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Zukunfts-Bilder made by Siemens

Allgemein

Zukunfts-Bilder made by Siemens
Mit einem neuen Forschungsansatz will sich die Siemens AG für die Zukunft rüsten. Wie er funktioniert und welche Mitarbeiter dazu gebraucht werden, erläutert Prof. Claus Weyrich.

Prof. Dr. Claus Weyrich in Brünn 1944 geboren, ist in der Türkei und in Österreich aufgewachsen. Nach dem Physikstudium in Innsbruck trat er 1969 in die Forschungslaboratorien der Siemens AG ein und leitete verschiedene Fachabteilungen. Im Oktober 1987 wurde er zum Leiter Basistechnologien in der Zentralen Forschung und Entwicklung der Siemens AG berufen. Seit Oktober 1994 ist er Leiter Forschung und Entwicklung Technik, seit 1996 Chef der Zentralabteilung Corporate Technology sowie Vorstandsmitglied der Siemens AG. Der Konzern machte im Geschäftsjahr 2000/2001 einen Umsatz von 87 Milliarden Euro, erzielte einen Gewinn nach Steuern von 2,088 Milliarden Euro und beschäftigte rund 484000 Mitarbeiter.

bild der wissenschaft: Wer die jüngsten Publikationen Ihres Hauses anschaut, bekommt den Eindruck, dass Sie mit „Pictures of the Future“ ein Instrumentarium gefunden haben wollen, um in die Zukunft zu schauen. Bis jetzt sind solche Versuche immer fehlgeschlagen. Was lässt Sie, Herr Prof. Weyrich, hoffen, dass Siemens am Schluss besser da steht als andere Zukunftsplaner?

Weyrich: Zunächst einmal wollen auch wir Niels Bohr in keiner Weise widersprechen, der so schön formuliert hat: „Vorhersagen sind schwierig, vor allem wenn es um die Zukunft geht.“ Und wir wollen auch nicht in Anspruch nehmen, dass wir einen neuen Weg zu treffsicheren Prognosen gefunden haben. Worauf es in einem Unternehmen mit einem FuE-Aufwand von 5,6 Milliarden Euro ankommt, ist vielmehr, sich in einem systematischen und kontinuierlichen Prozess mit der Zukunft zu beschäftigen. Wir verfolgen dabei zwei komplementäre Wege: Einmal, indem wir mittels Road Maps unser laufendes Geschäft in die mittelfristige Zukunft fortschreiben, also extrapolieren. Zum Zweiten, indem wir uns längerfristige, ganzheitliche Visionen der Welt von morgen erarbeiten – mit ihren Auswirkungen auf die Arbeitsgebiete unseres Hauses. Durch Retropolation, also mit Blick aus der Zukunft auf die Gegenwart, können wir dann gewissermaßen aus einer zweiten Dimension erkennen, welche Entscheidungen heute getroffen werden müssen, um dahin zu kommen. Beide Methoden sind wissenschaftlich anerkannt, andere machen das auch. Doch unser Unternehmen hat erstmals eine Synthese dieser beiden Denkansätze durchgeführt, um so zu einer verbesserten Technologieplanung zu kommen.

bdw: Funktionieren kann ein solches Herangehen nur, wenn die Zukunftsbetrachtung kontinuierlich an aktuelle Entwicklungen angepasst wird.

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Weyrich: In der Tat gilt hier: Der Weg ist das Ziel. Es geht uns nicht um Schnappschüsse. Deshalb machen wir auch nicht im Abstand von Jahren eine neue Untersuchung, sondern optimieren den Prozess fortlaufend anhand der aktuellen Markt- und Technologieentwicklungen. Wir beziehen die Bedürfnisse unserer Kunden ein und legen auch ihnen unsere Ideen offen.

bdw: Heißt das, dass sich die Konkurrenz bei Ihnen schlau machen kann?

Weyrich: Das Ergebnis unseres Verfahrens können Sie zweiteilen: Da gibt es einen Teil, den wir ganz bewusst publizieren. Andere Ergebnisse – und das wird jeder verstehen – werden wir natürlich für uns behalten.

bdw: Wie arbeiten Sie in Ihre Verfahren unvorhersehbare Dinge ein – wie die dramatischen Ereignisse am und in Folge des 11. Septembers 2001?

Weyrich: Punktuelle Ereignisse wie der 11. September haben unter Umständen nicht nur dramatische wirtschaftliche Folgen. Sie können auch den Anstoß geben für die Intensivierung einschlägiger technologischer Entwicklungen, etwa für verschärfte Sicherheitsvorkehrungen bei der Personenkontrolle an Flughäfen oder im Internet. Wir bringen diese umgehend in unsere „Pictures of the Future“ ein, genauso wie unerwartete technologische Diskontinuitäten, die natürlich auch nicht planbar sind. Aus der Vergangenheit fällt mir vor allem die Erfindung der Hochtemperatur-Supraleiter ein, die Anstöße für viele Entwicklungen in der Energietechnik gegeben hat. Solche Innovationen brauchen aber – das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt – oft eine lange Zeit, bis sie sich in Produkten wiederfinden. Wir können sie daher rechtzeitig in unseren „ Pictures of the Future“ berücksichtigen.

bdw: Welche Qualifikationen haben die Mitarbeiter dieses Projekts?

Weyrich: Wir haben hochgradig interdisziplinäre Teams, in denen sowohl jugendliche Querdenker als auch erfahrene Hasen mitwirken. Konkret sind es Physiker, Elektroingenieure, Betriebswirte, Psychologen, Wirtschaftsingenieure und Informatiker.

bdw: Skizzieren Sie bitte an einem Beispiel, wie Ihre Mitarbeiter vorgehen.

Weyrich: Nehmen wir Laptops. Ihre mobile Nutzung ist heute noch stark eingeschränkt, da ihre autonome Energieversorgung nur für wenige Stunden ausreicht. Könnten wir sie – die Zukunft vorweggenommen – mit kleinen Brennstoffzellen betreiben, die mit wenigen Handgriffen einmal pro Tag mit einem chemischen Energieträger wie Methanol oder mit einem Wasserstoffspeicher versorgt werden, dann sähe das Anwenderverhalten anders aus. Welche Infrastrukturmaßnahmen dazu nötig sind und wie sie sich auf andere Bereiche der mobilen Energieversorgung auswirken würden, welche zusätzlichen Produkte dadurch gefragt wären und wie Siemens partizipieren könnte, all dies ist Inhalt dieses retropolativen Ansatzes. Gleichermaßen untersuchen wir im extrapolierenden Ansatz, wie sich diese Perspektive ändern würde, falls die bisherige Akkutechnik ihre Leistungsdaten deutlich verbessert.

bdw: Das letzte Argument wird bei Prognosen häufig unterschlagen – als ob es immer völlig neue Werkstoffe und Verfahren wären, die an die Stelle herkömmlicher rücken. Dabei ist beispielsweise Stahl allen Unkenrufen zum Trotz immer noch das gefragteste Material für Autokarosserien.

Weyrich: Ein großer Fehler, den man bei Prognosen machen kann, ist in der Tat, das Innovationspotenzial bestehender Technologien zu unterschätzen. Auch wenn Flüssigkristalldisplays heute eine enorm breite Anwendung haben, konnten sie dennoch die Kathodenstrahlröhren bisher nicht vollständig verdrängen. Eingeführte und industrietechnisch gut beherrschte Materialien und Technologien haben oft ein weit größeres Potenzial, als man zunächst annimmt. Wir wissen aus Erfahrung: Old technologies are fighting back.

bdw: Können Sie uns ein Produkt nennen, dessen Bedarf über „ Pictures of the Future“ ermittelt wurde und das es in den nächsten Jahren geben wird?

Weyrich: Dazu gehört mit Sicherheit der elektronische Pfadfinder. Mit einem Gerät von der Größe eines Mobiltelefons wird es möglich sein, die Ressourcen eines Standorts besser zu nutzen. Das fängt damit an, den richtigen Weg in ein bestimmtes Büro oder in einen Konferenzraum zu finden und dort mit diesem Gerät, Drucker und Beamer einzustellen. Weiterhin kann man mit ihm das Standorttelefonbuch benutzen, Konferenzen vereinbaren und vielleicht auch die Jalousien bedienen. Entscheidend für den Durchbruch dieser wie auch aller anderen Technologien wird der Kundennutzen in Relation zum Preis sein – und gar nicht so sehr die Faszination der ersten Stunde.

bdw: Ein innovationsgetriebenes Unternehmen wie Siemens braucht ein entsprechendes Umfeld. Das scheint in Deutschland ja wieder mehr als früher zu stimmen. Es gibt viele Gründerinitiativen, und das Deutsche Patentamt registrierte 2001 mit gut 52000 Patentanmeldungen 21000 mehr als zehn Jahre zuvor.

Weyrich: Ein wesentlicher Grund für diesen steilen Anstieg ist die Globalisierung der Wirtschaft. Bis vor etwa 15 Jahren hatten viele Unternehmen ihren Heimmarkt und kamen sich international nur wenig in die Quere. Als die weltweite Deregulierung vieler Branchen zu einer Öffnung der Märkte und zu mehr Wettbewerb führte, trat ein massiver Verteilungskampf ein. Von da an schaute man erheblich genauer auf das, was man vor anderen schützen sollte. Heute gelten Patente als strategische Waffe: Die Zahl der Patentanmeldungen hat deutlich zugenommen – ebenso wie die Zahl der Patentstreitigkeiten.

bdw: Die Siemens AG ist das patentstärkste Unternehmen Deutschlands.

Weyrich: Diese Position belegen wir schon seit vielen Jahren. Aber nicht nur in Deutschland sind wir bei Patenten sehr aktiv: Die weltweit von Siemens eingereichten Erstanmeldungen haben sich im Laufe der letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt. Wir liegen beim Europäischen Patentamt zusammen mit Philips an der Spitze. Und selbst im heiß umkämpften US-Markt stehen wir inzwischen auf Position sechs. Mit ausgelöst wurde die Steigerung bei unseren Patentanmeldungen durch eine vor Jahren gestartete Innovationsinitiative, in deren Rahmen hervorragende Erfinder persönlich ausgezeichnet werden, beispielsweise von unserem Vorstandsvorsitzenden Dr. von Pierer.

bdw: Welche Anforderungen hat Ihr Unternehmen an die Hochschulabsolventen ?

Weyrich: Flexibilität, Teamfähigkeit und Internationalität der Mitarbeiter sind die für uns entscheidenden Punkte. Forschung und Entwicklung globalisieren wir heute genauso wie unsere Produktionsstätten. Wir dürfen nicht nur deutsch denken – weder beim Rekrutieren noch beim späteren Einsatz der Mitarbeiter. Die Möglichkeit, sich innerhalb unseres Hauses auch international verändern zu können, sehen viele Bewerber als eine besondere Attraktivität von Siemens. Ein anderes Moment ist die große Bandbreite unserer Produkte – vom medizinischen Hörgerät bis hin zum Telekommunikationsnetz, vom Handy bis zum Großkraftwerk – und die damit verbundenen technologischen Herausforderungen.

bdw: Können Sie Qualifikationsunterschiede etwa bei jungen Physikern feststellen, die in Deutschland oder sonstwo in der Welt studiert haben?

Weyrich: Ich hüte mich vor pauschalen Vergleichen. Entscheidend für uns ist neben einer soliden Ausbildung – und die bekommt man vielerorts – die Persönlichkeit. Wir brauchen Draufgänger, die ein Projekt notfalls auch gegen Widerstände durchsetzen können, genauso wie stärker wissenschaftlich orientierte Mitarbeiter, die in Ruhe neue Ideen ausbrüten. Insgesamt möchte ich aber betonen: Die jungen Mitarbeiter von heute begeistern mich immer wieder von Neuem. Die Bewerber aus Deutschland hätten wir allerdings gerne einige Jahre jünger.

bdw: Sind die Jungen wirklich so viel kreativer und unkonventioneller, wie stets behauptet wird?

Weyrich: Ob das so ist, möchte ich dahingestellt sein lassen. Gerade unsere Spitzenerfinder zeigen uns: Wer kreativ ist, bleibt das über viele Jahrzehnte. Unsere Forderung nach jüngeren Leuten resultiert vor allem aus ihrer größeren Mobilität. Wer noch keine Familie gegründet hat, ist unternehmungslustiger und eher bereit, seinen Arbeitsstandort zu wechseln. In meinem Bereich, der Zentralabteilung Corporate Technology, sagen wir unseren Bewerbern schon bei der Einstellung, dass wir eine gute Plattform sind, von der aus man sich im Unternehmen weiterbewegen sollte: Einmal ist das der beste Weg für den Transfer unserer Forschungsergebnisse, wenn die Mitarbeiter mit ihrem Know-how wechseln. Zweitens bietet sich dadurch für uns die Chance, ständig jüngere Leute in unsere Forschungsabteilungen zu integrieren.

bdw: In den USA gehört es zum guten Ton, sich nach einigen Jahren selbstständig zu machen oder zu einem konkurrierenden Unternehmen zu wechseln. Verspüren auch Sie Abwanderungstendenzen bei guten Forschern?

Weyrich: In den Phasen des großen Mangels an IT-Kräften und den – auch finanziell – reizvollen neuen Möglichkeiten innerhalb der Gründerszene hatten wir im Vergleich zu den Vorjahren eine größere Fluktuation zu verzeichnen. Doch in der Summe haben wir durch die Attraktivität von Siemens deutlich weniger darunter gelitten als andere Unternehmen.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess

Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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