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Der geschrumpfte Riesenmond

Astronomie|Physik

Der geschrumpfte Riesenmond
Der Saturnmond Titan ähnelt der Erde, trotz seiner exotischen Chemie. Planetologen beobachteten Regen, Flüsse und Seen auf dem kleiner gewordenen Giganten – gespeist durch Kohlenwasserstoff-Wolken.

Titan sollte eigentlich unter Naturschutz stehen. Denn Saturns Riesenmond ist der Letzte seiner Art. Unter den 62 oder mehr Saturnmonden sticht er durch seine Größe hervor. Doch laut der amerikanischen Astrophysikerin Robin Canup gab es einst mindestens einen weiteren großen Trabanten. Dessen Schicksal war vermutlich besiegelt, als er Saturn zu nahe kam: Die Gezeitenkräfte des Ringplaneten schälten wie mit einem gewaltigen Hobel den Eismantel des hypothetischen Monds ab – so das Szenario der Forscherin vom Southwest Research Institute im US-Bundesstaat Colorado. Bald umschwirrten blanke Eisbrocken den Saturn und lieferten den Rohstoff für das prächtige Ringsystem. Chemisch gesehen ist das plausibel, denn die Saturnringe bestehen fast ausschließlich aus Wassereis.

Ob sich die Hypothese vom zerstörten Mond durchsetzt, die Canup kürzlich im Wissenschaftsblatt Nature publizierte, werden vor allem Beobachtungen der Raumsonde Cassini entscheiden. Seit 2004 umrundet sie den Saturn und nimmt dabei bevorzugt Titan ins Visier. Fast 80 Mal ist sie schon an dem planetengroßen Mond vorbeigerast. Und bei vier nahen Passagen zwischen 2006 und 2008 ging es speziell um Messungen von Titans Schwerefeld.

tief unter Titans Kruste

Während eines solchen Experiments spielt die vier Meter große Parabolantenne der amerikanisch-europäischen Sonde eine Schlüsselrolle. Sie muss dauerhaft auf die Erde gerichtet sein. Um störende Vibrationen von Antenne und Sonde auszuschalten, werden die Bordaktivitäten auf ein Minimum beschränkt. Die unregelmäßige Massenverteilung im Innern des Monds bewirkt variierende Anziehungskräfte auf Cassini. Die Folge ist eine geringe Tempoänderung der Sonde. Dabei sind sogar noch Abweichungen in der Größenordnung von 0,1 Millimeter pro Sekunde messbar. Das Verfahren ist so empfindlich, weil sich die eigentliche Messgröße – die Frequenz der zur Erde gefunkten Radiosignale – sehr genau bestimmen lässt. Ein internationales Team um Luciano Iess von der Universität Rom hat diese Messungen nun ausgewertet. Damit warfen die Forscher gleichsam einen Blick tief unter die Kruste Titans.

Die Ergebnisse überraschen: Titan, dessen Durchmesser von 5150 Kilometern fast den von Jupiters Ganymed (5262 Kilometer) erreicht, des größten Monds im Sonnensystem, ist in seinem Inneren völlig anders. Zwar spielt beim chemischen Aufbau beider Monde Wassereis eine wichtige Rolle. Doch anders als bei Ganymed hat sich das Gestein in Titan wohl nie vollständig vom Eis getrennt. „Wahrscheinlich wurde Titan dazu nicht heiß genug“, sagt Frank Sohl vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR). Nur wenige Krater markieren Titans Landschaft. Die meisten Meteoriten sind wohl in seiner dichten Gashülle verglüht, bevor sie den Boden erreichen konnten. Auffällig sind die bis zu 2000 Meter hohen Gebirgsketten, die Cassinis Radargerät entdeckt hat. Wie haben sie sich gebildet? Auf Ganymed findet sich nichts Vergleichbares. Die irdischen Gebirgsketten sind durch die Kollision von tektonischen Platten entstanden, die dabei gestaucht und aufgefaltet wurden – eine Folge von tiefgreifenden Konvektionsströmen im Erdinnern. Eine solche Plattentektonik gibt es auf Titan jedoch nicht. Was hat die Kruste des Trabanten also in Falten gelegt?

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ROSINENBERGE

Die Frage hat ein Forscherteam um Giuseppe Mitri vom California Institute of Technology lange beschäftigt. Mit Modellrechnungen simulierten die Geophysiker und Planetenforscher den inneren Aufbau und den Wärmehaushalt von Titans Geburt bis zur Gegenwart. Dabei berücksichtigten sie auch, dass sein Inneres nie sehr stark aufgeheizt war. Schließlich spuckten die Computer das überraschende Resultat aus: Die Gebirgsketten sind durch Schrumpfung entstanden. „Titan ist der einzige Eismond im Sonnensystem, bei dem es so etwas gibt“, sagt Mitri.

Wieso schrumpft der Riesenmond? Dreh- und Angelpunkt der Erklärung ist eine Flüssigkeitsschicht, die laut den Planetologen vermutlich unter Titans dünner Eiskruste liegt. In diesem Tiefenozean soll sich flüssiges Wasser mit Ammoniak vermischen. Darunter gibt es wahrscheinlich eine Mantelschicht aus Hochdruckeis, gefolgt von einer Zone aus Gestein und Eis.

Mitri und seine Kollegen erklären das Schrumpfen des Mondes so: Von innen nach außen sinkt die Temperatur. Die allmähliche Abkühlung sorgt dafür, dass nach und nach Teile des Tiefenmeers gefrieren. Sowohl die Eiskruste als auch der Mantel aus dem dichteren Hochdruckeis werden dadurch dicker. Zusammen sorgen die Veränderungen in den drei Schichten dafür, dass Titan schrumpft: In den vergangenen 4,5 Milliarden Jahren nahm sein Radius um sieben Kilometer und sein Volumen um ein Prozent ab. Während dieses Prozesses faltete sich die Kruste und Berge entstanden. Das ist ähnlich wie bei Weintrauben, die man zu Rosinen trocknen lässt: Die Runzeln auf der Rosinenhaut entsprechen den Bergen des Saturnmondes.

Ob es wirklich Flüssigkeiten unter Titans Eispanzer gibt, ist zwar noch nicht gesichert. Doch auf dem Eis an der Oberfläche geht es teilweise flüssig zu: Dort gibt es ausgedehnte Seen. Angesichts der Temperatur von minus 179 Grad Celsius ist klar, dass kein Wasser diese Seen füllt. Sie bestehen vielmehr aus kohlenstoffhaltigen Substanzen, etwa Methan und Ethan. Das wurde schon vor Jahrzehnten vermutet, und Cassini hat es spektroskopisch nachgewiesen.

AUSTROCKNENDEr SÜD-SEE

Die Seen zeigen sogar Ebbe und Flut, die durch das mächtige Schwerefeld von Saturn ausgelöst werden. Kraken Mare, ein Becken in der Nordpolregion, ist fast so groß wie die irdische Ostsee. Der Pegelstand von Kraken Mare dürfte nach Rechnungen von Tetsuya Tokano von der Universität Köln durch die Gezeiten um bis zu vier Meter schwanken.

Noch drastischer sind die Veränderungen im Süden: Aufnahmen von Cassinis Bordkamera zeigen, wie der See Ontario Lacus nahe am Südpol austrocknet (bild der wissenschaft 3/2009, „Süd-See auf Titan“). Seine südwestliche Küstenlinie hat sich zwischen Juni 2005 und März 2009 bereits um rund zehn Kilometer zurückgezogen.

Ähnlich wie beim Wasserkreislauf der Erde zirkulieren die kohlenstoffhaltigen Substanzen in einem Kreislauf aus Verdunstung und Regen. Die Ströme pflügen an vielen Stellen Täler in die Landschaft. DLR-Forscherin Mirjam Langhans hat die Täler in den unterschiedlichen Regionen Titans unter die Lupe genommen. „Die Flüsse der hohen nördlichen Breiten erscheinen auf Radar-Bildern Cassinis sehr dunkel, fast schwarz, was auf eine sehr glatte Oberfläche hindeutet. Höchstwahrscheinlich sind sie derzeit mit Flüssigkeit gefüllt.“

Anders ist es bei den Flüssen in Äquatornähe, die sich auf den Radar-Bildern hell abzeichnen. „Das spricht für eine höhere Rauigkeit. Wahrscheinlich liegt in den Flussbetten einst vom Fluss transportiertes Material – etwa Schotter, Blöcke oder gerundete Steine. Diese Flusssysteme dürften momentan trocken liegen.“

Spuren von Regen

Auch die Wetterküche auf Titan erinnert an irdische Verhältnisse. Im März berichtete US-Forscherin Elizabeth Turtle in der Zeitschrift Science erstmals über Spuren von Regen: Wenn die Bordkamera Methanwolken aufziehen sah, zeigten sich auf den Fotos zeitweise dunkle Veränderungen. Wahrscheinlich wurde der Titan-Boden mit Kohlenwasserstoffen benetzt und erschien deshalb dunkler, vielleicht wurden sogar ganze Landstriche überflutet.

„Ein wichtiges Puzzlestück“, kommentiert Titan-Experte Tokano. Ihn erinnern die Regenfälle an die „Innertropische Konvergenzzone“ beim Erdäquator. Das ist eine wenige Hundert Kilometer breite Tiefdruckrinne, in der nördliche und südliche Passatwinde zusammentreffen. Durch die starke Luftkonvektion kommt es zu häufigen Gewittern mit Platzregen und stürmischen Böen. Auf der Erde wuchert in diesem Klima der Regenwald. Die Regenzone pendelt mit den Jahreszeiten um einige Hundert Kilometer in Nord-Süd-Richtung. Solche Verschiebungen scheint es auf Titan ebenfalls zu geben, allerdings deutlich langsamer, denn jede Jahreszeit dauert dort etwa sieben Erdjahre. Dafür verschiebt sich die Zone viel weiträumiger als bei uns. „Vor Kurzem wanderte sie von der südlichen Polarregion bis zum Äquator“, sagt Tokano. „ Möglicherweise endet dort nun die Dürre, und Regenfälle aus Methan setzen ein.“

Riesenfontänen aus Dampf und Eis

Und der hypothetische Brudermond Titans? Das Drama um sein Ende wirft auch neues Licht auf die Geburt anderer Saturn-Trabanten. Robin Canup vermutet, dass in den Ur-Ringen 1000 Mal mehr Material als heute herumschwirrte – genug, dass sich mehrere Kleinmonde zusammenballen konnten. Einer davon sei Enceladus, dessen Durchmesser kaum ein Zehntel Titans erreicht. Seit Cassini am warmen Südpol des Mini-Monds riesige Fontänen aus Dampf und Eispartikeln aufspürte, ist auch er im Fokus der Forscher (bild der wissenschaft 3/2006, „Eismond als Staubquelle“ ). Bis 2017 kann Cassini die Saturnmonde noch ins Visier nehmen. Dann wird das letzte Stündlein der Sonde schlagen – mit einem Sturz in Saturns turbulentes Wolkenmeer. ■

THORSTEN DAMBECK, pro- movierter Physiker, schreibt regelmäßiger für bdw. Die Cassini-Huygens-Mission verfolgt er seit ihrem Start 1997.

von Thorsten Dambeck

Gut zu wissen: Saturnmond Titan

Nach dem Erdmond ist Titan der am intensivsten erforschte Mond im Sonnensystem. Er ist der zweitgrößte Trabant überhaupt und übertrifft sogar den Planeten Merkur. Da Titan fast zehnmal weiter von der Sonne entfernt ist, erreichen die Temperaturen dort kaum minus 179 Grad Celsius. Er ist der einzige Mond mit einer dichten Gashülle. Ihr Druck am Boden beträgt das 1,5-Fache des irdischen Luftdrucks. Wie auf der Erde dominiert Stickstoff die Atmosphäre. Eine Smogschicht und die dunstige Gashülle verstellen im sichtbaren Licht den Blick zur Oberfläche. Durch Radar- und Infrarotstrahlen erkannten Planetologen, dass Methan dort eine ähnliche Rolle spielt wie Wasser auf der Erde. Es gibt Methan-Wolken, aus denen Niederschlag fällt, und große Seen, die mit Kohlenwasserstoffen, vor allem Methan, gefüllt sind – bevorzugt in den Polgebieten. In den äquatornahen Regionen prägen große Dünenfelder und ausgetrocknete Flussläufe das Bild. Die Schwerkraft beträgt knapp 14 Prozent des irdischen Werts, weniger als auf dem Erdmond (16,5 Prozent).

KOMPAKT

· Titan wird kleiner: Durch Abkühlung nahm sein Radius in 4,5 Milliarden Jahren um sieben Kilometer ab.

· Die Raumsonde Cassini beobachtete einen Frühlingsregen auf dem größten Saturnmond: Erst tauchten helle Methan-Wolken auf, dann zeigte sich die nasse Landschaft dunkel – und nach ein paar Tagen war alles wie zuvor.

MEHR ZUM THEMA

Lesen

Populäres Taschenbuch zur Cassini- Mission: Ralph Lorenz, Jaquelin Mitton TITAN UNVEALED Princeton University Press Woodstock 2010, € 12,59 Zwei aktuelle Fachbücher zu den neuen Erkenntnissen über Saturn und seine Monde: Michele Dougherty, Larry Esposito, Stamatios Krimigis (Hrsg.) SATURN FROM CASSINI-HUYGENS Springer, Dordrecht 2009, € 89,99

R. Brown, J. P. Lebreton, H. Waite (Hrsg.) TITAN FROM CASSINI-HUYGENS Springer, Dordrecht 2009, € 87,99

Internet

Die Cassini Mission: saturn.jpl.nasa.gov/index.cfm

Zauberhafter virtueller Flug durchs Saturnsystem: www.outsideinthemovie.com/

Astronom Ralph Lorenz über Titan: www.youtube.com/watch?v=cgyWaoaIW3Q

Planetenforscher Jonathan Lunine erklärt die Zukunftspläne für Titan: www.youtube.com/watch?v=pL4LTFB O10Q&p=9DA87C6F3F17AC58

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