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Freie Wissenschaft für alle

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Freie Wissenschaft für alle
Wissenschaftliche Artikel sollen kostenlos im Internet für jeden zu lesen sein. Bedeutet „Open Access“ eine Revolution – oder nur eine gigantische Kostenumverteilung?

Freie wissenschaftliche Informationen für alle – diese Forderung ist weit oben in der Politik angekommen. Im Oktober 2009 reichte der Heidelberger Wissenschaftsjournalist Lars Fischer auf der Internet-Seite des Deutschen Bundestags eine Petition ein, die über 23 600 Bürger unterzeichnet haben. Die Petition hat den Titel „Wissenschaft und Forschung – Kostenloser Erwerb wissenschaftlicher Publikationen“ und ist seit Ende Dezember in der Prüfung. Im Januar wurden Pläne vorgestellt, eine Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags einzurichten, die sich mit der Petition beschäftigen soll. Fischer hatte formuliert: „Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass wissenschaftliche Publikationen, die aus öffentlich geförderter Forschung hervorgehen, allen Bürgern kostenfrei zugänglich sein müssen. Institutionen, die staatliche Forschungsgelder autonom verwalten, soll der Bundestag auffordern, entsprechende Vorschriften zu erlassen und die technischen Voraussetzungen zu schaffen.“ Die Petition ist nur eine Wegmarke bei einem weltweiten Prozess, der seit ein paar Jahren die wissenschaftliche Publikationslandschaft umpflügt – vielleicht der Beginn einer Revolution im Verlags- und Veröffentlichungswesen mit kaum absehbaren Folgen. Das Schlagwort lautet: „Open Access“ (OA). Das Ziel ist: Jeder soll überall und jederzeit Zugang zu den begutachteten Ergebnissen der öffentlich finanzierten Forschung haben. Und das heißt konkret: Jegliche wissenschaftliche Originalliteratur soll kostenlos im Internet verfügbar sein.

Viele Wissenschaftler hatten dies schon 2002 in der „ Budapester Erklärung“ gefordert: „Frei zugänglich im Internet sollte alle jene Literatur sein, die Wissenschaftler ohne Erwartung, hierfür bezahlt zu werden, veröffentlichen.“ Fischer hat seine Petition folgendermaßen begründet: „Die öffentliche Hand fördert Forschung und Entwicklung nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung jährlich mit etwa zwölf Milliarden Euro. Die Ergebnisse jedoch werden überwiegend in kostenpflichtigen Zeitschriften publiziert. Es ist nicht angemessen, dass der Steuerzahler für die von ihm finanzierten Forschungsergebnisse erneut bezahlen muss. Wegen der hohen Kosten und der Vielzahl wissenschaftlicher Zeitschriften sind die Ergebnisse nur in wenigen Bibliotheken einsehbar.“

Freilich wird Otto Normalverbraucher kein vorrangiges Interesse haben, über die neuesten Erkenntnisse zu Mutationsmechanismen von Viren oder den Wirkungsgrad spezifischer Brennstoffzellen zu lesen. Und wenn doch, wird er zu allgemeinverständlichen Zusammenfassungen greifen, etwa in bild der wissenschaft. Aber das ist nicht der Punkt: Wenigstens im Prinzip sollte jeder die Originalquellen mühelos einsehen können. Dies gilt vor allem für die Wissenschaftler selbst – und natürlich auch für Journalisten.

KOSTENSPIRALE UND NEUE MEDIEN

Die Zahl wissenschaftlicher Zeitschriften hat sich seit dem 17. Jahrhundert ungefähr alle 15 Jahre verdoppelt. Freilich kam es nicht gleichzeitig zu einem exponentiellen Zuwachs der Leser, sondern nur die Zahl und Produktivität der Wissenschaftler haben rasant zugenommen. Allein 2006 erschienen 1,6 Milliarden begutachtete Fachartikel. Damit einher ging ein rapider Anstieg der Zahl einschlägiger Fachzeitschriften – auf inzwischen weltweit über 25 000. Und diese Produktivität hat ihren Preis. Doch Etat und Platz der Universitäts- und Institutsbibliotheken sind begrenzt. Aus Kostengründen mussten sie in den letzten zehn Jahren viele Zeitschriften abbestellen. Die Universitätsbibliothek Düsseldorf beispielsweise kündigte allein im Jahr 2003 gut ein Fünftel ihrer naturwissenschaftlichen Fachjournale, die Universitätsbibliothek der TU München 214 Medizin-Titel. Diese Zahlen sind typisch. „Seit Mitte der 1990er-Jahre stecken wir in einer Zeitschriftenkrise“, sagt Helmut Hartmann, Leiter der Kooperation E-Medien Österreich in Graz. „Die Preise bei den Wissenschaftsverlagen steigen jährlich um durchschnittlich zehn Prozent. Im Gegensatz dazu stagnieren aber die Budgets der meisten Universitätsbibliotheken ebenso wie die der außeruniversitären Forschungseinrichtungen.“ Und so kam es zu einem Teufelskreis, denn der Auflagenrückgang durch die Kündigungen führte wiederum zu Preiserhöhungen und weiteren Abbestellungen. Die neuen elektronischen Medien entlasten nun die Bibliotheken. Und sie motivieren zu innovativen Geschäftsideen. Viele Verlage verdienen inzwischen mehr an jenen, die das größte Interesse an einer Publikation haben – den Autoren. In OA-Journalen im Internet zahlen sie selbst einige Hundert oder Tausend Euro für ihre Veröffentlichung.

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Inzwischen gibt es über 4500 OA-Journale, die im zentralen Verzeichnis aller Open Access Zeitschriften (Directory of Open Access Journals) aufgelistet sind. In allen erscheinen nur begutachtete Artikel, und deren OA-Publikation werden von den Autoren oder ihren Institutionen bezahlt. Erste Studien haben gezeigt, dass OA-Artikel häufiger gelesen und zitiert werden. Dieser „Impakt“ ist eines der wichtigsten Erfolgskriterien für Forscher – und damit auch wieder für ihre Geldgeber.

SERVICE HAT sEINEN PREIS

Auch durch OA lassen sich gewisse Kosten allerdings nicht aus der Welt schaffen. Fragt sich nur, wie sie verteilt werden: zu Lasten der Autoren, der Leser, der Steuerzahler – oder zu Lasten von allen zugleich? „Letzten Endes muss jemand für den Service aufkommen: Die Organisation der Publikationsplattform, die Qualitätskontrolle, das Layout, die Verlinkung und Verschlagwortung. Ob das Geld vom Leser kommt oder vom Autor, macht für die Verlage kaum einen Unterschied“, sagt Angela Lahee, die beim internationalen Springer-Verlag in Heidelberg Physik-Publikationen mitbetreut. „Was manche Institute und sogar Regierungen noch nicht erkannt haben, ist, dass dieser Service Geld kostet. Springer lässt dem Autor die Wahl – wir publizieren sowohl Zeitschriften nach dem traditionellen Modell als auch OA-Zeitschriften mit verschiedenen Finanzierungskonzepten.“

Freilich sind kommerzielle Verlage an der Kostenspirale der letzten Jahre mitbeteiligt – und haben dabei mitunter viel Geld verdient. Doch zugleich begannen die Verlage am Ast zu sägen, auf dem sie sitzen. Das Fanal war 2006 der Rücktritt des gesamten Herausgeber-Gremiums der renommierten Mathematik-Fachzeitschrift Topology von Elsevier. Der Verlag, der zur Reed Elsevier Group (ansässig in London und Amsterdam) gehört, steigerte seinen Gewinn vor Steuerabzug 1998 von 860 auf 1040 Millionen Pfund, also um 21 Prozent, und hatte 2005 eine Umsatzrendite von 31 Prozent. Der Verlag wurde vom Geschäftsführer Crispin Davis, einem ehemaligen Seifenverkäufer, auf höchsten Profit getrimmt und erhöhte die Abonnement-Kosten vieler Zeitschriften in fünf Jahren um über 20 Prozent. Die Herausgeber von Topology fürchteten um Ansehen und Verbreitung ihres Journals. Zeitschriften, die zu Mathematischen Gesellschaften gehören, kosten meist 50 bis 90 Prozent weniger als die von kommerziellen Verlagen. So belief sich 2007 ein Institutsabonnement von Topology auf 1665 Dollar. Das vergleichbare Journal of Topology, das die Ex-Topology-Herausgeber bei der London Mathematical Society neu etabliert hatten, kostete dagegen nur 570 Dollar. Generell sind Zeitschriften preiswerter, die von einer wissenschaftlichen „non profit“-Gesellschaft herausgegeben werden. Denn diese übernimmt oft auch einen Teil der Redaktion und Organisation. Das muss sie freilich anderweitig finanzieren, was auch den Wettbewerb verzerrt.

Eines haben mittlerweile fast alle Wissenschaftsverlage gemeinsam: Sie machen ihre Zeitschriften mindestens für die Abonnenten online zugänglich. Zudem gibt es inzwischen reine Internet-Fachjournale. Dies spart Druck- und Distributionskosten und für die Bibliotheken auch die Archivierung. Es wirft allerdings die Frage auf, inwiefern ein dauerhafter Bestand der Texte gewährleistet werden kann. „Fest steht: Ohne elektronische Publikationen geht fast gar nichts mehr, auch nicht in den Geisteswissenschaften“, sagt Benjamin Walton, Musik-Historiker an der Cambridge University. Wenn die Texte aber sowieso online sind, dann ist der freie Zugriff eine naheliegende Konsequenz.

grün oder Golden

Zwei Varianten von OA werden praktiziert. Beim „goldenen OA“ macht das jeweilige Journal die Artikel sofort im Internet frei zugänglich. Beim „grünen OA“ stellen die Forscher ihre Publikation selbst in freie Datenbanken – je nach Verlagsregularien entweder sofort oder nach einer Sperrfrist von sechs oder zwölf Monaten. Hinzu kommen Hybridmodelle. So bietet Springer eine „Open Choice“-Variante bei nicht frei zugänglichen Zeitschriften an: Die Artikel werden auf OA geschaltet – vorausgesetzt, die Autoren bezahlen die nötigen bis zu 3000 Dollar.

Der grüne OA wird von vielen Autoren, besonders aus der Physik und Astronomie, in Eigenregie praktiziert. Sie stellen ihre Arbeiten entweder in der Druckfassung oder, häufiger, in Form von Vorabversionen (Preprints) online. Dies geschieht – mitunter fast schamhaft versteckt – auf der privaten Homepage, auf der des eigenen Instituts oder auch auf speziellen Preprint-Servern, die bestimmte Fachgebiete sammeln und mit Suchfunktionen leicht erschließen. Oft sind diese Datenbanken an Universitätsinstitutionen beheimatet und durch die Initiative einzelner Pioniere entstanden. Mit inzwischen über 580 000 archivierten Artikeln ist der Preprintserver arXiv.org die größte und älteste derartige Institution. Initiiert wurde die Datenbank für Physik-, Mathematik-, Informatik-Artikel und verwandte Gebiete 1991 von Paul Ginsparg am Los Alamos National Laboratory. Der Physiker, von dem wichtige Arbeiten zur Quantengravitation stammen, wollte alle frei verfügbaren Physik-Artikel online archivieren und dachte viel nach über die veränderte Welt im Informationszeitalter. Heute wird der arXiv-Hauptserver von der Cornell University in Ithaka, New York, betrieben, an der Ginsparg seit 2001 forscht. Es gibt außerdem weltweit 14 Mirror-Server. Über 5000 neue Artikel werden inzwischen monatlich in dieses Archiv gestellt. Im selben Zeitraum finden rund fünf Millionen Zugriffe statt. Manche Verlage erlauben Autoren bereits, ihre Artikel direkt über das arXiv an die Zeitschriften einzureichen.

SOLL DER STAAT ZAHLEN?

Ein anderes Finanzierungsmodell besteht darin, die OA-Publikationen generell von der öffentlichen Hand bezahlen zu lassen, wie es auch Lars Fischer mit seiner Petition vorschwebt. Das würde das Problem mit einem Schlag lösen und viele Verwaltungskosten sparen, aber zunächst aufwendige Vertragsabschlüsse erfordern. Dass sich so etwas umsetzen lässt, zeigt die 2009 gestartete SCOAP3-Initative, die wieder einmal von Physikern ausgeht. SCOAP3 steht für „Sponsoring Consortium for Open Access Publishing in Particle Physics“. Diese OA-Initiative wurde am Europäischen Kernforschungszentrum CERN gegründet und besteht aus einem globalen Netzwerk von Bibliotheken, Forschungseinrichtungen und allen Institutionen, die die Hochenergie-Teilchenphysik finanzieren, zum Beispiel der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Einer der OA-Apologeten ist übrigens Rolf-Dieter Heuer, seit 2009 CERN-Generaldirektor.

„Teilchenphysiker sind mehr als alle anderen Wissenschaftler auf einen schnellen Datenaustausch angewiesen“, sagt Jens Vigen, der am CERN als „Scientific Information Officer“ für SCOAP3 arbeitet. „Sie können nicht monatelang auf gedruckte Publikationen warten. Deshalb hat sich seit den 1960er-Jahren ein Verteilungssystem von Vorabdrucken etabliert. Dann kam arXiv, und OA-Zeitschriften sind jetzt die natürliche Fortsetzung wissenschaftlicher Kommunikation.“ Die Teilchenphysiker verfügen über ein hervorragendes Know-how. Auch das World Wide Web ist ihr Werk: Es wurde 1990 am CERN entwickelt. Beim OA sind sie ebenfalls führend. Im Frühjahr 2007 machten alle experimentellen Gruppen am CERN mit über 7000 Wissenschaftlern deutlich: „Wir empfehlen nachdrücklich die Verwendung elektronischer Publikationsmethoden für unsere Veröffentlichungen und unterstützen die Prinzipien des Open Access Publishing, die einen freien Zugang unserer Publikationen für jeden ermöglichen. Wir empfehlen außerdem allen unseren Mitgliedern, ihre Artikel in leicht zugänglichen Zeitschriften zu publizieren, die den Prinzipien des Open Access folgen.“

SCOAP3 will genau das durchsetzen. Dazu sollen die fünf führenden Zeitschriften für Hochenergie-Teilchenphysik künftig OA sein. Das Konsortium bezahlt die Verlage, vor allem für Organisation und Begutachtung. Dafür entfallen die Abonnementgebühren. Die Bibliotheksbudgets werden entsprechend umgewidmet, letztlich soll alles kostenneutral ablaufen. Benötigt werden rund 10 Millionen Euro pro Jahr. Dafür sollen die einzelnen Länder je nach Nutzungsanteil aufkommen. Den Löwenanteil tragen mit 24,9 Prozent die USA. Es folgen Deutschland (9,1 Prozent), Japan (7,2), Italien (5,9) und Großbritannien (5,7). Der deutsche Anteil beträgt demnach etwa eine Million Euro. Die organisatorische Herausforderung – Verträge zwischen 50 Partnern, einschließlich der Verlage – ist groß und soll im gegenseitigen Einvernehmen geregelt werden, wie es am CERN üblich ist. Das scheint zu funktionieren: Im Januar sind bereits zwei Drittel der 10 Millionen Euro aus 23 Ländern zusammengekommen.

ZIELKONFLIKTE GIBT ES IMMER

„Bei renommierten OA-Zeitschriften kann die ganze Welt die Arbeiten lesen, die von den relativ gut finanzierten Forschungsgruppen in Europa und den USA stammen. Aber Wissenschaftler aus ärmeren Instituten, vor allem der Dritten Welt, können nicht ohne Weiteres dort veröffentlichen“, nennt Angela Lahee einen kritischen Punkt. „Im herkömmlichen Publikationswesen, das auf Abonnements basiert, hat jeder die gleiche Chance, seine Ergebnisse zu veröffentlichen. Aber die Institute in den ärmeren Ländern können es sich nicht leisten, die Zeitschriften zu beziehen. Ein Lichtblick für die Wissenschaftler dort: Bei Springer und anderen Verlagen gibt es zunehmend gesponserte OA-Zeitschriften, deren Kosten von einer Organisation – zum Beispiel einer wissenschaftlichen Gesellschaft – getragen werden. Außerdem erhalten Drittwelt-Länder in manchen Fällen reduzierte Preise, sowohl für OA als auch für traditionelle Publikationen.“ ■

von Rüdiger Vaas

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