformen sind fest mit der Tragstruktur verankert.

Starrluftschiffe besitzen den Vorteil, nahezu bei jeder Wetterlage fliegen zu können und weitaus besser manövrierfähig zu sein als konventionelle Luftschiffe. Deshalb ist der Zeppelin NT mit einem Boden-Team aus nur drei Leuten start- und landefähig – bei den windigen Blimps dagegen sind rund 20 Start- und Landehelfer im Einsatz. Der Zeppelin wird an einem etwa zehn Meter hohen Mast angebunden, der sich auf einem Lastwagen befindet, und ist somit flexibel einsetzbar.

Dies macht ihn nicht nur für die Tourismusbranche, sondern auch für Wissenschaftler attraktiv. Zudem garantiert das Füllgas Helium, daß eine Katastrophe wie bei dem tragischen Unglück des Zeppelins „Hindenburg“ am 6. Mai 1937 in Lakehurst nicht zu befürchten ist.

Roland Brutscher

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