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Das Korona-Paradox

Astronomie|Physik

Das Korona-Paradox
Strenggenommen ist eine totale Sonnenfinsternis auf der Erde gar nicht total. Denn die Sonne ist viel größer, als sie uns erscheint. Bedeckt der Mond die sichtbare Sonnenscheibe, tritt die äußere Sonnenatmosphäre zutage: ein milchigweißer Strahlenkranz, der sich bis zu 20 Sonnenradien weit in den Raum hinaus erstrecken kann. Diese Korona („Krone, Kranz“) ist einmillionmal lichtschwächer als die sichtbare Sonnenoberfläche, die Photosphäre. Deshalb kann sie nur beobachtet werden, wenn der Mond – oder eine spezielle Vorrichtung in einem Teleskop – die Photosphäre in den Schatten stellt.

Als sich ein solcher Mondschatten bei der Sonnenfinsternis vom 7. August 1869 entlang eines schmalen Streifens von der Beringstraße quer durch Nordamerika bis nach North Carolina bewegte, machten Charles A. Young und andere amerikanische Sonnenforscher eine verblüffende Entdeckung. Bei einer bestimmten Wellenlänge im grünen Licht zeigte das Spektrum der Korona eine helle Linie, die von einer ganz bestimmten Atomsorte ausgestrahlt werden mußte. Doch kein bekanntes Element auf der Erde hat diese Eigenschaft. Und selbst auf der Sonnenoberfläche sind solche Emissionslinien nicht nachweisbar. Es muß sich um ein bislang unbekanntes Element handeln, vermuteten daher die Forscher. Einige Jahre später bekam es sogar einen Namen: Coronium. Erst 1940 konnte der schwedische Physiker Bengt Edlén diese Hypothese widerlegen. Er fand heraus, daß die grüne Linie von Eisen-Atomen stammt. Aber diese müssen 13 ihrer 26 Elektronen verloren haben, also hoch ionisiert sein, um die Spektraleigenschaft zu zeigen. Damit war die Verblüffung perfekt: Für 13fach ionisiertes Eisen sind Korona-Temperaturen von über einer Million Grad nötig. Und das ist paradox. Wie kann die Korona mehr als 200mal heißer sein als die 5500 Grad heiße Photosphäre darunter? Denn Wärme fließt vom rund 15 Millionen Grad heißen Sonnenzentrum in den kalten Weltraum ab, und je größer der Abstand vom Mittelpunkt der Sonne ist, desto kühler wird es. Weshalb besitzt die Korona also Temperaturen, wie sie 150.000 bis 300.000 Kilometer unterhalb der Photosphäre herrschen?

Daß die Korona wirklich so heiß ist, beweisen Röntgenstrahlen, die nur dort, nicht aber auf der Sonnenoberfläche freigesetzt werden. Also muß es einen physikalischen Mechanismus geben, der die Korona über der Photosphäre aufheizt. Doch welche Energiequelle dafür verantwortlich ist und wie die Wärme innerhalb der Korona transportiert wird, gehört seit Jahrzehnten zu den großen ungelösten Fragen der Sonnenphysik.

Inzwischen kennen die Astronomen recht gut die Zusammensetzung des ionisierten Gases, aus dem die Korona besteht. Sie wissen, daß der Glorienschein der Sonne eine so geringe Dichte hat, daß kein im Labor auf der Erde erzeugtes Vakuum mit ihr konkurrieren kann – auf eine Million Kubikmeter kommen nur zehn Gramm Materie. Und sie fanden heraus, daß die Korona von einem wilden Dschungel magnetischer Feldlinien durchsetzt wird. Wo sie sich nicht zurück auf die Sonnenoberfläche krümmen, sondern als offene Linien ins All erstrecken, hat die Korona riesige Löcher. Dort ist sie rund 30 Prozent weniger dicht und zwei- bis fünfmal kühler.

Doch alle diese Erkenntnisse geben keine Erklärung für den Heizmechanismus. Viele Spekulationen wurden im Lauf der Zeit entwickelt, um das Rätsel zu lösen: daß Staubkörner aus dem All auf die Sonne fallen und dabei Bewegungsenergie freisetzen; daß sich Schallwellen von den aufsteigenden Gasmassen aus dem Sonneninneren über elektrisch geladene Teilchen bis in die Korona fortpflanzen und dort Schockwellen erzeugen oder daß die Energie aus dem Magnetfeld stammt. Für die letzte Hypothese spricht inzwischen vieles. So hat die amerikanisch-europäische Raumsonde SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) Myriaden von magnetischen Schleifen entdeckt, die die Sonnenoberfläche wie einen Teppich bedecken und sich alle 40 Stunden erneuern.

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„Als ich die Daten zum ersten Mal sah, fiel ich beinahe vom Stuhl“, erinnert sich Joseph Gurman vom Goddard Space Center der NASA, der amerikanische Projektleiter von SOHO. „Das könnte die mysteriöse Energiequelle sein.“ Die Forscher stießen auf ein regelrechtes Trommelfeuer von Explosionen an den Grenzbereichen der Konvektionszellen – der aufsteigenden Gasblasen aus dem Sonneninneren, die wie ein Netz aus 30000 Kilometer großen Bienenwaben die Sonnenoberfläche überziehen. Die Feuerbälle lodern einige Minuten lang und sind etwa so groß wie die Erde – also viel kleiner als die riesigen „Flares“, die immer wieder große Mengen an Sonnenmaterie ins All schleudern. Richard Harrison vom Rutherford Appleton Laboratory im britischen Oxfordshire nennt die Feuerbälle „solar blinkers“ (Sonnenblinzler): „Sie scheinen magnetische Energie freizusetzen und irgendwie in die Korona abzugeben.“

Arnold Benz und seine Kollegen von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich schätzen, daß sich bis zu 20000 solcher Blitzlichtgewitter pro Sekunde auf der Sonnenoberfläche entladen, und daß sie auf einer Art magnetischer Kurzschlüsse beruhen. Diese ereignen sich, wenn extrem gespannte Magnetlinien aufeinanderknallen und zerreißen. Dadurch können einzelne Gasblasen bis auf eine Milliarde Grad erhitzt und außerdem beschleunigt werden. Das Gas verteilt sich dann rasch in der Korona und kühlt im Lauf einer Viertelstunde ab, vermuten die Forscher.

„Es gibt also keinen Waldbrand, aber viele tausend Campingfeuer“, beschreibt Philip Scherrer von der Stanford University den mutmaßlichen Aufheizmechanismus der Korona. „Aber wir wissen noch immer nicht, wie die Energie von dem Magnetfeldteppich in die Korona transportiert wird.“ Und vielleicht schlägt das Korona-Paradox jetzt sogar ins andere Extrem um. „Inzwischen haben wir mehr als genug Energiequellen aufgespürt, die die Korona aufheizen“, sagt Gurman. „Sogar tausendmal mehr als wir brauchen.“

Außerdem gibt es seit Mai noch eine weitere Konkurrenz-Hypothese: Ron Moore vom Marshall Space Flight Center der NASA und seine Kollegen haben mit Hilfe von SOHO und dem japanischen Röntgensatelliten Yokoh „Mikroflares“ entdeckt – Sonneneruptionen so groß wie die Erde, die binnen fünf Minuten die Energie von zehn Millionen Wasserstoffbomben freisetzen. Sie fegen ständig über die Sonnenoberfläche und heizen der Korona ebenfalls kontinuierlich ein.

Weitere Beobachtungen sind nötig, um die Heizquellen zu entlarven und die Energieströme genauer zu messen. Für das Jahr 2004 ist der Start der internationalen Sonde Solar-B unter Leitung der japanischen Raumfahrtagentur ISAS geplant. Sie soll sich hauptsächlich dem Studium der Korona widmen. Vielleicht werden die Astronomen der heißen äußeren Sonnenatmosphäre dann endlich ihr Geheimnis entreißen.

Rudolf Kippenhahn, ===Rüdiger Vaas
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