Die seit vielen hundert Millionen Jahren gültige Geschwindigkeitsbegrenzung für Kontinentalbewegungen wurde vor 700 Millionen Jahren vorübergehend stark überschritten. Nach Meinung des Geologen David Evans von der Yale University verschob sich damals die gesamte äußere Hülle der Erde gegenüber dem flüssigen Erdkern.
Wie Evans auf der Tagung der
American Geophysical Union in Montreal berichtete, war die Erde damals in ein Ungleichgewicht geraten. Die Kontinente begannen, sich alle an einem Fleck zu versammeln und einen Superkontinent zu bilden. Auch im Erdmantel könnten die Gesteinsmassen ungleich verteilt gewesen sein. Um die Massenkonzentration auszugleichen, setzte sich der gesamte feste Teil der Erde in Bewegung, während die Rotationsachse fest im Raum stehen blieb. Da sich die geografischen und magnetischen Pole bei dieser Rutschpartie schnell verschoben, ist solch ein Ereignis auch als „echte Polwanderung“ (true polar wander) bekannt.
Im Gegensatz dazu gibt es noch eine „scheinbare Polwanderung“, die durch die Kontinentalverschiebung vorgetäuscht wird. Ob es die „echte Polwanderung“ überhaupt gibt, ist umstritten. Evans präsentierte in Montreal jedoch neue Messergebnisse aus Spitzbergen und Südaustralien, die seinen Angaben zufolge belegen, dass sich die gesamte Erdkruste in der Zeit zwischen 600 und 800 Millionen Jahren wesentlich schneller verschob, als dies bei der Plattentektonik möglich ist. Dadurch wären die Landmassen, die später zu Südamerika und Westafrika wurden, in nur zehn Millionen Jahren vom Äquator bis in mittlere nördliche Breiten gerückt.
Sowohl die echte als auch die scheinbare Polwanderung werden aus der eingefrorenen Magnetisierung von Gesteinen rekonstruiert. Bei Gesteinen, die älter als 500 Millionen Jahre sind, ist dies jedoch sehr schwierig.
Ute Kehse