Eine Hypothese wird nicht wahrer, nur weil sie attraktiv ist. Aber diese Hypothese hat wirklich etwas, weil sie viele Fragen der Physik auf einmal beantworten würde: Sie besagt, dass mit dem Urknall Myriaden Schwarzer Löcher entstanden sind. Dazu wären größere Unregelmäßigkeiten in der Geburtssekunde des Universums nötig, als man bisher dachte, aber ausgeschlossen ist das nicht. Diese Schwarzen Löcher wären heute noch in großer Zahl vorhanden und könnten einige astronomische Phänomene erklären. Die Hypothese geht unter anderem auf den Physiker Bernard Carr zurück, der an der Queen Mary University of London forscht, einem ehemaligen Doktoranden von Stephen Hawking. In der aktuellen Ausgabe 11/2016 von “bild der wissenschaft” berichten wir ausführlich darüber.
Vielleicht hat das Observatorium LIGO, als es im September 2015 die erste Gravitationswelle registrierte, sogar die Verschmelzung von zwei dieser ursprünglichen (man sagt auch: primordialen) Schwarzen Löcher beobachtet. Das ist denkbar, weil die beiden Schwarzen Löcher jeweils rund 30 Mal massereicher waren als die Sonne. Schwarze Löcher dieser Größe müssten eigentlich selten sein. Komisch, dass man gleich mit der ersten Gravitationswelle zwei davon nachgewiesen hat. Die Schwarzen Löcher, die nicht bei einer Sternexplosion (einer Supernova) entstanden, sondern von Anfang an da waren, könnten jedoch über diese Masse verfügen.
Keine exotischen Elementarteilchen?!
Es könnte so viele Schwarze Löcher dieses Typs geben, dass sie die Dunkle Materie ausmachen – eine Materieform, die man noch nicht direkt beobachtet hat, von der man aber weiß, dass es sie geben muss. Eine Galaxie wie unsere Milchstraße würde auseinanderfliegen, wenn sie nicht in eine Materiewolke eingebettet wäre, die die Sterne mit ihrer Schwerkraft auf einer Kreisbahn um das Zentrum der Galaxie hält. Diese Materie ist nicht sichtbar und kann auch nicht mit der normalen Materie, die wir kennen, zusammen entstanden sein. Deshalb suchen Physiker seit Jahrzehnten nach neuen Teilchen, aus denen die Dunkle Materie bestehen könnte – bisher jedoch ohne Erfolg. Die primordialen Schwarzen Löcher würden das Problem lösen: Die Dunkle Materie wäre eine Form normaler Materie, die auf einem anderen Weg entstanden ist als die normale Materie, und die nicht beobachtbar ist, weil sie sich in Schwarzen Löchern konzentriert.
An dieser Stelle muss man daran erinnern, dass Schwarze Löcher keine kosmischen Staubsauger sind, wie man sie sich zuweilen vorstellt. (Weitere Informationen zu Schwarzen Löchern und Gravitationswellen finden Sie in unserem “Brennpunkt”.) Andere Himmelskörper können sie auf stabilen Bahnen umkreisen, wie es ein Planet im Kinofilm “Interstellar” tut. Man darf ihnen bloß nicht zu nahe kommen, denn hinter dem sogenannten Ereignishorizont ist man verloren: Staub- und Gaswolken heizen sich auf und geben ein letztes helles Leuchten ab, bevor sie dahinter verschwinden. Die primordialen Schwarzen Löcher könnten erklären, warum es aus der Zeit der ersten Sterne überraschend helle Flecken auf der Himmelskarte gibt – sowohl im Bereich des Infrarotlichts als auch der Röntgenstrahlung: Die Schwarzen Löcher hätten einige der ersten Sterne und Wolken verschluckt. Mit der Zeit haben sie womöglich einige Zwerggalaxien ganz ausgelöscht. Das würde erklären, warum man am Himmel weniger Zwerggalaxien sieht, als es Computersimulationen vermuten lassen.
Der europäische Satellit Euclid, der 2020 starten soll, wird die Quellen der Infrarotstrahlung genauer in den Blick nehmen und vielleicht Aufschluss darüber geben, ob sie von Schwarzen Löchern ausgeht. Ob die Hypothese von Bernard Carr wahr ist, dürfte sich aber vor allem durch die Messungen weiterer Gravitationswellen klären.