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Zurück zum Urwald

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Zurück zum Urwald
„Die verheerenden Waldschäden, die der Orkan „Lothar“ am zweiten Weihnachtstag anrichtete, geben der Forstwirtschaft eine große Chance. Dr. Bernhard Epping, Biologe und Fachjournalist, empfiehlt, künftig den Wald viel stärker sich selbst zu überlassen.“

Am zweiten Weihnachtsfeiertag schlug Lothar zu. In den Wäldern – vor allem im Südwesten der Republik – klaffen seitdem riesige Lücken. Allein in Baden-Württemberg wurden auf mindestens 40000 Hektar Fläche Bäume zerstört. Die wirtschaftlichen Schäden sind enorm. Gerade die paar hundert verbliebenen kleineren Waldbauern im mittleren und nördlichen Schwarzwald sind vom Ruin bedroht. Verständlich, daß Förster und Waldbesitzer nun alles daran setzen, möglichst schnell möglichst viel Sturmholz aus dem Wald zu holen, um damit wenigstens noch etwas Geld zu verdienen. Im Nacken sitzt ihnen der Fichtenborkenkäfer. Wenn der in den ersten wärmeren Tagen merkt, daß der Tisch für ihn gedeckt ist, wird er manchen Fichtenbestand vollends kahlfressen.

Doch der große Sturmschaden böte auch die Chance für einen Neubeginn. So könnte sich in Baden-Württemberg zumindest der Staatsforst einmal die schwäbische Devise zu eigen machen: „Net hudle“ – Ruhe bewahren – und das Holz einfach auf einer großen Fläche liegen lassen. Etwa dort, wo der Sturm besonders schlimm gewütet hat: im mittleren und nördlichen Schwarzwald. Wenn Orkane wie Lothar Vorbote oder Ausdruck einer großen Klimaveränderung sind – wie viele Wissenschaftler annehmen –, dann wäre es gerade für die Forstwirtschaft wichtig, der Natur möglichst große Flächen ganz zu überlassen. Umfassende Ökosystemforschung ist nötiger denn je, um überhaupt Anhaltspunkte dafür zu finden, wie der Waldbau von morgen auf ein verändertes Klima reagieren kann. Und nur große Schutzgebiete geben dazu Gelegenheit. Vorbild für ein solches Projekt: Der Nationalpark Bayerischer Wald. Er umfaßt eine Fläche von 24200 Hektar. Eine Kernzone von 10000 Hektar wird von den Förstern nicht mehr angerührt. Durch dieses Urwaldgebiet flanieren inzwischen Touristen auf Stegen. Und solche unberührten Waldstücke geben Wissenschaftlern die Chance, Schädlinge wie den Fichtenborkenkäfer endlich genauer zu studieren. Denn über sie weiß man bis heute nur wenig. 2700 Hektar Fläche in den Hochlagen des Bayerischen Waldes hat der Käfer zur Zeit befallen. Eine – natürliche – Katastrophe. Wahrscheinlich begünstigen ihn die klimatische Erwärmung und der Bestand der durch Luftschadstoffe geschwächten Bäume. Der Anblick der kahlen Flächen sorgte zunächst für erhebliche Irritationen bei Besuchern und für Empörung bei manchen Anwohnern. „Das soll Natur sein?“ oder „Ihr macht den Wald kaputt!“ lauteten zwei der Vorwürfe an die Parkverwaltung, die den Käfer gewähren läßt.

Die Aufregung hat sich gelegt. Denn inzwischen steht fest, daß nach dem Vernichtungswerk des Käfers neuer Wald nachwächst: Im Schutz der toten Altbäume wachsen in den Hochlagen des Nationalparks heute neben Fichten auch Bergahorn, Vogelbeere, Birke, Weide oder Zitterpappel heran. Der Stuttgarter Landesregierung wird diese Chance in der Krise aber wohl nichts nützen. „Erstens räumen wir auf. Zweitens pflanzen wir ökologisch stabile Wälder. Drittens können wir das Wetter nicht ändern“, lautet die trotzige Erklärung der Landesforstverwaltung. Schon einmal – 1992 – ist ein Projekt für einen Nationalpark im Nordschwarzwald, das Umweltverbände vorgelegt hatten, am Widerstand vor Ort und letzten Endes auch am fehlenden Willen der Landesregierung gescheitert. Wenn man ein Gebiet von beispielsweise 15000 Hektar unter Schutz stelle, bedeute das 20 Millionen Mark Mindereinnahmen im Jahr für die Holzwirtschaft, warnt vorsorglich die Landesforstverwaltung in Stuttgart. Wie viel sich an den Einnahmen aus einem wachsenden Touristenstrom verdienen ließe, vermag die Behörde nicht zu sagen. Freilich: Das fällt auch nicht in ihr Ressort.

Auch in Baden-Württemberg setzen die Forstverwaltungen heute zum Glück auf den artenreichen Mischwald (bild der wissenschaft 2/2000, „Waldwechsel“). Doch diesen – so der Einwand – könne der Mensch durch Anpflanzen viel besser als die Natur herstellen. Überließe man die Natur auf sturmgeschädigten Flächen jetzt sich selbst, würde die das zwar auch mehr oder weniger gut besorgen, nur dauere das viel länger. Ohne den Menschen geht es eben nicht? In der Tat, welch schreckliche Vorstellung, einfach mal nichts zu tun und Natur Natur sein zu lassen. Oder doch nicht? „ Phantastisch“ nennt der Sprecher in der Landesforstverwaltung jene Wiederbewaldung, die sich seit 1990 ganz von selbst auf fünf damals neu eingerichteten kleineren Bannwaldflächen eingestellt hat. Ein toller Anblick? Bitte mehr davon.

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Bernhard Epping

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