Schneebrett-Lawinen lassen sich mathematisch als Netzwerk von Balken oder Platten darstellen. Dieses Modell zweier finnischer Physiker kommt den echten Schneestürzen erstaunlich nahe und könnte erklären, weshalb einige Lawinen ohne Vorwarnung losbrechen. Die „Balken“ des Modells simulieren den Zusammenhalt des Schnees und die Reibung zwischen der Schneemasse und dem Berghang.
Die Schneemassen einer Lawine wirken zwar wie flüssige Lava, verhalten sich aber zunächst eher wie Festkörper – darauf stützten sich Jan Åström und Jussi Timonen von der
Universität Jyväskylä. Lawinen entstehen an Hängen mit einer Neigung von 30 bis 50 Grad. Die so genannten Schneebretter, von Kälte und Wind verhärtete Schneemassen, brechen entlang einer scharf verlaufenden, V-förmigen Kante an, bevor sie zu Tal stürzen. Das Modell der Finnen arbeitet mit Balken, die untereinander fest verbunden und am Untergrund befestigt sind. Jeder Balken kann eine gewisse Menge an Dehnung und Druck aushalten – wird er jedoch zu stark gezogen oder gepresst, bricht er.
Åström und Timonen beginnen die Lawinensimulation jeweils mit dem Bruch eines einzelnen Balkens. Je nach Umweltbedingungen ergeben sich daraus unterschiedliche Situationen: Ist der Zusammenhalt des Schneebretts stark im Vergleich zur Haftung am Untergrund, so verliert die Schneemasse als Ganzes ihren Halt und gleitet ab: Viele „Balken“ brechen gleichzeitig, bevor die Masse abrutscht, auch in der Natur ertönt mehrfaches Knacken. Per Mikrofon im Schnee lassen sich diese Warnzeichen wahrnehmen. Sind aber Zusammenhalt und Haftung in etwa gleich stark, so entwickelt sich aus dem ersten „Bruch“ eher eine Lawine ohne jegliche Warnsignale, berichten die Forscher im Fachmagazin Physical Review E. Ihr Modell bestätigt auch, dass manche Lawinen – je nach Umweltbedingungen – nicht präzise vorherzusagen sind. Für den „Bruch des ersten Balkens“ sind bei Schneebrettern zudem in 95 Prozent der Fälle die späteren Lawinenopfer selbst verantwortlich.
Dörte Saße