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Gravitationswellen erneut direkt gemessen

Astronomie|Physik

Gravitationswellen erneut direkt gemessen
Am 26. Dezember 2015 sind in rund 1,4 Milliarden Lichtjahre Entfernung zwei Schwarze Löcher miteinander verschmolzen. Dabei wurde Energie in der Größenordnung von einer Sonnenmasse in Form von Gravitationswellen freigesetzt, die die beiden LIGO-Detektoren in den USA gemessen haben. Das ist das zweite signifikante direkt registrierte Signal der von Albert Einstein vorausgesagten „Kräuselungen“ der Raumzeit. Die beiden Schwarzen Löcher hatten eine Masse von etwa dem 14- und 8-Fachen der Sonne. Das wurde heute auf der Konferenz der American Astronomical Society im kalifornischen San Diego bekannt gegeben.

Dass Raum und Zeit nicht getrennt voneinander eine starre Bühne für alles Geschehen bilden, sondern als dynamische Raumzeit im kosmischen Drama aktiv mitspielen, ist eine fast unglaubliche Einsicht der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. Die Bekanntgabe des neuen Gravitationswellensignals, nach seinem Datum GW151226 genannt, bedeutet daher auch eine Art nachträgliche Gratulation an Einstein. Der hatte Gravitationswellen erstmals im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagt und den ersten Fachartikel dazu mit dem Titel „Näherungsweise Integration der Feldgleichungen der Gravitation“ vor fast genau 100 Jahren zur Publikation eingereicht – am 22. Juni 1916. Nun wurden seine kühnen Ideen aufs Neue bestätigt – und zwar durch Schwarze Löcher, die ebenfalls vor 100 Jahren erstmals im Rahmen der Relativitätstheorie beschrieben wurden (was allerdings erst Jahrzehnte später erkannt wurde), und mithilfe von Laserstrahlen, deren Theorie auch auf Einsteins Arbeiten zurückgehen. Kurzum: ein neuer Triumph für die Physik!

Distanzmessungen auf subatomarem Niveau

Nach der spektakulären Nachricht vom 11. Februar 2016 zum ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen, war die Messung weiterer Ereignisse nur eine Frage der Zeit. Damals hatte das über 1000-köpfige Forschungsteam der LIGO-Virgo-Kollaboration aus 15 Ländern, zu der auch zahlreiche deutsche Wissenschaftler gehören, das Gravitationswellensignal GW150914 bekannt gegeben (siehe das bdw-Dossier und die Titelgeschichte in der April-Ausgabe von bild der wissenschaft). GW150914 stammte von der Kollision zweier Schwarzer Löcher in einer Entfernung von rund 1,3 Milliarden Lichtjahren. Dies hat ein neues Fenster zum Universum aufgestoßen – es ist, als würde man das All, das bislang nur zu sehen war, nun auch hören.

Die Gravitationswellen bewirken winzige Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit. Sie liegen in der Größenordnung eines Tausendstels des Durchmessers eines Atomkerns auf der vier Kilometer großen Strecke der Laserinterferometer von LIGO (Laser Interferometer Gravitational-wave Observatory), entsprechend der sprichwörtlichen Haaresbreite auf einer Distanz zwischen Sonne und dem nächsten Stern. Die vielen technischen Raffinessen des Gravitationswellendetektors LIGO – zahlreiche davon in Deutschland am Gravitationswellendetektor GEO600 entwickelt und getestet – machen es möglich, solche minimalen Streckenveränderungen zu messen. Und das hat LIGO jetzt erneut geschafft, was das O für „Observatorium“ in seinem Namen nun wirklich rechtfertigt.

Auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 2016 auf dem 228. Meeting der American Astronomical Society in San Diego, Kalifornien, wurde das zweite signifikante Gravitationswellensignal bekannt gegeben: GW151226. Zeitgleich erschien dazu der entsprechende, vorab bereits begutachtete Fachartikel in den renommierten Physical Review Letters. Der Titel der Arbeit: „GW151226: Observation of Gravitational Waves from a 22-Solar-Mass Binary Black Hole Coalescence.“ In San Diego stellten drei hochkarätige Forscher das neue Resultat vor: Gabriela González, Physik-Professorin an der Louisiana State University und Sprecherin der LIGO-Kollaboration, Fulvio Ricci von der Universität Rom, Sprecher des Virgo-Teams, und David Reitze vom Caltech, der LIGO Executive Director.

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Ein erschütterndes Signal

Die neuen Gravitationswellen wurden am 26. Dezember 2015 Uhr um 3.38 Uhr und 53 Sekunden Weltzeit (4.38 Uhr Mitteleuropäische Zeit) gemessen. Zuerst registrierte das Signal der LIGO-Detektor in Livingston in den Wäldern von Louisiana, 1,1 plus/minus 0,3 Millisekunden später der andere Detektor in Hanford im US-Bundesstaat Washington. Das Signal-zu-Rauschen-Verhältnis betrug 13.

Das Gravitationswellensignal GW151226, gemessen von den LIGO-Detektoren in Hanford (links) und Livingston. Oben die relativen Längenänderungen der Laserstrecke (farbige Kurven) und die exzellent übereinstimmende Modellrechnung im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie (schwarz). Unten die gemessenen Frequenzen – die Daten sind stark verrauscht, aber signifikant. Aus diesen Messungen lässt sich die Quelle rekonstruieren: die spiralförmige Annäherung und Kollision zweier Schwarzer Löcher sowie das letzte Schwingen des Verschmelzungsprodukts. (Grafik: B. P. Abbott et al./LIGO, PRL; R. Vaas)

Es dauerte aber Monate, bis das Signal genau ausgewertet und interpretiert war (Konfidenzbereich über 99,9999 Prozent beziehungsweise statistische Signifikanz über 5 Sigma Standardabweichung, das Minimum in der Konvention für eine physikalische Entdeckung!) und sich alle möglichen Störquellen ausschließen ließen. „Ein falscher Alarm mit höherer Signifikanz als GW151226 würde in einer online-Suche mit einer Rate von ungefähr 1 pro 1000 Jahre erzeugt werden“, schreibt das LIGO-Team im Fachartikel.

Das Signal dauerte ungefähr eine Sekunde innerhalb des Empfindlichkeitsbereichs von LIGO. Dabei erhöhte sich die Frequenz und Signalstärke (Amplitude) über etwa 55 Zyklen von 35 auf 450 Hertz und erreichte eine relative Längenänderung („strain“) von 3,4 (plus/minus 0,8) mal 10 hoch minus 22.

Die bekannten Schwarzen Löcher, gemessen anhand von Röntgenbeobachtungen (violett) und Gravitationswellen (blau). LIGO hat zwei Kollisionsereignisse Schwarzer Löcher und einen möglichen dritten Kandidaten entdeckt. Es handelt sich um die schwersten bekannten Schwarzen Löcher überhaupt. (Grafik: LIGO)

GW151226 war also länger und schwächer als GW150914, das 0,2 Sekunden dauerte, über nur etwa zehn Zyklen verfolgt werden konnte und von der Kollision zweier etwa 36 und 29 Sonnenmassen schweren Schwarzen Löchern ausgelöst wurde, was umgerechnet eine Masse von ungefähr drei Sonnenmassen in Form von Gravitationswellen abstrahlte. Im Gegensatz zu GW150914, das sich quasi mit bloßem Auge am Bildschirm erkennen ließ (Signal-zu-Rauschen-Verhältnis von 24), war GW151226 nur mit den ausgefuchsten Computeralgorithmen von LIGO zu identifizieren. Zwei unabhängige Suchprogramme identifizierten es dennoch zuverlässig binnen 70 Sekunden. (Die Algorithmen suchen nach Koinzidenz-Ereignissen zwischen den Livingston- und Hanford-Detektoren innerhalb 15 Millisekunden langer Zeitfenster; nur ähnliche und fast zeitgleiche „Ausschläge“ werden berücksichtigt, alles andere ist Rauschen oder externe Störung.)

Karambolage von Schwarzen Löchern

Die Massen der beiden Schwarzen Löcher, die miteinander kollidierten und GW151226 erzeugten, lassen sich nur relativ ungenau berechnen. Sie betragen 14,2  und 7,5 Sonnenmassen mit Unsicherheiten von plus 8,3/minus 3,7 beziehungsweise plus/minus 2,3 Sonnenmassen. In jedem Fall handelt es sich nicht um Neutronensterne, denn diese können vier Sonnenmassen nicht übertreffen (tatsächlich haben sie in der Regel nur etwa 1,4 Sonnenmassen). Zusammen mit dem früheren Signal GW150914 ist GW151226 also der beste Hinweis auf die Existenz Schwarzer Löcher. (Prinzipiell nicht ausgeschlossen sind ähnliche, aber noch exotischere Objekte, für die es allerdings keine gute theoretische Basis gibt.)

„Es ist sehr signifikant, dass die Schwarzen Löcher weniger Masse haben als die der ersten Entdeckung“, betont LIGO-Sprecherin Gabriela González. „Aufgrund der geringeren Massen waren die Gravitationswellen länger im sensitiven Bereich der Detektoren. Das ist ein vielversprechender Start, um die Population der Schwarzen Löcher im Universum zu charakterisieren.“

Das finale Schwarze Loch, also das Kollisionsprodukt, hat den LIGO-Messungen zufolge eine Masse von 20,8 Sonnenmassen (plus 6,1/minus 1,7). Somit muss eine Sonnenmasse in die Energie der Gravitationswellen umgewandelt worden sein – gemäß Einsteins berühmter Formel E = mc 2. Dieses brachiale Ereignis hat die Raumzeit also buchstäblich erzittern lassen, und dieses „Weltraumbeben“ ist noch viele Millionen Jahre später auf der Erde erhascht worden – eine grandiose Leistung der experimentellen Naturwissenschaft!

1,4 Milliarden Lichtjahre entfernt

Aus den LIGO-Daten lässt sich auch erschließen, dass mindestens eines der beiden Schwarzen Löcher rotierte (Spin über 0,2 – der maximale dimensionslose Wert ist 1,0, dabei würde sich das Schwarze Loch quasi mit Lichtgeschwindigkeit drehen, was aber keine sehr sinnvolle Aussage ist, da die umgebende Raumzeit mitgeschleppt wird und ein unabhängiger Vergleichsmaßstab fehlt.) Das finale Schwarze Loch hat einen Spin von etwa 0,74. Bei seiner Erzeugung bekam es also einen kräftigen Drall mit – eine rasante Geburt.

Die Entfernung des Ereignisses kann nur grob abgeschätzt werden. Sie betrug ungefähr  1,4 Milliarden Lichtjahre mit einer Unsicherheit von plus/minus 600 Millionen Lichtjahren. Die maximale „Leuchtkraft“, also freigesetzte Energie, geben die Forscher mit 3,3 mal 10 hoch 56 Erg pro Sekunde an.

Der Ursprungsort des Gravitationswellensignals GW151226 konnte nur ungenau am Himmel bestimmt werden. Es stammt aus einem Streifen entlang der Südhemisphäre. Die Linien auf dem Foto markieren den Ort mit 90 Prozent (pink) beziehungsweise 10 (gelb) Prozent Konfidenz. (Grafik: LIGO, Axel Mellinger)

Aus der Zeitverzögerung der Signaldetektion lässt sich die Position der Quelle am Himmel errechnen – allerdings nur sehr ungenau. Innerhalb von drei Minuten nach der ersten Feststellung wurde eine 1400 Quadratgrad große Himmelsregion identifiziert (die sich später auf 850 Quadratgrad weiter eingrenzen ließ). Daraufhin wurden zahlreiche Observatorien und Weltraumteleskope alarmiert, die nach elektromagnetischen Gegenstücken Ausschau hielten. Wenn die Kollision der Schwarzen Löcher auch Strahlung zum Beispiel im Röntgen- oder Gammabereich freisetzte – beispielsweise, weil Materie in der direkten Nachbarschaft verglühte –, dann könnten die Astronomen den Ursprungsort herausfinden und sehr viel mehr über die Prozesse aussagen. Ob ein solcher „counterpart“ entdeckt wurde, war zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Mit Veröffentlichungen dazu ist demnächst zu rechnen. „Die Lokalisation am Himmel ist nicht sehr genau. Es wurden Beobachtungen im elektromagnetischen Bereich gemacht, aber die Chance, dabei etwas zu sehen, war nicht groß“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Maxi-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam-Golm, im Exklusiv-Interview mit wissenschaft.de.

Hinweise auf ein drittes Signal

Ein weiteres potenzielles Signal hatte das LIGO-Team bereits am Ende der ersten Publikation in den Physical Review Letters zu GW150914 kurz erwähnt. Es hat den Namen LVT151012 (LIGO-Virgo Trigger plus Datum) und wurde am 12. Oktober 2015 um 9:54 Uhr Weltzeit mit einem Signal-zu-Rauschen-Verhältnis von 9,6 registriert. Es könnte von der Kollision zweier Schwarzer Löcher mit 23 und 13 Sonnenmassen (mit großen Unsicherheiten) aus einer Distanz von 3 plus/minus 1,5 Milliarden Lichtjahren stammen. Die LIGO-Forscher geben dafür eine falsche Alarmrate von 1 in 2,3 Jahren an, das heißt eine Irrtumswahrscheinlichkeit von zwei Prozent (entsprechend 2,1 Sigma). Dieses zweitstärkste Ereignis im Beobachtungszeitraum vom 12. September bis 20. Oktober 2015 kann durchaus ein Gravitationswellensignal gewesen sein; aber die statistische Signifikanz reicht nicht aus, um es als Entdeckung zu handeln.

„Keine anderen signifikanten Kandidaten für binäre Schwarze Löcher im Massenbereich von 4 bis 100 Sonnenmassen wurde während der ersten Beobachtungsperiode von Advanced LIGO zwischen dem 12. September 2015 bis zum 19. Januar 2016 gefunden“, schreibt das Forscherteam gleich in der Einleitung auf der ersten Seite des neuen Artikels. Daraus folgt nicht, dass es keine anderen Ereignisse in dieser Zeit gab, und die Datenauswertung ist noch nicht abgeschlossen. So könnten durchaus auch Neutronensterne miteinander kollidiert sein und Gravitationswellen erzeugt haben – diversen Abschätzungen zufolge ein wesentlich häufigeres, wenn auch schwächeres Phänomen –, doch dazu schweigt sich das LIGO-Team noch aus.

Auf weitere spektakuläre Publikationen darf also durchaus gehofft werden. Ebenso auf neue Kollisionen zwischen Schwarzen Löchern im nächsten Beobachtungslauf, der im Herbst beginnt. Dann wird LIGO noch etwas empfindlicher sein und bis zum doppelten Volumen des Alls als bisher hinausreichen. Wenn technisch alles klappt, wird zum Jahresende auch der französisch-italienische Gravitationswellendetektor Virgo im italienischen Cascina bei Pisa anlaufen und LIGO verstärken. Virgo ist ein 3-Kilometer-Interferometer und daher weniger empfindlich. Wenn aber alle drei Detektoren ein Signal erwischen, wird es sich viel genauer am Himmel lokalisieren lassen („Triangulation“) als bisher. Das wird einen weiteren gewaltigen Sprung in der Gravitationswellenastronomie bedeuten.

Zum Autor:

Rüdiger Vaas ist Astronomie- und Physik-Redakteur von bild der wissenschaft. Im Kosmos-Verlag hat er das Buch “ Jenseits von Einsteins Universum. Von der Relativitätstheorie zur Quantengravitation“ veröffentlicht, das auch ausführlich von den Gravitationswellen handelt. Hier gibt es das Buch im Wissenschaftsshop von bild der wissenschaft.

© wissenschaft.de – Rüdiger Vaas
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