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„Ich bringe Teleskope ans Limit „

Astronomie|Physik

„Ich bringe Teleskope ans Limit „
Dr. Andreas Kaufer hat einen einzigartigen Arbeitsplatz: Hoch oben in der Atacama-Wüste sorgt er dafür, dass die Europäer mit ihrem Very Large Telescope immer neue Höchstleistungen erzielen.

bild der wissenschaft: Seit 1999 arbeiten Sie als Astronom in Chile. Was hat Sie dorthin gelockt, Herr Dr. Kaufer?

Kaufer: Die Europäer beobachten von Chile aus schon lange den Weltraum – etwa durch die Europäische Südsternwarte auf La Silla. Bereits als Student und später als Doktorand habe ich Hunderte von Nächten auf dem dortigen Observatorium zugebracht und auch ein Beobachtungsinstrument – einen Spektrographen – gebaut. Als ich mit dem Projekt fertig war, wurde das Very Large Telescope VLT auf dem Cerro Paranal gerade in Betrieb genommen, und man hat mich gefragt, ob ich eines der großen Instrumente betreuen wolle. Das war für mich aufregend, und ich habe zugesagt.

bdw: Auch die USA und Japan beobachten von Chile aus den Himmel. Warum?

Kaufer: Die Astronomen brauchen viele klare Nächte und die haben sie in der Atacama-Wüste im Norden Chiles so häufig, wie sonst fast nirgends auf dem Globus. Hier kann man pro Jahr mit 350 klaren Nächten rechnen. Wichtig sind auch die hohen Berge, auf denen die chilenischen Observatorien stehen, weil sie einen Großteil der störenden Erdatmosphäre unter sich lassen. Das VLT auf dem Cerro Paranal liegt in 2600 Meter Höhe, La Silla auf 2400 Metern, und das neue Radioobservatorium Alma entsteht gerade in über 5000 Meter Höhe. Ein dritter Grund für diese Standorte ist der Blick auf den Südhimmel, wodurch zum Beispiel das Zentrum der Milchstraße beobachtet werden kann und die beiden uns am nächsten liegenden Galaxien, die Große und die Kleine Magellan’sche Wolke.

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bdw: Welche bedeutenden Entdeckungen wurden mit dem VLT gemacht?

Kaufer: Die Beobachtungsprogramme sind sehr vielfältig und gehen quer durch die Astronomie. In vielen Bereichen ist der Fortschritt nur mit der Zeit zu erkennen – wie beim Puzzle: Erst die Summe vieler kleiner Teile zeigt ein sichtbares Resultat. Aber es gibt auch spektakuläre Ergebnisse: Die Entdeckung von Strahlungsausbrüchen im galaktischen Zentrum der Milchstraße, das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße oder – jüngst – das erste Bild eines Planeten, der um einen Stern der Kategorie Brauner Zwerg kreist.

bdw: Haben Sie an einer dieser spektakulären Entdeckungen mitgearbeitet?

Kaufer: Nicht direkt als Beobachter. Natürlich ist man in solche Projekte einbezogen – indem die Instrumente für die Beobachter in Europa vorbereitet und die Teleskope ans Limit gebracht werden. Wenn etwas Aufregendes heraus kommt, fühlt man sich als Teil der Gruppe, die das geschafft hat.

bdw: Was genau ist denn Ihr Job?

Kaufer: Die Vorstellung, dass man am Teleskop sitzt und selbst den Himmel beobachtet, ist romantisch, in der modernen Astronomie aber weltfremd. Man muss sich so ein Teleskop wie ein großes Physikexperiment vorstellen: Man hat ein Großgerät und das wendet man äußerst durchdacht an, um die Strahlung aus dem Kosmos zu analysieren. Das Teleskop sammelt sehr schwache Strahlung, weshalb Teleskope auch immer größer werden. Die eigentlichen Fragestellungen werden durch Instrumente angegangen, die man an das Teleskop anbaut: Kameras, die über verschiedene Farbfilter Bilder machen, spektroskopische Aufnahmen, die die Farben zerlegen und über Temperatur, Masse und Größe anderer Himmelsobjekte Auskunft geben. Weiterhin macht man mit dem VLT interferometrische Aufnahmen, bei denen verschiedene Teleskope zusammengeschaltet werden, was zu extrem hoher Auflösung führt. Erst dadurch können Durchmesser fremder Sterne direkt gemessen werden. Meine Aufgabe ist es, aus den momentan elf Instrumenten des VLT das Beste herauszuholen und neue Instrumente in Betrieb zu nehmen.

bdw: Das hört sich nach umfangreicher Wartungsarbeit an.

Kaufer: In der Tat gehören die Teleskope und die Instrumente tagsüber den Ingenieuren und Wartungsleuten, die damit beschäftigt sind, jedes Detail in Schuss zu halten. Die nächtlichen Beobachtungszeiten sind zu kostbar, um dabei Zeit zu verlieren. Unser Ziel ist es, Dinge auszuwechseln, ehe sie kaputt gehen. Dem Dutzend Astronomen, das – verteilt auf die vier Einzelteleskope direkt am VLT – in der Nacht beobachtet, stehen 50 Ingenieure und Techniker gegenüber, die die Infrastruktur erhalten.

bdw: Wie oft werden die Spiegel überholt?

Kaufer: Im Lauf der Zeit lagert sich eine Staubschicht auf den Spiegeln ab. Deshalb muss man die Spiegel alle anderthalb Jahre vorsichtig abbauen und in einem speziellen Gebäude, das mehrere Kilometer vom Teleskopareal entfernt ist, mit etwa zehn Gramm Aluminium neu bedampfen. Die ganze Prozedur dauert etwa fünf Tage. An die 40 Leute sind damit beschäftigt.

bdw: Wenn Sie die optischen Teleskope der Welt vergleichen – wo rangiert das VLT?

Kaufer: Das VLT ist mit seinen vier Acht-Meter-Spiegeln sicher eines der größten und besten Teleskope, die es auf der Welt gibt. Die US-Amerikaner unterhalten in Chile mit Gemini ebenfalls zwei Acht-Meter-Spiegel, und auf Hawaii haben sie mit dem Keck-Teleskop zwei Zehn-Meter-Spiegel. Auch das japanische Subaru-Teleskop auf Hawaii kann sich mit seinem Acht-Meter-Spiegel sehen lassen. In einem ist das VLT aber unschlagbar: Es steht einer internationalen Wissenschaftlergemeinde zur Verfügung, wie sonst keines. Prinzipiell kann jeder Astronom der zwölf Mitgliedsländer des European Southern Observatory (ESO) einen Antrag auf Beobachtung stellen. Zehn Prozent der Beobachtungszeit stehen übrigens den Chilenen als Dank für die Gastfreundlichkeit zur Verfügung. Neben den direkten Beobachtungen können Projekte auch im so genannten Service Mode gemacht werden. Das bedeutet: Der Wissenschaftler muss nicht selbst nach Chile kommen, sondern wir führen für ihn die Beobachtung durch. Das ermöglicht uns hier in Chile – je nach der Beobachtungslage – in der Nacht von Stunde zu Stunde zu entscheiden, welches Programm unter optimalen Bedingungen ablaufen soll. Dadurch haben wir die wissenschaftliche Ausbeute von Beobachtungszeiträumen so gesteigert, dass diese indirekte Art der Beobachtung inzwischen von anderen Großteleskopen kopiert wird.

bdw: Wenn man Investition und laufende Kosten zusammenzählt, was kostet dann die Beobachtungsstunde?

Kaufer: Überschlägig gerechnet, kostet die Sekunde etwa einen Euro, die Stunde also rund 3600 Euro.

bdw: Wie kann sich ein Wissenschaftler für eine Beobachtung am VLT qualifizieren?

Kaufer: Durch einen Antrag, in dem er erklärt, was seine wissenschaftlichen Ziele sind, welche Beobachtungszeit er dafür haben will und wie die Arbeit technisch ablaufen soll. Der Antrag wird von einem unabhängigen Komitee geprüft. Pro Jahr gehen mehrere Tausend Beobachtungsanträge ein. Im Schnitt wird viermal mehr Beobachtungszeit beantragt als zur Verfügung steht.

bdw: Wie viele Wissenschaftler können mit dem VLT im Jahr beobachten?

Kaufer: Die Hälfte der Zeit steht für Programme zur Verfügung, die die Wissenschaftler vom VLT direkt ansteuern, die andere Hälfte wird im Service-Mode gefahren. Beobachtet werden kann an 320 Nächten im Jahr – und das an vier Teleskopen. Eine durchschnittliche Beobachtungszeit umfasst zwei Nächte. Das heißt: Wir haben auf dem Cerro Paranal pro Jahr mehr als 600 Wissenschaftler zu Gast, die direkt mit dem VLT forschen.

bdw: Das VLT liegt mitten in der Atacama-Wüste. Dennoch haben Sie ein Visitor Center. Machen sich wirklich Touristen auf den Weg zum Cerro Paranal?

Kaufer: Ja, pro Jahr über 4000. An Wochenenden kommen hier oben mehrere Busse mit chilenischen Schulklassen und von Firmen an, vereinzelt auch der eine oder andere Europäer.

bdw: Dürfen die Besucher auch in die Kuppeln hinein und können sich so vor Ort direkt ein Bild von einem modernen Hochleistungsteleskop machen?

Kaufer: Man kann sich die Teleskopkuppeln anschauen – allerdings nur tagsüber. Geführt werden die Besucher von Mitarbeitern, die einerseits wissen, wovon sie reden, andererseits aber auch die Bedürfnisse von Nichtastronomen kennen. Die Nacht ist der Beobachtung vorbehalten. Menschen würden stören – schon durch ihre Wärmeabstrahlung. Manche Besucher sind von den Führungen so begeistert, dass sie keine Mühe scheuen und trotz der weltabgeschiedenen Lage des VLT wiederkommen.

bdw: Hat das VLT noch eine große wissenschaftliche Zukunft vor sich – oder ist die noch gigantischeren Teleskopen vorbehalten?

Kaufer: Die Beobachtungsergebnisse dokumentieren, dass wir mit dem VLT immer noch auf einem aufsteigenden Ast sind. Durch die Instrumente der zweiten Generation, die wir gerade planen oder bereits bauen, wird das Teleskop auch künftig für viele wissenschaftliche Sensationen gut sein. Die Entwicklungszeiten dafür betragen oft mehr als fünf Jahre. Insofern lässt sich heute nicht überblicken, was da noch auf uns zu kommt. Sicher ist: Auch in zehn Jahren wird das VLT in der modernen Astronomie eine große Rolle spielen. Andererseits ist die Astronomie mit dem VLT nicht am Ende. Höchst aktuell sind Planungen über das, was in 10 bis 15 Jahren möglich sein soll.

bdw: Was wird das sein?

Kaufer: Es gibt starke Bestrebungen und gute Anzeichen, dass wir dann ein Teleskop bauen – das ESO ELT – mit einem Durchmesser zwischen 30 und 60 Metern. Dieser große Spiegel wird wohl aus vielen kleinen 1- bis 2-MeterSegmenten zusammengesetzt sein.

bdw: Werden die Astronomen den ersten erdähnlichen Planeten noch mit dem VLT entdecken?

Kaufer: Mit der nächsten Instrumentengeneration verfügen wir am VLT wahrscheinlich über einen Planetenfinder namens CHEOPS. Dadurch bekommen wir extrem scharfe Bilder mit hohem Kontrast. Wir können Planeten wirklich sichtbar machen und ihre Atmosphären detailliert untersuchen. Dennoch glaube ich: Ein Planet, der hinsichtlich Masse und Radius der Erde entspricht und in einer vergleichbaren Entfernung um sein Zentralgestirn kreist, ist vom VLT wohl nicht abzubilden. Wenn es dann auch noch darum geht, Verbindungen wie Chlorophyll oder Methan auszumachen, die Indikatoren für Leben sind, braucht man das ELT, das Extremely Large Telescope, für das momentan auf der ganzen Welt nach dem besten Standort gesucht wird.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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