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Gut, besser . . . suomi!

Astronomie|Physik

Gut, besser . . . suomi!
Wenn von Finnland die Rede ist, sind Wissenschaftler, Bildungsexperten und Politiker voll des Lobes. Was ist das Geheimnis des verblüffenden Erfolgs?

Die Finnen galten lange Zeit als trinkfreudige Saunagänger, die bei nordischen Ski-Wettbewerben immer hervorragend abschneiden, ansonsten aber wenig von sich reden machen. Auch die zwei Weltmeistertitel von Mikka Häkkinen in der Formel 1 ließen kaum jemanden auf das kleine Land blicken. Doch plötzlich wurden die angeblichen Hinterwäldler berühmt: Sie hatten 2001 in der internationalen Bildungsstudie PISA den ersten Platz belegt. Das Erstaunen war groß.

Was ist los im dunklen Norden? Finnland ist mit gut 338 000 Quadratkilo- metern kaum kleiner als Deutschland, hat aber bloß 5,2 Millionen Einwohner. Drei Viertel des Landes sind von Wäldern bedeckt. Zu Beginn der Neunzigerjahre steckte Finnland nach dem Wegbrechen des wichtigen Sowjetmarktes noch in einer tiefen Rezession, die Arbeitslosigkeit lag bei 20 Prozent. Doch inzwischen wird das Land als Technologiewunder bezeichnet. So nahm unter anderem die Industrieproduktion zwischen 1995 und 2002 um ganze 44 Prozent zu, das Bruttoinlandsprodukt wuchs im gleichen Zeitraum im Durchschnitt um 4,3 Prozent pro Jahr (gesamte EU rund 2,4 Prozent) und Hightech-Exporte – vorwiegend aus dem Telekommunikationsbereich – stiegen stark an.

Internationale Studien bezeichnen Finnland als innovative und sehr wettbewerbsfähige Volkswirtschaft, in Rankings kann sich das Land regelmäßig ganz vorne behaupten: Im Global Competitiveness Report 2004/2005 des World Economic Forum, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Staaten beurteilt, liegt Finnland vor den USA auf Platz 1. Die Schweiz, Deutschland und Österreich belegen die Ränge 8, 13 und 17. Und selbst im Umweltschutz ist Finnland nach einer US-Studie der Universitäten Yale und Columbia weltweit führend. Auch hier folgen die Schweiz (7), Österreich (10) und Deutschland (31) nur auf hinteren Plätzen. Was also haben die Finnen, was etwa die Deutschen nicht haben?

„Anders herum“, meint der Erziehungswissenschaftler und Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, „die Finnen haben etwas nicht, was die Deutschen haben: Zuwanderung. Dadurch entfällt der Zwang, Kindern in der Schule die Landessprache beibringen zu müssen, was sich massiv auf die frühkindliche Förderung auswirkt. Zudem gibt es in den finnischen Schulen kaum soziale Verwerfungen – im Gegensatz zu Ländern mit ähnlichem Schulsystem wie Italien.“

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Überhaupt ist Lenzen sicher, dass ein Gutteil der finnischen Erfolgsstory auf dem Schulsystem beruht. Was in Deutschland sehr kontrovers diskutiert wird, ist in Finnland Grundlage der Bildung: die Gesamt- beziehungsweise Ganztagsschule. Alle sechsjährigen Kinder werden in Vorschulklassen innerhalb der Räumlichkeiten ihrer späteren Schule ein Jahr lang spielerisch auf den Unterricht vorbereitet. Diese Vorschule ist – wie alle anderen Schul- und Universitätsleistungen in Finnland – kostenlos. Danach verbleiben alle Kinder vom ersten bis zum neunten Schuljahr im gleichen Klassenverbund und erhalten so die gleiche Grundausbildung. Dafür sorgt auch ein landesweiter Lehrplan, der die Lernziele für den gesamten Unterricht einheitlich festlegt. Daher sind die Lerninhalte in allen Schulen zum großen Teil gleich.

In Deutschland ist dies schwer vorstellbar, da durch den Föderalismus die Bildungshoheit bei den Ländern liegt. Die finnischen Kinder werden vom ersten bis zum sechsten Schuljahr vom gleichen Klassenlehrer betreut, die restlichen drei Jahre von Fachspezialisten. Beide Lehrergruppen müssen über einen Universitätsabschluss verfügen, der ein fünf- bis sechsjähriges Studium erfordert. Dabei gibt es jedoch ein strenges Selektionsverfahren: Jeder, der Lehramt studieren will, muss zuvor eine theoretische Aufnahmeprüfung machen, die nur zehn Prozent aller Anwärter besteht. Nach der neunten Klasse können die Schüler zwischen zwei Möglichkeiten ihres weiteren Ausbildungs-wegs wählen: Entweder bis zur 13. Klasse weiter die Schule zu besuchen und Abitur zu machen oder in eine Berufsschule zu gehen.

Auffällig ist, dass jedes Jahr über 80 Prozent der finnischen Jugendlichen die Schule mit Abitur oder einer Fachhochschulreife abschließen, in Deutschland sind es etwa 43 Prozent. Mehr als 30 Prozent der Finnen haben einen Abschluss an einer der immerhin 49 Hochschulen des Landes gemacht. Auch hier hinkt die Bundesrepublik mit 19 Prozent weit hinterher.

Zu diesen erstaunlichen Zahlen trägt sicherlich auch die hohe Lese- und Lernbereitschaft der jungen Finnen bei. „Kein Wunder“, schmunzelt Dieter Lenzen, „in einem Land, in dem es das halbe Jahr dunkel ist, bleibt einem ja auch nicht viel anderes übrig als zu lesen.“ Wie ernst es die Finnen mit der Bildung nehmen, zeigt auch, dass sie dafür 7,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufwenden. In Deutschland sind es nur 4,8 Prozent.

Vorbildlich ist in Finnland die Kooperation zwischen Schulen und Universitäten. Es herrscht eine enge Anbindung zwischen beiden Bildungsinstitutionen, die es den Jugendlichen ermöglicht, bereits während der Schulzeit Praktika an den Hochschulen zu besuchen und erste Erfahrungen mit dem Studienbetrieb zu machen.

Hintergrund der finnischen Anstrengungen im Bildungswesen ist ein ausgeprägter politischer Konsens darüber, dass Wissen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes entscheidend ist. Daher hat der Staat schon früh die Themen Bildung, Forschung und Innovation zur Chefsache gemacht.

Doch der technologische Aufschwung in Finnland lässt sich nicht nur auf das Bildungssystem zurückführen. Genauso bedeutsam ist das System der öffentlichen Forschung und Forschungsförderung. Eine große Rolle spielt der Transfer von Wissen und Technologie an die Wirtschaft, wie eine Studie von Forschern der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) um Beat Hotz-Hart belegt hat. Überlebensnotwendig ist dieser Transfer demnach besonders für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die sich keine Entwicklungsabteilungen leisten können und daher auf wissenschaftlichen Input von außen angewiesen sind.

Die Weichen stellt dabei die finnische Technologieagentur Tekes. Geleitet vom finnischen Wirtschaftsminister Timo Kekkonen, ist sie die wichtigste Organisation zur Finanzierung von angewandter und privatwirtschaftlicher Forschung und Entwicklung (F&E). Tekes verfügte 2003 über einen Etat von 399 Millionen Euro. Davon floss ein Drittel an Universitäten und Forschungsinstitute, zwei Drittel gingen an Unternehmen, davon 51 Prozent an KMU.

Tekes bietet auch fachliche Unterstützung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten an und fördert die Bildung nationaler und internationaler Netzwerke zur Steigerung der finnischen Wettbewerbsfähigkeit. „Das ist eines der finnischen Erfolgsrezepte“, betont Tekes-Sprecherin Mira Banerjee. „Zum einen die gute Kooperation verschiedener Partner – wie Privatwirtschaft und öffentliche Forschung –, aber auch die konsequente Steigerung der Mittel für Forschung und Entwicklung – selbst in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten.“

Tatsächlich investierte Finnland im Jahr 1989 noch 1,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in diesen Bereich, 2002 waren es 3,8 Prozent. Dies entspricht etwa 4,8 Milliarden Euro, wovon 1,4 Milliarden auf staatliche Förderung und der Rest auf privatwirtschaftliche Investitionen vor allem von Nokia entfallen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Finnland damit weit vor der Schweiz (2,7 Prozent), Deutschland (2,5 Prozent) und Österreich (1,9 Prozent). Selbst in den USA sind es nur 2,8 Prozent. Auch wenn Finnland in absoluten Zahlen nicht mit den Ausgaben dieser Länder für F&E mithalten kann, so zeigt dies doch, welche Bedeutung die Technologieförderung für den Staat hat.

Ein gravierender Unterschied von Tekes zu staatlich geförderten Fördereinrichtungen anderer Länder – etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – liegt laut Lenzen in der so genannten Clusterförderung. Während die DFG vor allem Grundlagenforschung betreibt, unterstützt Tekes spezielle Technologieprogramme, die einen praktischen Nutzen haben. Dabei bemüht sich Tekes besonders um diejenigen Technologien, die sie für die Zukunft der finnischen Wirtschaft als essenziell erachtet: Telekommunikation, Umwelttechnik sowie Bio-und Chemietechnologie. „Das hatte zur Folge“, sagt Mira Banerjee, „ dass wir in den vergangenen Jahren mit einigen bahnbrechenden Innovationen auf den Markt kamen, etwa umweltfreundliches Papier und die Entwicklung des GSM-Netzes, ohne das mobiles Telefonieren heute nicht mehr denkbar wäre.“

Einen großen Anteil daran hat der finnische Handyriese Nokia. Im Jahr 2000 trug der Konzern ein Drittel zum Wachstum der Volkswirtschaft bei. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 50 000 Menschen, beinahe die Hälfte davon in Finnland, darunter 19 000 im Bereich F&E. Dass Nokia im vergangenen Jahr mit 45,4 Prozent aller weltweit verkauften Mobiltelefone seine Vormachtstellung auf dem Markt weiter ausbaute, ist sicherlich auf diese Tatsache zurückzuführen. Außerdem pflegt das Unternehmen eine intensive und durch die Politik geförderte Zusammenarbeit mit Zulieferfirmen, Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen.

Auch die Grundlagenforschung hat in Finnland einen hohen Stellenwert. Zuständig für die Vergabe von Geldern ist hier die Academy of Finland, die dem Bildungsministerium untersteht und 2003 über ein Budget von 185 Millionen Euro verfügte. Das ist weniger als die Hälfte des Tekes-Etats, was klar zeigt, wo die Prioritäten gesetzt werden.

Eine weitere wichtige Einrichtung ist VTT, das Technische Forschungszentrum von Finnland. VTT ist eine multidisziplinäre Forschungsorganisation, die Auftragsforschung sowohl für in- und ausländische Unternehmen als auch für die öffentliche Hand durchführt. Schwerpunkte sind angewandte technische und techno-ökonomische Forschung, zum Beispiel über nachwachsende Rohstoffe oder Bioenergie. Als Bestandteil des finnischen Innovationssystems fällt VTT eine Schlüsselrolle in der Organisation und Umsetzung nationaler Technologieprogramme zu. Von den rund 3000 Angestellten bei VTT haben zwei Drittel einen Hochschulabschluss. Dabei ist VTT auch eine Anlaufstelle für ausländische Kräfte, die ihrem Heimatland aus beruflichen Gründen den Rücken kehren wollen oder müssen.

Etwa der Diplomingenieur Georg Böhmeke: Weil seine Firma in Deutschland pleite ging, bewarb sich der heute 50-Jährige vor 15 Jahren um einen Zeitvertrag bei VTT und wurde eingestellt. Er forschte damals an einem für Finnland typischen Problem: Enteisungsmaßnahmen für Hochspannungsleitungen und Telefonmasten. Nach Ablauf seines Vertrags blieb Böhmeke in Finnland und ist inzwischen Technical Director bei Winwind, einem in Oulu ansässigen Unternehmen, das Windkrafträder und -turbinen herstellt und international vertreibt.

Bereut hat Böhmeke seine Entscheidung, in den Norden zu ziehen, nicht: „Ich habe den Eindruck, dass Wissenschaftler in Finnland mehr anerkannt sind als in Deutschland, wo viele in der Industrie negativ über die Theoretiker reden, bei denen nichts funktionieren würde. In Finnland dagegen wollen beide Parteien voneinander profitieren und verhalten sich entsprechend respektvoll.“

Das sieht Matthias Nees genauso. Der 38-jährige Biologe bemühte sich eineinhalb Jahre lang um eine Anstellung in Deutschland. Nach 120 Bewerbungen probierte auch er es bei VTT, wo der Wissenschaftler seit Anfang des Jahres in Turku im Bereich Medical Biotechnology in der Krebsforschung arbeitet. Der Trumpf der Finnen ist auch für Nees das Zusammenspiel von Privatfirmen, staatlichen Organisationen und Universitäten. „Außerdem steht in Finnland das Projekt im Vordergrund und nicht der Herr Professor“ , sagt er.

Die Vernetzung verschiedener Organisationen, wissenschaftlicher Einrichtungen und Firmen, verbunden mit einer konsequenten Bildungs-und Technologieförderungspolitik sowie ausgeprägtes Teamwork – macht das den Erfolg Finnlands aus? Bildungsexperte Dieter Lenzen stimmt zu. „Allerdings“, meint er, „ gibt es noch ein psychologisches Element. Dass Finnland nach der Rezession den Sprung nach ganz oben geschafft hat, liegt auch an dem gemeinsamen Willen seiner Gesellschaft, für sich selbst verantwortlich zu sein und sich trotz einer geografisch nachteiligen Lage und fast ohne Bodenschätze selbst zu versorgen. Den Kopf in den Sand zu stecken, gibt es in Finnland nicht.“

Den Willen zum gemeinsamen Erfolg hatte auch Häkkinen: „Du gewinnst nie allein. Wenn du das glaubst, beginnst Du zu verlieren.“ ■

Hans Groth

COMMUNITY Internet

Details über die Aktivitäten und Programme der finnischen Technologieagentur Tekes erfahren Sie unter:

www.tekes.fi

Ausführliche Informationen rund um Finnland gibt es unter:

www.finnfacts.com

Ohne Titel

• Der Erfolg Finnlands beruht auf seinem innovativen Bildungssystem.

• Hochschulen, Wissenschaftler und Industrie arbeiten eng zusammen.

• In der finnischen Gesellschaft ist der Wille zum Erfolg verankert.

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