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Die Visionärin anderer Welten

Astronomie|Physik

Die Visionärin anderer Welten
Lynette Cook hat viel Fantasie, Talent und Geschäftssinn: Die amerikanische Weltraumkünstlerin macht das sichtbar, was in der Realität niemand je gesehen hat.

Mit ein paar flinken Mausklicks erhält der rote Planet wabernde schwarze Gasschwaden. Auch der nachtblaue Sternenteppich im Hintergrund wird noch schnell mit einem galaktischen rosa Nebel verschönert. Aber zufrieden ist die Schöpferin erst, als sie auf dem Bildschirm einen dunklen Mond auftauchen lässt, um der Komposition ästhetische Ausgeglichenheit zu verleihen. „Sehr schön”, kommentiert sie selbstbewusst. Und fragt lachend: „Nennen wir ihn LC 29122006?” Natürlich weiß sie, dass eigentlich die Nomenklatur extrasolarer Himmelskörper die Buchstaben „HD” vorschreibt – sie stehen für „Henry-Draper-Katalog” – und dass die Zahlenkombination dem aktuellen Datum entspricht statt der üblichen laufenden Registriernummer.

Die Initialen LC bedeuten Lynette Cook, und ihr Name steht für das Genre „Space Art” schlechthin: Cook ist Amerikas bekannteste Weltraumkünstlerin, vielleicht sogar die bekannteste weltweit. Ihre Werke erscheinen regelmäßig in allen wichtigen internationalen Astronomie- und Wissenschaftsmagazinen, Fernsehdokumentationen und Büchern. Auch bdw-Leser kennen ihre detailgenauen Bilder, die immer wieder Artikel zu Astronomie und Kosmologie illustrieren (zuletzt in den Heften 8 und 10/2006).

Seit zehn Jahren fasziniert die Amerikanerin mit ihrer Interpretation von dem, was das All zwischen Sternengeburt und Sonnentod zu bieten hat. Über 300 Werke dieser Art stammen von der sympathischen 46-Jährigen – ganz klassisch mit Acrylfarben auf Leinwand oder mit Buntstiften gemalt, digital am Computer erstellt oder auch als Mischung von allem zusammen komponiert. „ Hier mache ich keine Experimente”, kommentiert Cook ihre Techniken. „Ich möchte keine neuen Medien entwickeln. Es reicht, wenn ich neue Welten erfinde.” Die sind in ihrem Astronomie-Sachbuch „Infinite Worlds” zu sehen, das Leser auf eine von Cook bebilderte Reise zu anderen Sternen und bis ans Ende des Universums schickt, sowie im Roman „Die Planeten” von der Bestsellerautorin Dava Sobel. Doch die ist eine Ausnahme unter den Auftraggebern. Üblicherweise malt Cook für Astronomen, Universitäten oder wissenschaftliche Organisationen wie das SETI-Institut in Kalifornien.

„Ich bin Sündenbock und Versuchskaninchen zugleich”, beschreibt die Künstlerin ihre Zwitterrolle, Dinge sichtbar zu machen, die wissenschaftlich nicht exakt nachweisbar sind. „Mit meinen Bildern kann ich ganz frei und unverbindlich Szenarien erschaffen, die bei Wissenschaftlern berufsbedingtes Unbehagen auslösen.” Vor allem wenn es um Szenen aus dem Weltraum geht, bei denen Teleskope versagen und Forscher sich aus Computerdaten ein Bild machen müssen. Das gilt insbesondere für die Exoplaneten. Sie umkreisen Lichtjahre entfernt ihre Sonnen. Gesehen hat sie noch niemand. Dass es sie gibt, folgt aus dem leichten Gewackel ihrer Sonnen, das sich durch charakteristische Veränderungen ihrer Spektrallinien verrät. Ursache dafür ist die Anziehungskraft der massereichen Exoplaneten, deren Umlauf die Bewegung der Sterne geringfügig stört.

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Cooks Aufgabe ist es, diese indirekten Beobachtungen ins Bild zu setzen. Fantastisch gelungen ist ihr das bei ihrem Lieblingsplaneten, dem 137 Lichtjahre von uns entfernten HD 222582b im Sternbild Wassermann (siehe S. 58/59): Der Betrachter steht auf einem mutmaßlichen Mond und sieht den riesigen braunen Himmelskörper von einem zarten Ring umgürtet hinter eisblauen Dunstwolken. Es ist denkbar, dass irgendwann tatsächlich genau ein solches Foto von einem Weltraumteleskop übermittelt wird. Denn künstlerische Freiheiten erlaubt sich die Malerin nur dann, wenn sie für die Astronomen im Rahmen des Möglichen sind. „HD 222582b besitzt eine für Planeten seltene elliptische Umlaufbahn” , referiert Cook mit der Sicherheit eines Astrophysikers. Dieser ungewöhnliche Orbit bringt den Planeten dichter zu seiner Sonne als Venus zu unserer, und führt ihn auf der anderen Seite des Orbits weiter weg von seinem Fixstern als Mars von unserem. „ Dadurch entstehen extreme Jahreszeiten, die möglicherweise vorhandenes Wasser auf einem möglicherweise vorhandenen Trabanten zum Schmelzen und Frieren bringen”, erklärt Cook. Und wünscht sich: „Hier möchte ich gerne einmal stehen: Die kalte Winterluft ist schneidend, aber ich spüre, wie die Sonne langsam meine Haut wärmt.” Dabei ist die Künstlerin ziemlich erdverbunden. „Ich bin konservativ, dickköpfig und sehr geradlinig.” Und sie mag keine Experimente.

Das verwundert. Denn „Weltraumkünstlerin” klingt nach Exzentrikerin mit hennagefärbten Haaren, bunter Batik-Tunika und Birkenstocks, die zusammen mit zwölf Katzen in einem kreativen Chaos lebt und im Garten Canabis anbaut – sie wohnt immerhin in San Francisco. Doch weit gefehlt: Cook vermittelt den Eindruck einer seriösen Geschäftsfrau, die sich selbst und ihr Umfeld kaum den Spielkräften des Universums überlässt. Ihr Tagesablauf ist bis auf die Stunde genau geplant, inklusive Spaziergänge zu ihrem Postfach, und täglich gleich – bis auf jenen Tag, an dem sie in einem Tierheim vor Ort unentgeltlich aushilft. Batikfarben hat Cook höchstens in ihrem Studio, aber nicht am Körper. Sie trägt bevorzugt Schwarz, und ihre langen Silberohrringe, die ab und zu unter ihren Kräusellocken hervorblitzen, sind der einzige gewollte Blickfang. Ihr Haus ist schlicht und aufgeräumt: Möbel, Wände und Dekor variieren in allen nur vorstellbaren Nuancen des Farbtons Beige. Die einzigen Farbtupfer sind Cooks Werke an den Wänden sowie das auf dem Teppich verstreute Spielzeug von Buttons, ihrer Hauskatze. Inspiration bietet der Malerin die Botanik. „Ich liebe Blumen und schaue täglich in meinen Garten”, erzählt die Naturliebhaberin. Und das bereits morgens um 6.30 Uhr, wenn ihr Arbeitstag beginnt. Dann sitzt sie in ihrem Studio im Souterrain des Hauses und lässt ihren Blick zuweilen nach draußen auf eine Grünfläche mit bunten Lavendel- und Callas-Büschen schweifen.

Drinnen herrscht lichtdurchflutete Ordnung: Sorgfältig beschriftete Kisten und meterlange Reihen astronomischer Nachschlagewerke beherrschen die weißen Regalwände. In der Mitte des hellen Zimmers steht ein Schreibtisch, auf dessen schräggestellter Arbeitsplatte zwei Dutzend Pinsel, Stifte und Airbrush-Düsen fein säuberlich aufgereiht sind – wie die auf ihren Einsatz wartenden Zutaten bei einer Koch-Show. „Ich kann nur so arbeiten. Alles andere stört meine Kreativität”, kommentiert Cook mit entschuldigendem Achselzucken.

Fast chaotisch wirkt dagegen eine beige Arbeitslampe, die ihre kulinarische Vorliebe verrät: Der Schirm ist vollgeklebt mit Papierstreifen chinesischer Glückskekse. Noch mehr verrät ein darüber geklebtes Kalenderblatt mit einem Zitat des amerikanischen Politikers William Jennings Bryan: „Destiny is not matter of chance. It is a matter of choice. It is not a thing to be waited for, it is a thing to be achieved”, liest Cook vor. „ Man muss das Schicksal selbst in die Hand nehmen, wenn man seine Ziele erreichen will.” Das war schon immer ihr Lebensmotto.

Ihr künstlerisches Talent hat sie aus ihrer Familie mütterlicherseits geerbt. Ihre Ur-Großmutter war eine bekannte Landschaftsmalerin. Seit ihrer Kindheit, die sie mit einer älteren Schwester in einer Kleinstadt in Illinois verbrachte, malt Cook die Natur. „Zu meinen Lieblingsobjekten gehörten Blumen, Pilze und Tiere”, erinnert sich die 46-Jährige, die in der Schule in allen Fächern mit guten Noten glänzte. Ihr Weg nach der Highschool war geradlinig: doppelter Studienabschluss 1982 in Biologie und Kunst an der Mississippi University for Women und noch im gleichen Jahr Umzug an die US-Westküste nach San Francisco. Denn nur dort konnte Cook an der California Academy of Science einen weiterführenden Studiengang belegen, der ihr zwei Jahre später den Titel „Wissenschaftliche Illustratorin” bescherte. Seither wirkt die Neukalifornierin hier als freie Künstlerin.

Die bis heute andauernde Begeisterung für Objekte jenseits der Erdatmosphäre packte sie zum ersten Mal 1984 im Morrison Planetarium in San Francisco. „Schon damals hatte niemand Geld für Kunst”, erinnert sich Cook, die ihren sanften Südstaatenakzent behalten hat. In den kommenden 16 Jahren arbeitete sie dort als Fotografin und Designerin, um sich ein zweites Standbein zu schaffen. Ihren großen Durchbruch als Weltraumkünstlerin hat Cook getreu dem Kalenderspruch von W. Bryan

sich selbst zu verdanken: Als im Dezember 1995 der erste Exoplanet um den Stern 51 Pegasi von den schweizerischen Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz entdeckt wurde, erkannte die Malerin die Goldgräberstimmung in der Astronomen-Szene. „Es gab damals großen Bedarf, die neuen Erkenntnisse künstlerisch umzusetzen”, erinnert sie sich. Wenige Tage nach Bekanntgabe der Entdeckung malte sie den Stern 51 Pegasi als glühend gelben Feuerball hinter seinem braunen, im Halbschatten kreisenden Planeten. Das Bild hängt heute im Genfer Observatorium.

Die amerikanischen Astronomen Geoffrey Marcy und Paul Butler hatten zu jenem Zeitpunkt schon seit acht Jahren mehrere Dutzend Sterne im Visier und warteten verzweifelt auf die ersten Anzeichen von Planeten in ihren Sternspektren. Erstaunt über das ungewöhnliche Ergebnis der Schweizer – der Exoplanet umkreist 51 Pegasi in nur vier Tagen – sahen die US-Forscher ihre Daten durch und fanden nur wenige Wochen später gleich zwei Planeten, die eine ebenfalls ungewöhnlich kurze Umlaufzeit um ihre Sonnen aufwiesen: einen jupiterähnlichen Gasriesen um 70 Virginis und einen zweiten, der die Sonne 47 Ursae Majoris umkreist. Lynette Cook hatte rasch ein Bild dieser beiden Planeten vor Augen. Sie griff zum Telefonhörer. „Ich fragte Marcy, ob er mir seine Ergebnisse für ein Planetenporträt mitteilen könnte.” Marcy konnte – und seitdem sind ihre Auftragsbücher voll.

Mittlerweile wurden über 220 extrasolare Himmelskörper entdeckt. Viele dieser fernen Welten hat Cook ins Bild gesetzt. Auch in Zukunft wird sie der Astronomie treu bleiben, doch nicht so ausschließlich wie bisher. „Ich möchte meine kreative Energie künftig auch fürs Schreiben nutzen”, erklärt sie entschieden. Das Manuskript zu einem Roman, bei dem es um die Beziehung von Menschen und Katzen geht, ist fast fertig getippt. Cook ist mit einem Verleger im Gespräch, und 2008 soll das Buch veröffentlicht werden. Dass darin auch extrasolare Planeten eine Rolle spielen, überrascht niemanden. „Dieses Thema wird mich wohl immer verfolgen.” ■

DÉSIRÉE KARGE, Wissenschaftsjournalistin im kalifornischen San José und US-Korrespondentin von bdw, besuchte Lynette Cooks Studio im nur 50 Kilometer entfernten Daly City.

Désirée Karge

Ohne Titel

· Herkunft: Geboren am 1. Januar 1961 in Herrin/Illinois.

· Doppelkariere: 1982 Studienabschluss in Biologie und in Bildender Kunst.

· Bedeutung: Derzeit bekannteste Malerin für das Genre „Space Art” mit über 170 veröffentlichten Werken.

· Motto: „Man muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.”

COMMUNITY Lesen

Bücher mit vielen Illustrationen von Lynette Cook:

Ray Villard, Lynette R. Cook

Infinite Worlds

University of California Press, Berkeley und Los Angeles 2005, € 42,–

Paul Hapern, Lynette R. Cook

Faraway Worlds – Planets Beyond Our Solar System

Charlesbridge Publishing, Watertown 2004, € 5,99

Internet

Webseite von Lynette Cook: www.lynettecook.com

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