Schon die Dinosaurier scheinen Läuse gehabt und diese Plagegeister auch ihren Nachkommen – den Vögeln – vererbt zu haben. Das schließt ein Team internationaler Forscher aus einer Analyse des Erbguts von 69 Varianten der lästigen Schmarotzer. Der Stammbaum, den die Wissenschaftler auf diese Weise erzeugt haben, zeigt: Die Abstammungslinien der meisten heute lebenden Tierläuse entstanden schon vor mindestens 115 Millionen Jahren und damit lange vor dem Aussterben der Dinosaurier. Da die kleinen Krabbeltiere wohl schon damals als spezialisierte Parasiten lebten, befielen sie vermutlich sowohl die Dinosaurier wie auch die zu dieser Zeit bereits vorhandenen ersten Säugetiere, schreiben Vincent Smith vom Natural History Museum in London und seine Kollegen.
Eigentlich interessierten sich die Forscher für die Frage, wann die sogenannte Radiation von Vögeln und Säugetieren stattfand – der Prozess, der dazu führte, dass sich in beiden Tierklassen viele verschiedene Gattungen und Arten bildeten, die die unterschiedlichsten Lebensräume für sich eroberten. Dazu gibt es zwei Haupttheorien: Der einen zufolge überlebten nur wenige Vorfahren von Vögeln und Säugern das Massensterben am Übergang von Kreidezeit zum Erdzeitalter Paläogen vor 65 Millionen Jahren, bei dem auch die Dinosaurier ausstarben. Diese wenigen Überlebenden konnten sich in der Folge rasant auffächern, sich schnell vermehren und alle Nischen und Lebensräume erobern, die die Dinosaurier freigemacht hatten. Die alternative Theorie geht hingegen davon aus, dass diese Auffächerung bereits früher, zur Zeit der Dinosaurier, stattfand und dass aus jeder Abstammungslinie einige Tiere das Massensterben überlebten.
Das Problem: Es gibt kaum Fossilien aus dieser Zeit, die eine dieser Theorien eindeutig bestätigen könnten. Smith und sein Team entschieden sich daher dafür, mit den Läusen eine Art Stellvertreter zu untersuchen. Die Parasiten, erläutert Mitautor Kevin Johnson von der University of Illinois, sind extrem stark auf die Besonderheiten der Tiere spezialisiert, auf und von denen sie leben. „Wenn die Läuse da waren, wissen wir, dass ihre Wirte mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch da waren“, sagt er. Durch die Rekonstruktion ihrer evolutionären Geschichte könne man die Schmarotzer daher als Marker benutzen, um die Geschichte ihrer Wirte nachzuzeichnen.
Zusammen mit seinen Kollegen untersuchte er DNA von 69 Lausvarianten aus allen vier heute bekannten Unterordnungen und entwarf auf dieser Basis einen Stammbaum. Demnach liegt der Ursprung der heutigen Tierläuse in der frühen oder mittleren Kreidezeit vor 130 bis 115 Millionen Jahren. Den Übergang zwischen Kreide und Paläogen müssen laut den Daten dann 15 bis 18 Abstammungslinien überlebt haben. Es gab also vermutlich bereits zur Zeit der Dinosaurier eine große Laus-Vielfalt – und damit wohl auch eine große Vielfalt ihrer Wirte, schließen die Forscher. Viele Abstammungslinien von Vögeln und Säugetieren müssen demnach schon existiert haben, bevor das Massensterben die Dinosaurier hinwegraffte. Die kleinen Krabbeltiere befielen zu dieser Zeit vermutlich hauptsächlich Vögel beziehungsweise deren Vorfahren, die – möglicherweise bereits gefiederten – theropoden Dinosaurier, und eroberten erst später die behaarten Säugetiere für sich, sagen die Wissenschaftler.
Vincent Smith (Natural History Museum, London) et al.: Royal Society Journal Biology Letters, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1098/rsbl.2011.0105 dapd/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel