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Golfspiel mit Elektronen

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Golfspiel mit Elektronen
Albert Einstein erhielt für seine Theorie des Photoeffekts den Nobelpreis. Jetzt haben Physiker gezeigt, wo sie an ihre Grenzen stößt – mit fantastischen Folgen.

Wenn Christoph Lienau und sein Team fein zugespitzte Strukturen aus Gold mit sehr kurzen Lichtblitzen traktieren, ist Einstein in Bedrängnis. „Dann gilt nicht mehr, was seine Theorie des Photoeffekts über die grundlegende Wechselwirkung von Licht mit Elektronen in Materie erklärt“, sagt der Professor für Physik an der Universität Oldenburg.

1921 erhielt Einstein für seine Deutung des Photoeffekts den Physik-Nobelpreis – und nicht für die Relativitätstheorie, wie viele glauben. Der von ihm beschriebene Effekt findet seither in vielen Technologien Anwendung, zum Beispiel in Solarzellen, in Belichtungsmessern von Kameras und in Bewegungsmeldern. Also in Systemen, in denen es aus physikalischer Sicht ziemlich normal zugeht.

Christoph Lienaus Goldspitzen sind aber alles andere als normal, wenn sie den kurzen Lichtblitzen eines Infrarotlasers ausgesetzt werden. Obwohl die Energie seiner einzelnen Lichtteilchen nach dem traditionellen Verständnis des Photoeffekts nicht ausreicht, um Elektronen aus den Goldspitzen herauszuschlagen, geschieht genau das. Denn die Laserblitze an den Enden der Goldspitzen erzeugen kurzfristig ein so extrem starkes elektrisches Feld, dass Einsteins Erklärung des Photoeffekts nicht mehr greift. Durch diese Feldverstärkung – die an die Wirkung eines Blitzableiters erinnert – sind die Elektronen nicht länger in den Goldspitzen gefangen, sondern fliegen aus ihnen heraus. Physiker sagen: Sie „tunneln“ durch die Energiebarriere – ein häufiges Phänomen in der Quantenmechanik.

Es ist wie beim Golf: Durch einen gefühlvollen Abschlag kann der Golfer die Flugrichtung des Balles kontrollieren. Die Oldenburger Physiker benutzen als Schläger die Lichtblitze des Lasers. „Wir können die Elektronen mit genau dosierter Kraft in eine durch das Lichtfeld vorgegebene Richtung beschleunigen.“ Die Elektronen müssen sie allerdings trillionenfach stärker beschleunigen als einen Golfball – auf etwa ein Hundertstel der Lichtgeschwindigkeit.

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Lienau konnte erstmals zeigen, wie die Beschleunigung der Elektronen von den Eigenschaften des Lichtfelds abhängt. Verwandte Experimente sind in Deutschland schon vorher gelungen. So hat 2012 die Arbeitsgruppe des Physikers Claus Ropers an der Universität Göttingen mit starkem Infrarotlicht Elektronen aus Goldspitzen herausgeschlagen, ohne dass die Spitzen dabei zerstört wurden. Auch der Physiker Peter Hommelhoff von der Universität Erlangen-Nürnberg hat in den vergangenen Jahren maßgeblich zum Verständnis des sogenannten Starkfeld-Photoeffekts beigetragen. Im internationalen Vergleich hat Deutschland bei diesem Forschungsthema also die Nase vorn.

Direkter Blick ins Atom

Damit der Schlag mit dem Lichtfeld so hart werden kann, muss er entsprechend kurz auf das Elektron einwirken. „Die Lichtblitze dürfen nur einige Femtosekunden dauern“, sagt Lienau. Das ist extrem kurz: Eine Femtosekunde verhält sich zu einer Sekunde wie eine Sekunde zu 30 Millionen Jahren. Die Laserblitze sind damit kurz genug, um nachvollziehen zu helfen, wie sich Elektronen in Festkörpern bewegen. Die Oldenburger schauen mit ihrer Methode also quasi direkt zu, was bei Atomen geschieht – und manipulieren sie ein wenig.

Die neue Technik regt die Fantasie der Forscher an – zum Beispiel, wenn es um Elektronenmikroskope geht. Heute erreicht man damit zwar eine 2000 Mal so hohe räumliche Auflösung wie mit einem optischen Mikroskop. Aber in zeitlicher Hinsicht kommt man durch die physikalischen Beschränkungen der Auswertungselektronik nur in die Größenordnung von Pikosekunden (Billionstel Sekunden). Verglichen mit den Vorgängen des Alltags sind Pikosekunden zwar unvorstellbar kurz, aber immer noch um den Faktor 1000 länger als Femtosekunden. Mikroskopische Aufnahmen mit einer zeitlichen Auflösung im Bereich von Femtosekunden – das wären Aufnahmen in Echtzeit.

Ultraschnelle Nanooptik

Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden Forschungsarbeiten zum Starkfeld-Photoeffekt in dem 2009 aufgelegten Schwerpunktprogramm „Ultraschnelle Nanooptik“ gefördert. Die Sprecher des Programms sind die Physikprofessoren Martin Aeschlimann von der Technischen Universität Kaiserslautern und Walter Pfeiffer von der Universität Bielefeld. Beide halten es noch für verfrüht, über technologische Anwendungen des Starkfeld-Photoeffekts ernsthaft nachzudenken.

„Wir beginnen gerade erst zu verstehen, was abläuft, wenn Licht die Elektronen eines Materials auf diese Weise anregt“, sagt Aeschlimann. „Viele ganz einfache Fragen sind noch ungeklärt.“ Immerhin: Dass man Elektronen in einem Festkörper so kontrolliert beeinflussen kann, könnte eines Tages „völlig neue Beschleuniger ermöglichen, die sehr viel kleiner und energieeffizienter arbeiten“ als die gigantischen Maschinen, mit denen heute die Materie erforscht wird.

Ob sich dagegen Elektronen in Materialien tatsächlich eines Tages im großen Maßstab durch Laserblitze steuern lassen, daran hat Aeschlimann seine Zweifel. Walter Pfeiffer ist hier optimistischer: „Das wäre schon sehr spannend. Und immerhin können wir erstmals auf den Zeitskalen, auf denen es nötig ist, in die Vorgänge eingreifen.“

Statt dass die Elektronen von Lichtwellen überspült werden, „ könnten sie dann wie ein Surfer auf der Welle reiten“. Albert Einstein wäre von dieser Aussicht sicher begeistert. •

von Michael Vogel

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