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Zurück zur Wahrheit

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Zurück zur Wahrheit
Verkommt die Wissenschaft zur Bühne für Selbstdarsteller? Dr. Peter Bruns und Dr. Ingo Hennings vom Geomar Forschungszentrum für marine Geowissenschaften der Universität Kiel fordern eine Rückbesinnung.

Im Jahre 1969 waren die Menschen auf dem Mond. In den siebziger Jahren funkten die Viking-Sonden massenhaft wissenschaftliche Daten von der Marsoberfläche zur Erde. Und heute? Die Marsmission im vergangenen Jahr erbrachte viele spektakuläre Bilder eines Spielzeugautos, das über rotes Gestein rollt. Über wissenschaftlich verwertbare Daten erfuhr man kaum etwas, denn es gab so gut wie keine. Natürlich kosteten die größeren Viking-Lander wesentlich mehr als der viel kleinere Explorer und sein Partner, der Miniroboter Sojourner. Doch mehr als ein paar neue gravimetrische Daten oder 3D-Fotos hätten der Wissenschaft nicht geschadet. Dafür übertraf das Medienspektakel alles bisher Dagewesene.

Diese Verlagerung weg von wissenschaftlichen Inhalten und hin zur reinen Selbstdarstellung ist auch in anderen Zweigen der Forschung zu beobachten. Statt dem Allgemeinwohl zu nutzen, werden Forschung und Wissenschaft zunehmend kommerzialisiert, politisiert und „mediasiert“. Dabei machen solche Menschen Karriere, deren Talent in der Selbstdarstellung und nicht in der wissenschaftlichen Arbeit liegt. Zu Zeiten von Darwin, Newton oder Max Planck hatten Forscher den Drang, neues Wissen zu schaffen. Materielle Aspekte spielten keine Rolle. Auch wenn einige Berichte über Streitigkeiten vorliegen, ging es primär um Kooperation statt um Wettbewerb, wie zahlreiche Briefwechsel belegen. Die Forscher verfügten über viel Zeit, und selbst erfahrene Wissenschaftler verbrachten einen großen Teil ihrer Arbeit mit Expeditionen, mit Experimenten oder theoretischen Überlegungen am Schreibtisch.

Heute ist das anders: Wettbewerb und Konkurrenz sollen die Forschung effizienter machen. Doch unter dem so erzeugten Leistungsdruck leiden vor allem gewissenhafte und gründlich arbeitende Wissenschaftler. Welche Ausmaße dieses Problem annimmt, verdeutlichen zahlreiche Beiträge in den renommierten Wissenschaftsmagazinen „Science“ und „Nature“, wo Forschungsfälschungen angeprangert werden. Grotesk: Wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ am 10. Juni 1998 berichtete, haben diese Magazine vielfach selbst gefälschte Ergebnisse publiziert.

Zur Bekämpfung des Problems wird nach mehr Kontrollinstanzen und nach strikteren Kriterien für die Vergabe von Forschungsgeldern verlangt. Ironischerweise sind es jedoch genau solche Forderungen, die den Verwaltungsaufwand erhöhen, den Konkurrenzkampf verschärfen und mehr als nur nominelle Kooperation verhindern. Letztlich haben erst sie zu dieser Entwicklung geführt.

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Es wäre vermessen zu behaupten, früher sei alles besser gewesen. Andererseits geben die Erfahrungen aus der Vergangenheit Hinweise, wie man mit den heutigen Problemen der Wissenschaft umgehen kann. Eine Erkenntnis: Erstklassige wissenschaftliche Ergebnisse entstehen meist ohne zeitlichen und sozialen Druck. Das heißt, Forscher sollten nur auf festen Stellen forschen, damit ihr Hauptaugenmerk nicht ausschließlich auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes gerichtet ist. So können sie sich bei Bedarf gegen gängige Lehrmeinung auf die Suche nach der Wahrheit begeben.

Die Erfahrung zeigt, daß Wissenschaftler, die einmal gut gearbeitet haben, dies von sich aus weiterhin tun, selbst wenn es keine ständigen Leistungskontrollen gibt. Es bedarf also keiner neuen Kontrollmechanismen, eher deren Abbau und vor allem der sorgfältigen Auswahl der geeigneten Personen.

Intelligente Schauspieler gehören nicht in die Forschung. Das Verlangen, Ergebnisse in vereinfachter Form dem nicht sachkundigen Publikum vorzustellen, fördert lediglich die Fähigkeit zur Selbstdarstellung. Im Studium sollte mehr Wert auf Inhalte gelegt und ganz bewußt übermäßiger Schönheitsaufwand und Computerspielereien in Diplom- und Doktorarbeiten untersagt werden. Die Professoren müssen von politischen und verwaltungstechnischen Pflichten entlastet werden – weg vom Wissenschaftsmanagement, zurück zur Forschung und Lehre. Sie hätten dann mehr Zeit, sich mit den Studenten zu befassen und die Kandidaten auszuwählen, die die Voraussetzungen für gute und ehrliche wissenschaftliche Arbeit erfüllen.

Wenn Forschung nicht mehr von Überlegungen aus der Wissenschaft geleitet, sondern durch politische Motive beeinflußt, gesteuert oder sogar beherrscht wird, hat sie bald ihren eigentlichen Sinn und Nutzen verloren.

Peter Bruns / Ingo Hennings

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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