Rätselhafte Trendumkehr
Auch auf dem Dach der Welt, dem Hochland Tibets, macht sich die globale Erwärmung schon seit einigen Jahrzehnten bemerkbar. Die dortigen alpinen Wiesen und Steppen sind sogar besonders sensibel gegenüber Klimaveränderungen, wie Geli Zhang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking und seine Kollegen berichten. Daten von Fernerkundungssatelliten hatten dies zunächst auch bestätigt, denn sie zeigten von 1982 bis zum Ende der 1990er Jahre ein deutliches Vorrücken der Vegetationsperiode. Zwischen 1999 und 2006 aber ergaben die Satellitendaten plötzlich das genaue Gegenteil: Die Pflanzen auf dem Tibetplateau schienen nun von Jahr zu Jahr sogar wieder später auszuschlagen. „Es gab einige Versuche, diese rätselhafte Trendumkehr zu erklären, sie blieben aber alle umstritten“, erklären die Forscher.
Um dieses Rätsel zu lösen, haben Zhang und seine Kollegen die diesen Daten zugrunde liegende Infrarot-Messreihe der Global Inventory Modeling and Mapping Studies (GIMMS) nun mit zwei weiteren Sätzen von Satellitendaten verglichen. GIMMS deckt dabei die Zeit von 1982 bis 2006 ab, währen die anderen beiden die Vegetation auf dem Tibet-Hochplateau zwischen 1998 beziehungsweise 2000 und 2011 überwachten. „Wir haben dabei vor allem die Zeitperioden miteinander verglichen, an denen Daten von allen drei Satellitenprogrammen vorlagen“, erklären sie. Denn das helfe herauszufinden, wie verlässlich die jeweiligen Daten seien.
Falsche Daten ab 2003
Das Ergebnis: Zumindest in der Zeit bis zum Jahr 2000 stimmten die GIMMS-Werte mit denen des ab 1998 laufenden Programms überein: „Beide zeigten, dass die alpine Vegetation in jedem Frühjahr um rund 1,04 Tage früher mit ihrem Wachstum begann“, berichten die Forscher. Nach diesem Zeitpunkt allerdings bewegten sich die Kurven deutlich auseinander: Während die Satelliten des GIMMS-Programms 2003 einen plötzlichen Rücksprung im Wachstumsbeginn anzeigten, registrierten die anderen beiden Messreihen übereinstimmend weiterhin ein stetiges Vorrücken des Frühlingsbeginns. Da in dieser Zeit auch die gemessenen Frühlingstemperaturen in Tibet anstiegen, spreche dies dafür, dass GIMMS falsch und die beiden neueren Messreihen richtig lägen, kommentieren die Forscher.
Warum die GIMMS-Messungen ab 2001 falsche Werte lieferten, hat die Studie nicht eindeutig klären können. Zhang und Kollegen nennen aber zwei mögliche Gründe: Zum einen könnten die Sensoren dieser Satelliten stärker durch die steigende Verschmutzung der Luft mit Schwebstoffen beeinträchtigt worden sein. Zum anderen wurden genau zu Beginn der vermeintlichen Trendumkehr die Infrarotsensoren bei vielen der an GIMMS beteiligten Satelliten ausgetauscht – und lieferten daher möglicherweise hinterher etwas andere Daten. Nach Ansicht der Wissenschaftler deutet aber in jedem Falle alles darauf hin, dass der Klimawandel auch auf dem Dach der Welt mit ungebrochenem Tempo voranschreitet und dabei auch die Pflanzenwelt messbar beeinflusst.