Wir haben den Erdorbit ganz schön zugemüllt. Bruchstücke von Trägerraketen, ausgemusterte Satelliten, Abfälle von Feststoffraketen, Überreste von Explosionen und Kollisionen, ja sogar Farbsplitter von Raumschiffen rasen mit Höchstgeschwindigkeit durchs All. Sieben bis acht Kilometer pro Sekunde legt Weltraumschrott in einer Höhe von bis zu 2.000 Kilometern, im niedrigen Erdorbit, zurück. Mit jedem Stückchen Schrott steigt das Risiko einer Kollision mit einem der aktiven Spionage- oder Wettersatelliten, Kommunikations- oder Forschungssatelliten, mit einer Raumfähre oder der Internationalen Raumstation.
Die meisten Bruchstücke sind sehr klein: Rund 500.000 von ihnen messen zwischen einem und zehn Zentimetern; nur 21.000 sind größer als zehn Zentimeter. Manchmal sind jedoch auch richtig dicke Brummer dabei – etwa Envisat, der größte zivile Satellit im Orbit, den die Europäische Raumfahrtagentur ESA 2002 ins All schickte, um Land und Ozeane, Polkappen und Veränderungen in der Atmosphäre zu beobachten. 2012 brach der Kontakt zu dem neun Meter langen und mehr als zwei Milliarden Euro teuren Satelliten ab. Nun wird er voraussichtlich für die nächsten 150 Jahre in einer Höhe von 790 Kilometern im die Erde kreisen und sich dabei jedes Jahr im Schnitt zwei Objekten auf rund 200 Meter näheren.
Eine marodierende Schrottwolke
Zwar sei es unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einer Kollision mit Envisat komme, sagt Katie Raymer, Studentin an der University of Leicester. Doch wenn es passiert, besteht das Risiko einer Kettenreaktion, Kessler-Syndrom genannt: Ein Zusammenstoß schafft eine Vielzahl neuer Bruchstücke, die ihrerseits mit weiteren Objekten im Orbit kollidieren – und immer so weiter. Sandra Bullock wird in dem Film „Gravity“ als Astronautin Opfer solch einer marodierenden Schrottwolke.
Envisat schwebt zudem in einer Höhe, in der die Dichte an Weltraumschrott besonders hoch ist – und kreuzt regelmäßig die Bahn vieler Satelliten, die um die Pole kreisen. „Auch wenn ein Unfall unwahrscheinlich ist, lohnt die Überlegung, Envisat aus seinem Orbit zu befördern“, sagt Raymer. Gemeinsam mit zwei anderen Studenten hat sie berechnet, wohin der Satellit zu manövrieren wäre und wie viel Treibstoff dazu nötig ist. Ihre Ergebnisse stellen sie im „Journal of Physics Special Topics“ vor, einer jährlich erscheinenden Zeitschrift der University of Leicester, in der Studenten im letzten Jahr ihres Physik-Masters kurze Arbeiten veröffentlichen können.
Am sinnvollsten wäre es demnach, Envisat in einen niedrigeren Orbit in 700 Kilometern Höhe zu bugsieren. Dann würde er nicht erst in 150, sondern voraussichtlich in 25 Jahren zur Erde zurückkehren. 143 Kilogramm Hydrazin-Treibstoff wären dazu notwendig. Zwei Probleme gibt es allerdings: Erstens ist es eine extrem teure Angelegenheit, 143 Kilogramm Last auf eine Höhe von 790 Kilometer zu schießen. Zweitens ist Envisat nicht darauf ausgelegt, frisch betankt zu werden. Abhilfe schaffen könnte die Robotic Refueling Mission der NASA, die künftig defekte Satelliten neu befüllen können soll. Leider absolviert sie gerade erst die allerersten Testläufe.