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Frühlingserwachen an Titans Nordpol

Astronomie|Physik

Frühlingserwachen an Titans Nordpol
Seen, Gezeiten und Stürme – der Saturn-Trabant steckt voller Geheimnisse. Die Raumsonde Cassini ist ihnen auf der Spur.

Der „Schlund des Kraken“ ist ein seltsamer Ort: Die Meerenge liegt unter einem orangefarbenen Himmel, eingerahmt von einer zerklüfteten Landschaft aus kleinen Inseln und verzweigten Kanälen. Schon von Weitem ist das Tosen eines Strudels zu hören, der hinter dem schmalen Kanal lauert – als würde dort der Riesenkrake aus der nordischen Mythologie unvorsichtige Seefahrer verschlingen.

Doch so bald wird wohl kein Kapitän die 17 Kilometer breite und 40 Kilometer lange Meeresstraße durchqueren. Denn der „ Schlund des Kraken“ befindet sich nicht auf der Erde, sondern im äußeren Sonnensystem: auf dem Saturnmond Titan. Der Sund trennt die beiden Teile eines riesigen, mit flüssigem Methan gefüllten Sees – „Kraken Mare“ genannt.

Dass diese Flüssigkeit womöglich von Strudeln aufgewühlt wird, ist eine neue Erkenntnis über den exotischen zweitgrößten Mond des Sonnensystems. Seit die Raumsonde Cassini 2007 erste Indizien dafür lieferte, dass es auf Titan tatsächlich Seen aus flüssigen Kohlenwasserstoffen gibt, haben die Planetenforscher immer mehr faszinierende Details über die fernen Feuchtgebiete herausgefunden. Am Nordpol ist mittlerweile eine ausgedehnte Seenplatte zum Vorschein gekommen. Die Becken bergen Unmengen von flüssigem Erdgas – ein Vielfaches der irdischen Reserven.

„Bis letztes Jahr dachten wir, dass die Seen vor allem Ethan und ein bisschen Methan enthalten“, sagt Alexander Hayes von der Cornell Universität. „Jetzt wissen wir, dass es genau umgekehrt ist.“ Die drei größten – Kraken Mare, Ligeia Mare und Punga Mare – sind flächenmäßig mit den Großen Seen in den USA vergleichbar.

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Im Schlund des Kraken

Inzwischen sind die Küstenlinien so genau vermessen, dass die Planetenforscher Strömungen und Gezeiten berechnen können. Ein Team um Ralph Lorenz von der Johns Hopkins Universität im US-Bundesstaat Maryland interessierte sich besonders für den Schlund des Kraken: die Verengung zwischen den beiden etwa 600 Kilometer langen Becken von Kraken Mare. Wie sie in der Zeitschrift Icarus berichteten, entstehen auf der Erde in vergleichbaren Kanälen oft extreme Ge- zeitenströmungen. Auch auf Titan gibt es Ebbe und Flut mit einem Tidenhub von etwa einem Meter. Die Strömung im Schlund ist den Forschern zufolge etwa halb so schnell wie an der engsten Stelle des Ärmelkanals – 0,5 Meter pro Sekunde. Als Folge dieses starken Sogs entstehen womöglich tosende Strudel, die künftige Raumsonden mit akustischen Messinstrumenten aufspüren könnten.

Eine große Überraschung erlebte ein Team um Marco Mastrogiuseppe von der Universität La Sapienza in Rom bei einem Cassini-Besuch im Juli 2013. Die Sonde befand sich direkt über dem zweitgrößten See, Ligeia Mare, um dort möglicherweise vorhandene Wellen erspähen zu können. Dafür gab es zwar keine Anzeichen, doch fanden die Forscher in den Radardaten ein schwaches Echo vom Grund des Sees. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Radarsignale die Flüssigkeit durchdringen, den Boden abtasten und dann zurück zum Raumschiff kommen können“, wundert sich Alexander Hayes. Wie das Team im März 2014 in der Zeitschrift Geophysical Research Letters berichtete, ist Ligeia Mare im Zentrum etwa 160 Meter tief.

Je mehr die Planetenforscher über Titan herausfinden, desto vertrauter und gleichzeitig fremdartiger erscheint der riesige Saturnmond. Landschaftsformen wie die Inselgruppen im Kraken-Meer oder ein Delta im See Ontario Lacus auf der Südhalbkugel gleichen Szenerien auf der Erde. Doch Titans Durchschnittstemperatur liegt bei minus 179 Grad Celsius, die fast undurchsichtige Atmosphäre besteht aus Stickstoff und Methan, die äußere Kruste aus Wassereis. Prägend für die Oberfläche sind die Kohlenwasserstoffe Methan und Ethan.

„Es gibt einen ‚methanologischen‘ Kreislauf, vergleichbar mit dem hydrologischen Kreislauf auf der Erde“, sagt Ralf Jaumann, der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin die Abteilung für Planetengeologie leitet. Das Methan verdampft, bildet Wolken, fällt als Regen zu Boden und sammelt sich in den Seen. Der Gefrierpunkt von Methan liegt bei minus 182 Grad Celsius, es kann daher auch zu Eis werden. Selbst Wirbelstürme, die durch verdunstendes Methan angetrieben werden, sind denkbar – vergleichbar mit Hurrikanen auf der Erde.

Titans Feuchtgebiete

Für Planetenforscher ist es besonders faszinierend, wie sich die Feuchtgebiete des Saturnmonds im Wandel der Jahreszeiten verändern. „Cassini ist mittlerweile seit zehn Jahren am Saturn, das entspricht etwa eineinhalb Jahreszeiten“, sagt Jaumann. Die Seenplatte auf der Nordhalbkugel lag 2004 bei der Ankunft der Sonde noch dauerhaft im Schatten. Mittlerweile herrscht dort Frühling, während am Südpol, wo sich mit Ontario Lacus nur ein größerer See befindet, der Herbst einkehrt.

Erste Veränderungen sind bereits zu sehen. So haben sich die Wolken von Titans Nordpol mittlerweile zum Südpol verlagert. Bislang herrschte auf der Südhemisphäre ein trockenes Klima vor: Im See Ontario Lacus, einem länglichen Gebilde von der Größe Schleswig-Holsteins, sank der Flüssigkeitsspiegel in den letzten Jahren um einen Meter pro Jahr. Die Küstenlinie verlagerte sich stellenweise um mehrere Kilometer.

Die Forscher rechnen damit, dass es dort mit Beginn des Winters wieder feuchter wird, während die Seen am Nordpol schrumpfen könnten. Vermutlich wird dort bei zunehmender Sonneneinstrahlung auch Wind aufkommen. Alex Hayes hofft, demnächst Wellen auf den bislang spiegelglatten Seen beobachten zu könnten: „Es gibt erste Hinweise auf dynamische Phänomene auf den See-Oberflächen“, sagt er. So tauchte auf Radar- bildern von Ligeia Mare vom Juli 2013 plötzlich eine helle Stelle auf, wo bei früheren und späteren Überflügen alles dunkel war – die Oberfläche war dort offenbar rauer als sonst. Diese „magische Insel“, wie Hayes und seine Kollegen das Phänomen scherzhaft nannten, könnte durch Wellen, aufsteigende Gasblasen oder durch feste, im Flüssiggas schwimmende Partikel entstanden sein, schrieben die Forscher im Juni 2014 in Nature Geo-science. Beim kleineren Punga Mare registrierte Cassini Reflexionen, die von wenige Zentimeter hohen Wellen stammen könnten.

Bis 2017 wird Cassini Titan fast jeden Monat besuchen. Das Frühlingserwachen am Nordpol könnte für Planetenforscher zum spannendsten Teil der Reise werden. Doch dann wird der Treibstoff zur Neige gehen. Eine weitere Verlängerung der Mission ist nicht möglich. •

von Ute Kehse

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