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Zurück zur Weltspitze

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Zurück zur Weltspitze
Prof. Wolfgang A. Herrmann ist seit 1995 Präsident der Technischen Universität München. Der gebürtige Kelheimer (Jahrgang 1948) studierte Chemie und wurde als 31-Jähriger Professor in Regensburg. Seit 1985 ist er Lehrstuhlinhaber für Anorganische Chemie an der TU München. Herrmann veröffentlichte über 600 Publikationen, hält 40 Patente und nimmt im weltweit angesehensten Publikationsranking des Institute for Scientific Information im Fach Chemie derzeit den ersten Platz unter allen deutschen Chemikern ein. Auch als Forschungsmanager ist er äußerst erfolgreich: Nach einem CSU- Wahlsieg bei den Landtagswahlen in Bayern am 21. September gilt er als erster Anwärter für den Sessel des Münchner Wissenschaftsministers.

Um die deutsche Universitätsausbildung global wieder nach vorn zu führen, sind Studiengebühren unerlässlich, sagt Prof. Wolfgang Herrmann. bild der wissenschaft: Soeben haben sechs Bundesländer beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen das neuerdings im Hochschulrahmengesetz festgelegte Verbot von Studiengebühren eingereicht. Auch Sie sind für die Wiedereinführung von Studiengebühren, Herr Prof. Herrmann. Warum?

Herrmann: Was nichts kostet, ist nichts wert und kennt den Wettbewerb nicht. In Deutschland wurde das Hochschulstudium lange Zeit als Teil einer allgemeinen Schulbildung betrachtet, was aber ein schiefes Bild ergibt. Das Hochschulstudium ist großteils ein persönlicher Vorteil und sollte deshalb als Lebensinvestition gesehen werden. Schauen Sie nur auf Spezialausbildungen: Wer sich etwa für die Meisterklasse in der Musik entscheidet, bezahlt für diese Leistung. Es ist eine Illusion anzunehmen, dass Staat und Steuerzahler künftig ein qualitätsvolles Hochschulstudium voll finanzieren können. Schon aus diesem Grund ist das Hochschulrahmengesetz mit seinem Gebührenverbot kontraproduktiv.

bdw: Über die Wiedereinführung von Studiengebühren wurde schon häufiger geredet. Offenbar wird es nun Ernst.

Herrmann: In den meisten Ländern der Welt bezahlt man Studiengebühren. Asiaten beispielsweise ist es regelrecht verdächtig, dass ein niveauvolles Studium nichts kosten soll. Auch bei uns verfestigt sich die Auffassung, dass das Hochschulstudium weniger ein Konsumgut ist als eine Investition in die ganz persönliche Zukunft. Jüngste Umfragen zeigen hier eine Trendwende: Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist für sozialverträgliche Studiengebühren.

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bdw: Heißt das, dass auch finanziell Schwächere künftig ihr Studium selbst finanzieren sollen?

Herrmann: Es ist eine selbstverständliche Voraussetzung unseres Bildungssystems, dass auch der ärmste junge Mensch an der besten Universität studieren kann, wenn er entsprechend begabt ist. Daran wird sich nach Einführung von Studiengebühren nichts ändern.

bdw: Wie kommt der ärmste junge Mensch an Geld für sein Studium?

Herrmann: Die meisten Experten setzen auf Modelle, die unabhängig vom Elterneinkommen funktionieren. Da geht es um Darlehen, mit denen sich zum einen die Lebenshaltungskosten bestreiten lassen, die etwa im München um die 750 Euro pro Monat betragen. Zum anderen decken diese Darlehen auch die Studiengebühren – wir nennen sie Bildungsbeiträge – ab. Solche Modelle ermöglichen den meisten Studierenden ein weit höheres Maß an Selbstständigkeit als bisher. Das herkömmliche BAFöG-System ist längst kaputt.

bdw: Wie hoch werden die Studiengebühren sein?

Herrmann: Wir an der TU München sind der Meinung, dass unterschiedlich strukturierte Studiengänge unterschiedliche Studiengebühren hervorrufen…

bdw: … ein Chemiestudent bezahlt dann mehr als ein Student der Germanistik?

Herrmann: Das mag gut sein. Wo mehr Infrastruktur und Personal gebraucht werden, fallen auch höhere Kosten an. Je nach Art und Qualität des Studiums wird man in der Bandbreite US-amerikanischer Universitäten liegen.

bdw: Möglicherweise werden Akademiker künftig schlechter verdienen als heute. Manche werden vielleicht gar nicht zur Kasse gebeten werden können. Wer bezahlt deren Schulden?

Herrmann: Unsere Darlehens-Modelle gehen davon aus, dass die Rückzahlung erst ab einem Mindesteinkommen einsetzt. Das bedeutet für gute Universitäten, die sich ihre Studenten selbst aussuchen, ein geringes Risiko. Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine zentrale Aufgabe eines Kulturstaates ist, ein ausgewogenes Bildungsangebot zur Verfügung zu stellen. Auf welchem Level dies der Staat finanziert, muss jetzt definiert werden und in Zielvereinbarungen zwischen Staat und Universität festgehalten werden. Wenn eine Universität mehr leisten will und das auch garantiert – etwa ein besseres Betreuungsangebot, Studiengänge mit höherwertiger Infrastruktur, rascher korrigierte Klausuren, bessere Laborausstattung –, sollte sie entsprechende Bildungsbeiträge verlangen dürfen. Das Prinzip lautet: Leistung und Gegenleistung – vertraglich vereinbart. Was wir ablehnen, sind schiere Studiengebühren ohne definierte Gegenleistung, die im Staatssäckel verschwinden.

bdw: Wie bewerten Sie die derzeitige Qualität deutscher Universitäten?

Herrmann: Die deutschen Universitäten sind im Bereich der Naturwissenschaften und des Ingenieurwesens international immer noch wissenschaftlich sehr leistungsfähig. Das belegen Publikationsindices und internationale Auszeichnungen sowie die Nachfrage nach Forschungsplätzen. Unser Problem ist, dass die einzelnen Studiengänge zu wenig eigenes Profil besitzen und dass wir in der Ausbildung nicht mehr die erste Adresse für die Besten aus aller Welt sind. Mein eigenes Fach, die Chemie, ist in etwa 50 deutschen Universitäten vertreten, doch die Struktur des Studienangebots ist fast überall dieselbe. Hier ist wenig Mut zur Vielfalt. Ein zweites Problem ist, dass wir uns zu wenig an dem Bedarf ausländischen Studenten orientiert haben, man kann sogar sagen, hier haben wir unter dem permanenten Überlastungsdruck der Universitäten regelrecht versagt. Die Folge ist, dass unsere Forschungseinrichtungen für gute Leute erst nach der Promotion attraktiv werden: Zu spät, um junge Menschen kulturell zu prägen.

bdw: Die Söhne und Töchter wohlhabender Deutscher studieren immer häufiger in den USA oder an anderen ausländischen Universitäten. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Herrmann: Gewiss ist es heute schick, im Ausland zu studieren, und wenn man Geld hat, leistet man sich das eben. Ob das immer mit dem intellektuellen Leistungsvermögen korrespondiert, ist eine ganz andere Frage. Für die Zukunft eines Landes ist es wichtig, dass sich die Intelligenz mit den eigenen Bildungseinrichtungen identifiziert. Dazu müssen die Universitäten unternehmerische Freiheit bekommen.

bdw: Warum haben sich Universitäten wie Oxford, Harvard oder Stanford in der deutschen Öffentlichkeit deutlich besser positioniert als etwa die TU München, die Universität Bonn oder die RWTH Aachen, die allesamt international überdurchschnittlich sind?

Herrmann: Das liegt an der Handlungsfähigkeit der von Ihnen genannten ausländischen Universitäten. Wenn eine große wissenschaftliche Herausforderung erkannt ist, können sie Prioritäten mit immensen Geldmitteln ausstatten, hervorragende Laboratorien zur Verfügung stellen und damit auch die besten Köpfe aus aller Welt zusammenbringen. Da wird dann gearbeitet, was das Zeug hält, und ehe man sich umschaut, ist auch schon ein Nobelpreis da. Andererseits haben solche Universitäten den Mut, Fachgebiete rasch zu schließen, die keine Bedeutung mehr für Wirtschaft und Gesellschaft haben. Die deutschen „ Ministerialuniversitäten“ dagegen werden als nachgeordnete Behörden geführt und behandelt. Wir sollten den Universitäten einfach mehr zumuten. Nach den Reformen bei Renten- und Gesundheitswesen wird die Reform des deutschen Bildungssystems – allem voran der Universitäten – der dritte große Sanierungsfall für Deutschland.

bdw: Wie kann man die Entwicklung beschleunigen?

Herrmann: Die mittlerweile ziemlich ideologiefreie Diskussion hinsichtlich individueller Bildungsbeiträge für ein Studium zeigt, dass wir uns bewegen. Die Entwicklung der Ländergesetzgebung zum Thema Autonomie und Verantwortung der Universitäten, aber auch die Flexibilisierung des Staatshaushaltes bei den Universitäten sind gute Zeichen, dass politische Einsicht besteht, um Selbstgestaltung und Selbstverantwortung zum wichtigsten Steuerungsinstrument für die Universitäten zu entwickeln. Wenn Universitäten Ziele und Profile haben, wenn die Ausbildung als akademische Dienstleistung gilt, wird es auch bei uns genügend Mäzene geben, die gute, engagierte und bedürftige Studenten unterstützen.

Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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