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Nahrung als Evolutionsmotor

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Nahrung als Evolutionsmotor
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Vormenschen-Schädel (zeilenweise von links nach rechts: Paranthropus bosei, Homo sapiens, Paranthropus aethiopicus, Homo ergaster, Kenyanthropus platyops, Australopithecus anamensis, Homo rudolfensis (Bild: National Museums of Kenya, Mike Hettwer / Yang Deming)
Der Spruch: „Du bist, was du isst“ passt möglicherweise besser als gedacht: Denn unsere Vorfahren könnten den entscheidenden Schritt hin zum Menschsein tatsächlich einer Erweiterung ihres Speisplans verdanken. Vor rund 3,5 Millionen Jahren wichen einige frühe Vormenschen von der für Primaten typischen Diät aus Früchten, Blättern von Laubbäumen und Kräutern ab. Stattdessen begannen der Australopithecus afarensis und andere Zeitgenossen nun, auch Gräser, Seggen und immergrüne Pflanzen zu essen, vielleicht auch das Fleisch von grasfressenden Tieren. Indizien für diesen Wandel der Ernährungsgewohnheiten haben gleich mehrere internationale Forscherteams im Zahnschmelz unserer Vorfahren gefunden. Zum ersten Mal erlauben ihre Ergebnisse einen Überblick über die Nahrungsvorlieben aller frühen Vormenschen – und könnten erhellen, warum nur einige der vielen Vormenschenarten letztlich zu unseren Vorfahren wurden.

Pflanzen nutzen drei unterschiedliche Methoden, um mittels Photosynthese neues Baumaterial für ihre Zellen und ihren Stoffwechsel zu erzeugen. Die meisten Laubbäume und Büsche, aber auch Kräuter bezeichnet man in diesem Zusammenhang als sogenannte C3-Pflanzen. Gräser und Getreide gehören dagegen zu den sogenannten C4-Pflanzen, viele immergrüne Gewächse zu den sogenannten CAM-Pflanzen. Unterscheiden lassen sich diese Gruppen anhand der Kohlenstoffvarianten, die sie in ihre Zellen einbauen. Bei Gräsern und Immergrünen ist der Anteil des leichteren Kohlenstoff-Isotops C-13 höher als bei C3-Pflanzen.

Spuren des Speiseplans im Zahnschmelz

Spannend wird das Ganze, wenn Tiere oder der Mensch diese Pflanzen verzehren. Denn dann wird der mit der Nahrung aufgenommene Kohlenstoff in verschiedenste Körpergewebe und auch den Zahnschmelz eingebaut. Das Verhältnis der Kohlenstoff-Isotope wird dabei mit übernommen – und bleibt auch über Millionen von Jahren hinweg im Zahnschmelz erhalten. „Der Zahnschmelz liefert uns so chemische Information über die Ernährung unserer Vorfahren – fast als ob ihnen ein Stück Essen zwischen den Zähnen hängengeblieben wäre“, erklärt Zeresenay Alemseged von der California Academy of Sciences, Koautor von zwei der vier jetzt veröffentlichten Studien.

Zum ersten Mal haben Forscher nun diese Isotopendaten für nahezu alle unsere frühen Vorfahren und Vettern ausgewertet. Sie analysierten dafür Proben von 175 fossilen Vormenschen, die elf verschiedenen Arten angehörten und in der Zeit von vor 4,4 bis vor 1,3 Millionen Jahren lebten. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede: Die Zähne der vor mehr als vier Millionen Jahren lebenden Vormenschen Ardipithecus ramidus und Australopithecus anamensis enthielten relativ wenig Kohlenstoff C-13. Das lasse darauf schließen, dass sich diese Vormenschen ernährten wie heute noch die Schimpansen und die meisten anderen Menschenaffen, erklären die Wissenschaftler: Sie aßen fast ausschließlich Früchte und die zarten Blätter von C3-Pflanzen.

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Entscheidender Wandel vor 3,5 Millionen Jahren

Vor 3,5 Millionen Jahren aber änderte sich das Bild: „Plötzlich begannen einige dieser Hominiden Dinge zu essen, die sie zuvor nicht aßen“, erklärt Matt Sponheimer von der University of Colorado in Boulder, Erstautor einer der vier Studien. Die Zähne der in Ostafrika lebenden Arten Australopithecus afarensis – bekannt geworden durch das Fossil „Lucy“ – und Kenyanthropus platyops enthielten deutlich mehr C-13 als die ihrer Vorgänger. Diese Vormenschen müssen daher neben Früchten und Laubblättern auch Gräser und immergrüne Pflanzen gegessen haben – oder aber sie jagten und aßen Tiere, die zuvor diese Gräser gefressen hatten. Noch sei nicht klar, welche Variante tatsächlich zutrifft, erklären die Forscher. Der Wechsel im Speiseplan stimme aber gut mit Ergebnissen vorhergehender Studien überein, nach denen erst die Bereicherung des Speiseplans mit Fleisch unseren Vorfahren genügend Energie für ein größeres Gehirn verlieh.

Vor rund 2,5 Millionen Jahren änderte sich dann der Speiseplan einiger Vormenschenarten erneut: Der besonders robuste und eher grobschlächtige Paranthropus boisei und einige seiner Verwandten begannen, sich auf Gräser und immergrüne Pflanze zu spezialisieren, wie der Zahnschmelz zeigt. Nach Ansicht der Forscher erklärt dieser Fund nicht nur die besonders kräftigen Backenzähne und Kiefermuskeln dieser Spezies. Ihr wenig vielseitiger Speiseplan könnte auch der Grund sein, warum diese Vettern unserer direkten Vorfahren vor rund einer Million Jahren ausstarben.

„Die Ernährung ist der wichtigste Einflussfaktor für den Stoffwechsel, das Verhalten und die Wechselwirkung eines Lebewesens mit seiner Umwelt“, erklärt Alemseged. Das neue Wissen über die Ernährung unserer Vorfahren liefere daher auch wertvolle neue Einblicke in die Mechanismen, die einst unsere Entwicklung vorantrieben.

Matt Sponheimer (University of Colorado, Boulder) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), doi: 10.1073/pnas.1222579110; doi: 10.1073/pnas.1222559110; doi: 10.1073/pnas.1222568110; doi: 10.1073/pnas.1222571110 © wissenschaft.de – ===Nadja Podbregar
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